Explodierende Wasserpreise in England! Jeden achten Haushalt könnte die Wasserarmut treffen

Englands Wasserwirtschaft steht gegenwärtig „mit dem Rücken zur Wand“. Bis 2030 muss sie einen fast dreistelligen Milliardenbetrag investieren. Angesichts der Versäumnisse der Vergangenheit wird die Regulierungsbehörde die Investitionen und die daraus resultierenden Preisanstiege wohl genehmigen müssen. Die hieraus zu erwartende Wasserkostenexplosion für die Haushalte in England und Wales wird für deutsche Verhältnisse unvorstellbar sein. So werden immer mehr englische Haushalte auf Zahlungshilfen angewiesen sein werden, um die Wasserrechnung zu bezahlen. Die wirtschaftliche Wasserarmut könnte nahezu jeden achten Haushalt in England treffen.

Verstöße und Versäumnisse als Grund für beispiellose Investitionen

England Wasserwirtschaft steht wegen zunehmender Umweltverstöße „am Pranger“. So sind über 300.000-mal im vergangenen Jahr in Folge schwerer Regenfälle beträchtliche Abwassermengen aus Anlagen der Wasserunternehmen in die Umwelt gelangt. Während die Gesellschafter, der in Teilen privatisierten Unternehmen fast 150 Prozent höhere Dividendenzahlungen erhielten, wurden dringend erforderliche Investitionen in die Versorgungssicherheit und zur Einhaltung der Umweltstandards vernachlässigt. Die Wasserunternehmen haben daher erheblichen Nachholbedarf, um Strafen und weiteren Maßnahmen zu entgehen. Auf politischer Ebene wird zudem immer mal wieder mit der Re-Verstaatlichung gedroht.

Mit einer bisher einzigartigen Investitionsinitiative wollen die stark in der öffentlichen Kritik stehenden Unternehmen diese Herausforderungen jetzt angehen. In den nächsten fünf Jahren sollen daher 96 Milliarden £ (ca. 110 Milliarden €) in die Wasser-Infrastruktur investiert werden. Diese beispiellose Investition übertrifft das aktuelle Volumen um 90 Prozent und entspricht Berechnungen des englischen Branchenverbandes Water UK zufolge, mehr als 40 Prozent der Gesamtinvestitionen im übrigen Europa.


Financial Times

Regulierungsbehörde muss Massnahmen bewilligen

Die Zahlen stammen aus den Wirtschaftsplänen, die die Wasserunternehmen Anfang Oktober der englischen Regulierungsbehörde OFWAT für diesen sogenannten Price Review (PR-24) für den Zeitraum 2025 bis 2030 vorgelegt hatten. Anders als in Deutschland, wo Wassertarife und Abwassergebühren entweder durch demokratisch legitimierte kommunale oder kartellbehördliche Institutionen überwacht werden, übernimmt dies für England und Wales eine zentrale staatliche Regulierungsbehörde.  Diese muss die Investitionen und damit die daraus resultierenden Preissetzungen – ggf. verbunden mit Auflagen – genehmigen.

Die von den Wasserunternehmen vorgelegten Pläne zielen beispielsweise darauf ab, zusätzliche Reservoirs zu errichten. So soll die Versorgungssicherheit in England erhöht werden. Bekanntlich herrscht seit mehreren Jahren Wasserknappheit auf der Insel. Immer wieder mussten weit reichende Wasserentnahme- und Nutzungsbeschränkungen erlassen werden (u.a. „horse pipe bans“). Das ist auch der Grund für eine zweite wichtige Maßnahme. Lange Zeit war England bekannt für seine hohen Wasserverluste infolge maroder Netze. Aktuell gehen sage und schreibe drei Millionen Kubikmeter Wasser durch Leckagen in den Leitungen auf dem Weg zu den Kunden verloren.  Das sind rund 50 Liter Wasser je Einwohner und Tag! Das soll sich ändern. Die für die Wasserverluste ursächlichen Leckagen („leakages“) sollen im Vergleich zum Niveau von 2020 um 25 Prozent gesenkt werden. Damit will England in Europa in die Gruppe der „fünf Musterschüler“ bei Leckagen und Wasserverlusten aufsteigen. Angesichts der Versäumnisse der Vergangenheit darf daher erwartet werden, dass die Regulierungsbehörde OFWAT diese Maßnahmen genehmigen wird.

