Scheitert die Privatisierung des englischen Wassersektors nach 35 Jahren, weil die Finanzinvestoren zuletzt nur auf die Dividenden schauten und die Daseinsvorsorge vernachlässigten? Ein Beispiel für diese Entwicklung zeigt die aktuelle Finanzkrise beim Wasserunternehmen Thames Water. Medienberichten zufolge spitzte sich diese am zurückliegenden Osterwochenende weiter zu. Jetzt droht eine harte Landung. Auch eine Rückabwicklung der Privatisierung von 1989 ist zumindest vorübergehend nicht mehr ausgeschlossen. Das könnte ein unabwendbarer Schritt sein. Wenn nämlich ein Kredit, der Ende April fällig wird, nicht bedient werden sollte, würden die Kreditgeber, unter anderem zwei chinesische Staatsbanken, über die Zukunft des größten englischen Wasserversorger entscheiden. Womöglich bekäme so chinesische Staatsbanken einen Zugriff auf die kritische Infrastruktur in England, warnen die englischen Medien. Entwicklungen, die in afrikanischen Infrastrukturen schon nicht mehr überraschen, scheinen sich über den Finanzsektor nun auch in Europa auszuweiten.
Privatisierung der Wasserwirtschaft hat sich für die Investoren gelohnt
Es war die als „Eiserne Lady“ bekannte Premierministerin Margaret Thatcher, die nach ihren Privatisierungen des Energie-, Telekom- und Bahnsektors, im Jahr 1989 auch die Wasserwirtschaft an den Markt gebracht hat. Um die Wasser- und Abwasserunternehmen für Investoren attraktiv zu machen, übernahm der englische Staat die fünf Milliarden Pfund (£) Schulden der englischen Wasserindustrie und übertrug sie anstelle dessen den englischen Steuerzahlern. Doch die Unternehmen blieben nicht schuldenfrei. Seit der Privatisierung hat sich bei den aktuell elf Wasser- und Abwasserunternehmen und fünf reinen Wasserversorgern in England ein kollektiver Schuldenberg von über 60 Milliarden £ angehäuft. In der gleichen Zeit haben die Gesellschafter Gewinnausschüttungen von insgesamt 56 Milliarden £ erhalten. Doch die Mittel flossen nicht allein in die dringend benötigten Investitionen, sondern sicherten zu einem großen Teil die Dividenden und dienten dem Schuldendienst der Akquisitionen, den die Investoren den Wasserunternehmen auflasteten. Wobei, am Ende zahlten auch hier wieder die Wasserkunden. Denn sie mussten höhere Wasserpreise tragen, um die Schulden zu begleichen. Seit der Privatisierung sind die Wasserrechnungen im Vereinigten Königreich um 360 Prozent gestiegen, mehr als doppelt so hoch wie die Inflationsrate im gleichen Zeitraum. Profitiert haben insbesondere die Gesellschafter der „ersten Stunde“, als die Probleme noch gut verborgen im Untergrund der Metropole London lagen.
Deshalb schienen die Phantasie der Investoren und deren Renditeerwartungen beim frisch privatisierten englischen Wassersektor keine Grenzen zu kennen. Der Grund dafür war, dass den Unternehmen mit dem neu geschaffenen Regulierungssystem starke Anreize zur Verbesserung der Effizienz und zur Kostensenkung geboten wurden, indem den Wasserunternehmen erlaubt wurde, die im Rahmen einer zuvor festgesetzten Preisobergrenze erzielten Gewinne zu behalten – und als Dividenden an die Investoren auszuschütten. Die Begeisterung sank jedoch, als sichtbar wurde, wie marode das überalterte Versorgungsnetz war und dass die im Rahmen der Regulierung eingereichten Businesspläne kaum Raum für betriebliche Gewinne ließen.
Wasserpreise steigen, Umweltverstösse nehmen zu
Das Problem zeigt sich an der aktuellen Finanzkrise von Thames Water. Thames, wie es kurz heißt, versorgt etwa ein Viertel der englischen Bevölkerung mit Wasser und entsorgt dessen Abwasser. Thames wird über die Finanzholding Kemble Water Finance von englischen und internationalen Investoren gehalten. Das Unternehmen hat einen Schuldenberg von mehr als 18 Milliarden £ angehäuft. Wegen der überalterten Infrastruktur, zahlreicher Umweltverstöße, hoher Wasserverluste und notwendiger Maßnahmen gegen die Folgen des Klimawandels stehen im Großraum London und Oxford, wo Thames tätig ist, massive Erneuerungsinvestitionen an. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Wasserpreise. Für die 15 Millionen Kunden wurden bereits massive Preiserhöhungen angekündigt. Das hatten Verbraucherschützer bereits abgelehnt, denn immer mehr englische Haushalte müssen bei der Bezahlung ihrer Wasserrechnungen auf Hilfsleistungen zurückgreifen.
Da die Wasserpreise in England von der Regulierungsbehörde OFWAT genehmigt werden, müssen die Wasserversorger und Abwasserentsorger bei der Preisbildung aufzuzeigen, wie sie die Vorgaben für die Effizienz, die Kundenzufriedenheit und Umweltstandards erfüllen wollen. Bei Thames Water liegt da einiges im Argen. Die Anteilseigner haben OFWAT gebeten, eine reale Erhöhung der Rechnungen um 56 Prozent bis 2030 zu genehmigen, sowie Nachsicht bei Dividendenregeln, Bußgeldern für Umweltverschmutzung und die Einhaltung der Investitionspläne zu gewähren. Die Regulierungsbehörde hat schon Ablehnung signalisiert und wird voraussichtlich im Juni einen Entscheidungsentwurf vorlegen sowie Anfang nächsten Jahres eine endgültige Entscheidung treffen.
