Wir Deutschen werden immer älter, die medizinische Versorgung wird immer besser. Mit diesem demografischen Wandel steigt auch der Absatz von Medikamenten. Ein erheblicher Teil davon landet später im Abwasser. Viele Wirkstoffe sind so stabil, dass sie den Körper verlassen, ohne vorher vollständig abgebaut worden zu sein. Besonders belastet sind kleine Flüsse und Kanäle in dicht besiedelten Gebieten mit hohem Abwasseranteil und die Ausläufer von Kläranlagen. Hier setzt ein Pilotprojekt an. MERK´MAL will den Eintrag von Röntgenkontrastmitteln durch den Menschen reduzieren und die hohe Wasserqualität der Ruhr, als Trinkwasserlieferant des Ruhrgebiets, weiter verbessern. Das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderte Forschungsprojekt mit dem Titel „Minimierung von Röntgenkontrastmitteln im Einzugsgebiet der Ruhr“, kurz MERK´MAL Ruhr, wird unter Federführung des IWW Zentrum Wasser (Mülheim/Ruhr) in Kooperation mit dem Institut für Energie- und Umwelttechnik e.V. (IUTA) und der IKU GmbH durchgeführt.
Röntgenkontrastmittel werden vermehrt in den Fließgewässern nachgewiesen – aber in unkritischem Umfang
Vor vielen radiologischen Untersuchungen, wie der Computertomografie, nimmt der Patient Röntgenkontrastmittel (RKM) ein, die nach der Untersuchung überwiegend mit dem Urin wieder ausgeschieden werden. Die so in Kläranlagen gelangenden Substanzen können herkömmliche Abwasserbehandlungen nur unzureichend zurückhalten. Deshalb zählen RKM zu den am häufigsten und in den höchsten Konzentrationen nachgewiesenen Arzneimitteln in Kläranlagenabläufen, klärt die Arbeitsgemeinschaft Rheinwasserwerke (ARW) auf. Demzufolge würden RKM in Fließgewässern in Konzentrationen von mehr als einem Mikrogramm je Liter (> 1 μg/L), was einem Millionstel Liter entspricht, gefunden. Aufgrund ihrer hohen Wasserlöslichkeit, dauerhaften Beschaffenheit (Persistenz) und Mobilität sei diese Stoffklasse als potenziell trinkwasserrelevant einzustufen. Zudem konnte ihr Vorhandensein im Grund- und Trinkwasser bereits in mehreren Studien gezeigt werden. Bevor Sorge entsteht, geben die Wasserexperten aber auch Entwarnung, in dem sie erklären, dass nach momentanem Wissensstand ein Risiko der über das Trinkwasser eingenommenen Substanzmengen für die menschliche Gesundheit und die Ökologie als vernachlässigbar angesehen werden könne. Ungeachtet dessen sollten Einträge derartiger Substanzen in Trinkwasserressourcen und in der Umwelt bereits aus Gründen der Vorsorge und dem Gebot der Minimierung vermieden und Strategien zur Emissionsverringerung entwickelt werden. Soweit die Rhein-Wasserwerker.
Bei der Umsetzung des Minimierungsgebots und der Strategie zur Emissionsverringerung setzt MERK´MAL, das Pilotprojekt an der Ruhr, der wohl wichtigsten Wasserressource des Ruhrgebietes, die zudem auch das Wasser zahlreicher Kläranlagen mit sich trägt, an. Das IWW Zentrum Wasser hat in Zusammenarbeit u. a. mit dem Wasserversorger RWW, der das Wasser der Ruhr zu Trinkwasser aufbereitet, den Partnern Ruhrverband und Emschergenossenschaft/Lippeverband ein Pilotvorhaben initiiert, das unter dem Titel MERK´MAL auf die Entfernung von RKM aus dem Wasserkreislauf abzielt.
Vermeidung an der Quelle in Zusammenarbeit mit Krankenhäusern
Die Röntgenkontrastmittel werden ausgeschieden, daher lassen sie sich besser als andere Arzneimittel beim Toilettengang auffangen – vorausgesetzt man verfügt über geeignete Behälter. Das will das Pilotprojekt erreichen. Vom medizinischen Personal radiologischer Kliniken und Praxen erhalten die betroffenen Patienten Urinbeutel, in denen durch ein spezielles Sorptionsmittel der Urin zu einer gelartigen Masse verfestigt wird. Der so fixierte Urin mit RKM kann in fester Form gesammelt und über den Hausmüll entsorgt oder anderen Recyclingverfahren zugeführt werden, die zu keiner Gewässerbelastung führen.
