Wasserpreis-Streit zwischen Kartellamt und Gießen nach 22 Jahren beigelegt

Alles gut nach 22 Jahren? Das Kartellverfahren zu überhöhten Wasserpreisen in Gießen wurde jetzt aussergerichtlich beendet – mit einer interessanten Lösung für die Wasserkunden.

Hessen war das „Bundesland der Kartellverfahren zu Wasserpreisen“

In Hessen „tobte“ viele Jahre eine Auseinandersetzung zwischen der Landeskartellbehörde und einigen Wasserversorgern. Die Kartellverfahren um die Wetzlarer enwag, die Mainova, die Stadtwerke Kassel und die Stadtwerke Gießen waren nahezu legendär und brachten die gesamte Wasserwirtschaft in Aufruhr und später in eine Schockstarre, wenn es um Wasserpreiserhöhungen ging.

Nach 22 Jahren einigten sich die Stadtwerke Gießen (SWG) und die hessische Landeskartellbehörde, die bisher vor Gericht gestritten hatten. Ob die Kunden zu viel oder den zutreffenden Preis gezahlt hatten, wurde damit nicht geklärt. Die Parteien einigten nämlich außergerichtlich, wie die Stadt Gießen, das Wirtschaftsministerium und die Stadtwerke Gießen in einer Mitteilung bekannt gegeben haben.

Ein Verwaltungsverfahren mit einer Dauer von dreizehn Jahren und eine sich hieran anschließende gerichtliche Auseinandersetzung mit einer Dauer von weiteren neun Jahren um die Frage, ob die Gießener Wasserpreise in den Jahren von 2006 bis 2010 angemessen oder möglicherweise überhöht waren, konnte nun durch einen außergerichtlichen Vergleich beigelegt werden. Eine entsprechende Vereinbarung haben das Hessische Wirtschaftsministerium, die Stadtwerke Gießen sowie die Stadt Gießen jüngst unterzeichnet. Im Sinne einer Lösungsfindung für die Bürger Gießens erachteten die Parteien eine weitere Befassung der Gerichte mit den in diesem Verfahren zu beantwortenden schwierigen Rechts- und Tatsachenfragen nicht länger als zielführend.

Und wer jetzt wegen des Wechsels von „Wasserpreisen“ zu „Wassergebühren“ stutzig wird, der sollte wissen, dass die Wasserversorgung in Gießen im Jahr 2011 rekommunalisiert wurde, was als „Flucht in das Gebührenrecht“ kritisiert worden war und der Auseinandersetzung

Für 5,7 Mio. Euro gibt es stabile Gebühren bis 2030 für die Gießener

Das Wichtigste für die Gießener Verbraucher, so die Stadt in einer Pressemitteilung: Die von den Stadtwerken Gießen zu zahlende Summe in Höhe von rund 5,7 Mio. Euro, auf die sich die einstigen Prozessgegner als Ausgleich nun geeinigt haben, wird unmittelbar den Gießener Wassergebührenzahlern zu Gute kommen. Die Zahlung der Stadtwerke ermöglicht nämlich, die bereits im vergangenen Jahr beschlossene Gebührenanhebung für die Jahre 2026 und 2028 auszusetzen und die Wassergebühr stabil zu halten. Durchschnittlich 109 Euro pro Haushalt können die Gießener Wasserkunden dadurch insgesamt in den nächsten vier Jahren sparen. Über eine entsprechende Vorlage wird die Stadtverordnetenversammlung im November entscheiden.

Begonnen hatte die Auseinandersetzung bereits im Jahre 2002. Zu diesem Zeitpunkt hatte die hessische Landeskartellbehörde ein Verfahren wegen möglicherweise missbräuchlich überhöhter Wasserpreise eingeleitet, das sie Ende 2015 mit einer Preissenkungsverfügung abschloss. Die Stadtwerke legten daraufhin Beschwerde ein, die eine Befassung der Gerichte nach sich zog. Der außergerichtliche Vergleich wird das Kartellverwaltungsverfahren jetzt beenden. Die Parteien werden ihren Klärungswunsch vor Gericht als erledigt erklären. Als Ausgleichsbetrag wurden im Vertrag rund 5,7 Mio Euro festgeschrieben.

Möglich gemacht hat die Lösung der Bundesgerichtshof mit einem Urteil Anfang 2023. Im Leitsatz heißt es „Ob die Kartellbehörde den durch einen Kartellverstoß erwirtschafteten Vorteil überhaupt und, wenn ja, nach § 34 Abs. 1 GWB abschöpft oder aber im Wege der Rückerstattungsanordnung nach § 32 Abs. 2a GWB vorgeht, steht grundsätzlich in ihrem pflichtgemäßen Aufgreif- und Verfolgungsermessen, wobei sie allerdings dem der Rückerstattung zugrundeliegenden Gesetzeszweck, einen wirksamen Rechtsgüterschutz für die Geschädigten zu gewährleisten, hinreichend Rechnung zu tragen hat.“

Davon macht die Kartellbehörde nunmehr Gebrauch. Um die Gießener Wasserkunden zu entschädigen, müssen die Stadtwerke Gießen die 5,7 Mio. Euro zwar formal an die hessische Kartellbehörde zahlen, diese verzichtet aber auf die Zuführung des Geldes in den Landeshaushalt und läßt anstelle dessen die Gießener Wassergebührenzahler direkt profitieren. Da die Wasserversorgung in Gießen im Jahr 2011 rekommunalisiert wurde, was als „Flucht in das Gebührenrecht“ kritisiert worden war, wird die Zahlung von den Stadtwerken Gießen nun stattdessen direkt an den städtischen Eigenbetrieb Mittelhessische Wasserbetriebe (MWB) geleistet, der seit der Rekommunalisierung die Wasserversorgung innehat. Dieser wird die Einnahmen ausschließlich zur Kostendeckung der Wasserversorgung einsetzen und kann daher seine Gebührenkalkulation neu überarbeiten. Die Aussetzung der bereits beschlossenen Gebührenerhöhungen in den Jahren 2026 auf 2,29 Euro/m³ und 2028 auf 2,35 Euro/m³ ist damit möglich. Stattdessen werden die Wassergebühren für Gießen – sofern die Stadtverordneten im November zustimmen – damit nach derzeitigem Stand bis zum Jahr 2030 stabil bei den derzeitigen Gebühren in Höhe von 2,15 Euro/m³ bleiben können. Das entspricht einer durchschnittlichen Preisersparnis in Höhe von 109 Euro pro Haushalt gegenüber den bisherigen Kalkulationen.

Beteiligte sind froh über die Beendigung eines ansonsten endlosen Verfahrens

Die Verantwortlichen gaben sich am Donnerstag erleichtert. „Bei allen Beteiligten hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass man sicher noch Jahre darüber hätte vor Gericht streiten können, ob die Preise damals angemessen waren oder nicht“, schlussfolgerte Gießens Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher (SPD). „Ein Ende war nicht in Sicht.“ Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) , in dessen Ressort die Landeskartellbehörde angesiedelt ist, gab sich mit der „pragmatischen Lösung“ zufrieden, die den Bürgern und Bürgerinnen zu Gute komme.

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Beitragsfoto: Bild von martaposemuckel auf Pixabay

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