Droht jetzt der Zugriff chinesischer Staatsbanken auf die englische Wasserwirtschaft?
Schon lange absehbar, jetzt eskaliert jetzt die Finanzsituation bei Thames Water. Die Finanzinvestoren der vergangenen zwanzig Jahre hatten die Verschuldung in die Höhe getrieben, um die Übernahmen zu refinanzieren. Wirtschaftsprüfer warnten schon Ende 2023, dass die Investoren dringend benötigtes Kapital nachschiessen müssen, damit Kemble als Finanzholding von Thames, einen fälligen Kredit in Höhe von 190 Millionen £ Ende April bedienen kann. Die Gesellschafter weigern sich Presseberichten zufolge, eine Notfallfinanzierung zur Verfügung zu stellen. Dazu gehören der größte Pensionsfonds Großbritanniens, der Universities Superannuation Scheme (USS), sowie das Ontario Municipal Employees Retirement System, ein kanadischer Pensionsfonds, der Staatsfonds von Abu Dhabi und die Pekinger China Investment Company.
Bei den Kreditgebern der 190 Millionen £, die sich bisher geweigert haben, das Darlehen ohne eine Kapitalzufuhr durch die Eigentümer von Thames Water zu verlängern, handelt es sich nach Angaben von mit der Angelegenheit vertrauten Personen um die staatliche chinesische Bank of China und die Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) sowie um die Allied Irish Banks und die niederländische ING. Das könnte zur Folge haben, dass die beiden in Peking ansässigen chinesischen Staatsbanken im Falle eines Ausfalls des Kredits Zugriff auf Thames Water bekommen könnten. Ihre Schlüsselrolle kommt inmitten der Spannungen über chinesische Investitionen in Großbritannien. Das Vereinigte Königreich hat chinesische Investitionen in kritische Infrastrukturen wie das geplante neue Kernkraftwerk Sizewell C in Suffolk eingeschränkt und Telekommunikationskonzerne gezwungen, Huawei-Geräte aus dem Kommunikationsnetz des Landes zu entfernen, das berichtet Financial Times.
Die aktuelle Entwicklung hat erneut zu Spekulationen geführt, dass Thames Water verstaatlicht werden könnte. Dies war vor fünf Jahren schon in der Diskussion. Im Jahr 2019 hatte damals die Labour-Partei die Rückabwicklung der Privatisierung des englischen Wassersektors für den Fall in Aussicht gestellt, dass sie die bevorstehenden Parlamentswahlen gewinnen würden. Den damaligen Investoren sollte eine dann Labour-geführte Regierung das Wassergeschäft durch Verstaatlichung abkaufen (siehe LebensraumWasser). Jetzt könnte die Verstaatlichung der letzte Weg sein, das Wasserunternehmen vor dem Zugriff der Chinesen zu sichern.
Ist das der Anfang vom Ende der englischen Wasser-Privatisierung?
Thames Water ist nicht nur das größte Wasserunternehmen, sondern auch der größte Sündenfall. Seit die australische Investitionsbank Macquarie Thames Water im Jahr 2006 übernommen hatte, haben sich die Schulden von 3,2 auf 10,7 Milliarden £ mehr als vervierfacht (siehe Grafik). So hat sich das ursprünglich schuldenfrei in die Privatisierung entlassene Infrastruktur-Unternehmen in einen Sanierungsfall verwandelt, bei dem die zahlreichen Umweltverstösse und Wasserverluste scheinbar zur Nebensächlichkeit werden.
Die Rückabwicklung in ein staatliches Unternehmen könnte unvermeidbar sein, wenn sich die Regulierungsbehörde, Thames Water und die Investoren nicht auf einen Konsens zubewegen. Im Ergebnis wäre damit das Thatcher-Programm der Privatisierung der Wasserwirtschaft in England endgültig gescheitert. Der Grund läge aber nicht einzig und allein beim Management, sondern hauptsächlich bei der Gier der Finanzinvestoren, die das Unternehmen Thames und den Wassersektor als unerschöpflich scheinende Einnahmequelle für Dividenden und ambitionierte Finanzprogramme nutzen. Um es gleich vorweg zu nehmen, das englische Wassersystem ist in Europa einzigartig. In Frankreich und in Deutschland werden die Wasserversorger – egal ob mit oder ohne private Gesellschafter – in erster Linie durch die lokalen Kommunen und Behörden überwacht und reguliert. Anders in England, da hätten die Regierung oder der Regulierer OFWAT eingreifen müssen. Dass Thames Water unter existentiellem Druck geraten würde, wenn die Preiserhöhungen nicht durchsetzbar sein und die Investoren keine Zugeständnisse machen würden, war frühzeitig absehbar. Viel zu spät wurde offenkundig die Reißleine gezogen. Was bleiben wird, ist ein Desaster. Ausbaden müssen es möglicherweise die Wasserkunden und die Umwelt.
Dass jetzt auf die gescheiterte Finanzierung China ins Spiel kommt, ist schon makaber. Es ist 20 Jahre her, da erwarb Thames Water im Rahmen seiner Internationalisierung die kommunale Wasser-Holding China Water Company (CWC) mit zweidutzend kommunalen Wasserversorgern im Portfolio. Die Freude über den Deal währte in der Thames-Zentrale nur kurze Zeit. Denn schon nach wenigen Monaten erließ die chinesische Zentralregierung ein Gesetz, wonach Wasserversorger so streng reguliert wurden, dass es wie ein Rauswurf wirkte. Ob das den Engländern jetzt auch gelingt?
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