Wasserkosten werden beträchtlich steigen

So willkommen die Maßnahmen aus Umwelt- sowie Ressourcensicht und für die Versorgungssicherheit auch wären, sie hätten massive Auswirkungen auf die englischen Wasserkunden. Denn durch die zusätzlichen Investitionen werden die Wasserrechnungen sehr deutlich ansteigen. Heute beträgt die Wasserrechnung durchschnittlich 448 £. Davon entfallen 215 £ auf die Wasserversorgung und 233 £ auf die Abwasserreinigung. Schon in diesem Jahr sind die Preise angestiegen und werden 2025 weiter ansteigen. Von 19 Prozent gehen die Experten aus. Werden die Investitionspläne von OFWAT genehmigt, kommen von 2025 und 2030 weitere 35 Prozent durchschnittlicher Preisanstieg dazu und müssen von den Wasserkunden zu verkraften werden.

Die höchsten Anstiege werden die Kunden im Südosten Englands zu verkraften haben. Von Hampshire bis Kent ist Southern Water zuständig für die Versorgung mit Wasser und die Entsorgung des Schmutzwassers. Heute zahlen die Kunden dafür 432 £ im Jahr. Künftig sollen es 222 £ sein – über die Hälfte mehr.

Die Besitzer dieses Anwesens werden in Cranbrook (Kent) werden sich die Mehrkosten womöglich leisten können (Foto: Gendries)

Jeder achte englische Haushalt könnte von Wasserarmut betroffen sein

Diese Entwicklung wird viele englische Haushalte hart treffen. Schon heute mehren sich die Klagen über die steigenden Haushaltskosten für Wasser und Abwasser. So kann sich jeder Zwanzigste der rd. 24 Millionen englischen Haushalte das Wasser und Abwasser nicht mehr leisten. Diese sind von sogenannter „Wasserarmut“ („water poverty“) betroffen. Der im englischen Regulierungssystem verankerte Verbraucherrat für Wasser (CCW – Consumer Council for Water) definiert „Wasserarmut“ für einen Haushalt, der mehr als fünf (bzw. drei) Prozent seines verfügbaren Einkommens für Wasserrechnungen ausgibt. Das gilt mittlerweile für jeden zwanzigsten Haushalt. Diese können von den Wasserunternehmen angebotene Kostennachlässe für Wasser sog. social tariffs in Anspruch nehmen. Im vergangenen Jahr betrug der jährliche Nachlass auf die Wasserrechnung durchschnittlich 149 £. Das summierte sich landesweit auf rund 180 Millionen £. Das ist offenkundig noch nicht das Ende der Fahnenstange.

Wegen der geplanten Preissteigerungen wird damit gerechnet, dass die Zahl der Haushalte, für die Wasser und Abwasser unerschwinglich sein werden, bis 2030 auf etwa 3,2 Millionen Haushalte ansteigen wird. Wir sprechen also über jeden achten Haushalt in England, der von Wasserarmut betroffen sein wird.

Mit diesem Programm hilft beispielsweise Southern Water seinen Kunden, für die die Wasserrechnung unerschwinglich wird (Q: Southern Water)

Moderate Preissteigerungen sind unvermeidbar

Verglichen mit der Entwicklung in England, können die deutschen Wasserkunden mit den Preis- und Gebührenanstiegen eigentlich zufrieden sein. Zwar müssen auch hierzulande einige Wasserversorger gegenwärtig die gravierenden Kostenanstiege an ihre Kunden weitergeben und teilweise drastische Preissteigerungen vornehmen, aber diese bewegen sich zumeist in erschwinglichen Bandbreiten. Trotzdem kommen hohe zweistellige Preiserhöhungen zustande. Das sind nach meinen Erfahrungen allerdings Einzelfälle. Zahlreiche Unternehmen haben in den vergangenen Jahren auf Wasserpreisstabilität gesetzt oder vermeintliche Kundenbeschwerden befürchtet. Das dürfte sich als falsche Taktik erwiesen haben.

Insgesamt entwickeln sich die Wasserpreise in Deutschland seit Jahrzehnten unterhalb oder entlang der Preissteigerungsrate. Zudem sind derartige Versäumnisse und Investitionsstaus wie in England hierzulande eher selten. Das belegen auch die im Vergleich zu England deutlich selteneren Leckagen und geringeren Wasserverlustraten. Aber Qualität hat ihren Preis. Die deutsche Infrastruktur ist mit ihren maroden Brücken, den schlechter werdenden Straßen und störanfälligen Bahnstrecken im internationalen Vergleich kein „Musterknabe“. Die Investitionen in die Sicherung der Infrastruktur beim Wasser und Abwasser sind alternativlos. Wer da am falschen Ende spart, bekommt garantiert die Quittung.

Quellen / Weiterführendes

Foto: imagil / Pixabay

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