Wichtige Partner für den Erfolg des Vorhabens sind die das Evangelische Krankenhaus, die Radiologische Gemeinschaftspraxis sowie das St. Marien-Hospital (alle Mülheim an der Ruhr), die sich an der Sammlungsphase beteiligen und das Projekt unterstützen. Das Projekt wird intensiv wissenschaftlich begleitet durch die beteiligten Institute IWW und IUTA. Eine Erfolgskontrolle erfolgt sowohl analytisch durch Messungen im Abwassersystem als auch durch eine Evaluation der Patientenbeteiligung anhand von Fragebögen.
Und wer soll das bezahlen? Natürlich widmet sich das Pilotprojekt auch dieser zweifellos erfolgsrelevanten Fragestellung. „Denn da die ökonomische Bewertung und die Entwicklung von Kostenübernahmemodellen für den langfristigen Erfolg des Vermeidungskonzepts entscheidend sind, wird sie ebenfalls entwickelt“, wird auch dieser Aspekt auf der Projektbeschreibung angekündigt. In dem ähnlich ausgelegten Präventionsprojekt „noPills“ wurde der Ansatz einer Urinverfestigung mittels eines Superad-Sorbets und anschließender Entsorgung über den Hausmüll auf seine Anwend- barweit ebenfalls geprüft. Bei dieser Variante wurden ebenfalls Urinbeutel mit Adsorbermaterial getestet. Bei 3 bis 4 Beuteln pro Patient und rund 1,70 € pro Beutel wurden Materialkosten von etwa 5 bis 7 Euro pro Patient ermittelt.
Im Erfolgsfall wird im Anschluss eine regionale Ausdehnung des Vorgehens vorbereitet, bei dem der Vermeidungsansatz auf das Einzugsgebiet der Ruhr ausgedehnt werden soll. Das Mülheimer Projekt könnte aus Sicht der Projektträger neue Ansätze zur Verhinderung des Eintrags von Stoffen in den Wasserkreislauf liefern. Es leistet einen wertvollen Beitrag zum Schutz der kostbaren Ressource Wasser im Ruhrgebiet. Daher erklärt auch Wolf Merkel, Geschäftsführer des IWW: „In MERK’MAL binden wir alle Kliniken und Röntgenpraxen in der Stadt Mülheim ein, Ziel ist die flächendeckende Anwendung. Voraussetzungen dafür sind eine weiter verbesserte Sammelstrategie, die Kommunikation mit Pflegepersonal und Patienten und ein faires Umlagesystem. Auf den Erfahrungen aus NoPills bauen wir auf, um die Anwendung im ganzen Ruhrgebiet vorzubereiten.“
Projekt erzeugt öffentliche Wahrnehmung. Sensibel sensibilisieren!
Ein wichtiges Ziel wird das Projekt womöglich schon vor seinem Start durch seine schiere Existenz und die Struktur der Partner erreicht haben: Die Steigerung der Wahrnehmung der Beteiligten für die Problematik des vorsorgenden Gewässerschutzes. Alle Beteiligten sitzen an einem Tisch und müssen jetzt gemeinsam Wege finden, wie der Gewässerschutz vorangetrieben und die Trinkwasserqualität gesichert werden kann. Einen wichtigen Stellenwert sollte bei dem Projekt auch der Kommunikation beigemessen werden. Hier bietet sich insbesondere das SocialWeb als Plattform an, um mit den Röntgenkontrastmitteln auch andere Arzneimittel in den Prävention- und Vermeidungskatalog aufzunehmen und möglichst viele Zielgruppen zu sensibilisieren. Aber auch dafür haben die Initiatoren vorgesorgt, denn zur Sicherung der größtmöglichen Teilnahmebereitschaft begleitet eine professionelle Kommunikationsinitiative das Projekt. Die Kunst wird wie immer bei Wasserthemen darin liegen, die Konsumenten nicht zu verschrecken. Daher gilt es sensibel zu sensibilisieren!
Schon in der Abfallwirtschaft hat es sich seit dem Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetz in den 90er Jahren bewährt, an der Quelle anzusetzen und so die ressourcen-ökologisch und volkswirtschaftlich suboptimalen End-Of-Pipe-Lösungen zu ersetzen. Machen wir uns nichts vor: Wenn es nicht gelingt, die Eintragspfade zu steuern, dann zahlen wir später für das Unvermögen oder Nicht-Wollen höhere Trinkwasserpreise. Wohin das führen kann, haben die Szenarien bei den Nitraten gezeigt, wonach die Wasserkunden bei unzureichender Prävention zur Kasse gebeten würden.
Auf der ab März 2017 verfügbaren Projektwebseite www.merkmal-ruhr.de werden Neuigkeiten rund um das Projekt veröffentlicht. Wer sich schon jetzt für das Projekt interessiert, dem sei die Auftaktveranstaltung am 2.3.2017 in Mülheim an der Ruhr empfohlen. Hier geht es zur Anmeldung.
Weiterführende Informationen
- Auftaktveranstaltung MERK’MAL
- Institutswebsite IWW
- Jahresbericht ARW
- Abschlussbericht noPills-Projekt
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