Drohendes Preisdilemma für Wassersparer und der Entlastung durch höhere Grundpreisanteile
Sinkender Wasserverbrauch führt zu steigenden Wasserpreisen. Höhere Grundpreise könnten diese Entwicklung dämpfen und die Versorgungsqualität erhalten. Andere EU-Länder sind da schon weiter, auch wenn deshalb dort dringend erforderliche Sparanreize fehlen. In Deutschland gibt es Erfahrungen mit Umstellungen auf höhere Grundpreise. Das vom Wasserversorger RWW entwickelte und 2012 eingeführte Systempreismodell kann ein Ausweg sein.
Ursachenforschung: Wassersparen und Preisentwicklung
Fast überall in Deutschland geht die Wassernachfrage zurück. Ein Prozent im Jahr klingt zunächst harmlos, jedes Jahr ein Prozent wird dagegen eine Bedrohung. Qualität und Wirtschaftlichkeit brauchen eine Ausgewogenheit zwischen der Größe des Versorgungssystems und der Nachfrage. Genau da liegt das Problem. Hatten wir im Bundesgebiet 1990 noch einen Wasserverbrauch von 147 Litern täglich je Person, hat die Versorger 2012 die Realität mit 121 Litern eingeholt. Aber das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht. Sachsen liegt schon bei unter 90 Litern, die Großstadt Zwickau mit 74 Liter nur einen Zwischenwert. Ländliche Kommunen in Ostdeutschland stöhnen bei 60 Litern und weniger. Der demographische Wandel mit anhaltendem Bevölkerungsrückgang verschärft die Bedrohung. Dort, wo weniger Menschen leben, wird auch weniger Wasser verbraucht. Wer glaubt das sei ein ostdeutsches Problem, täuscht sich. Demographischer Wandel ist auch für westdeutsche Kommunen eine unüberwindliche Herausforderung. Schlimmer noch: zumeist trifft es ehedem schon strukturschwache Regionen. Damit ist der vermeintliche Erfolg bei der Ressourcenschonung durch Wasser sparen in Wirklichkeit ein Pyrrhussieg, nämlich dann wenn es um Kostenverteilung und Preisentwicklung bei der Trinkwasserversorgung geht. Die Wasserwerke und Rohrnetze waren angemessen ausgelegt. Forschungsinstitute erwarteten in den 80er Jahren jährliche Nachfragesteigerungen von fast einem Prozent. Das Vorzeichen änderte sich, statt Wachstm kam die Schrumpfung, die Nachfrage ging zurück. Damit verfügen wir mittlerweile über ungenutzte oder unzureichend ausgelastete Anlagen. Was zunächst komfortabel klingt, hat wirtschaftliche Folgen. Und die tragen wir alle. Aber der Reihe nach. Das Dilemma beginnt bei den Kosten: durchschnittlich 80 bis 85 Prozent der Gesamtkosten in der Wasserversorgung sind fix. Also unveränderlich auch dann, wenn weniger Wasser verbraucht wird. Diese Kosten gehören natürlich in die Wasserpreise. Sie müssen einkalkuliert und an die Verbraucher weitergegeben werden. Die Mehrzahl der deutschen Wasserversorger berechnen aber einen Großteil ihrer Gesamtkosten über die Verbrauchsmengen weiter. Auf der Rechnung steht dann Mengen- oder Verbrauchspreis. Hier landen durchschnittlich 85 Prozent und mehr. Die 80 Prozent Fixkosten können nicht durch die durchschnittlichen 15 Prozent fixen Entgelte, die als Grundpreise bezeichnet auf der Rechnung stehen, gedeckt werden. Also landen die Kosten in den Mengenpreis. Da bei Nachfragerückgängen die fixen Kosten auf immer weniger Wassermenge verteilt werden müssen, sind steigende Mengenpreise die unausweichliche Folge. Nahezu unvermeidlich wird der Wasserverbrauch somit immer teurer und die Kunden beschweren sich über Preisanstiege. Also titelte die Bild-Zeitung zutreffend: „Bescheuert! Weil wir so viel Wasser sparen wird es immer teurer“ Eine betriebswirtschaftliche Logik verständlich dargestellt. Dieser unvermeidlichen Preisspirale könnte mit einer Anhebung der Festpreisanteile entgegengewirkt werden. Damit können zukünftige Preissteigerungen geringer ausfallen und sich auf den dann geringeren Mengenpreisanteil beschränken. Der feste Grund- oder Systempreis, zumeist am Zähler oder an der Wohneinheit bemessen, deckt die Kosten für die Trinkwassernetze und -werke. Wir brauchen hierzulande eine aus dem Blickwinkel der technischen Systemerhaltung und ökonomischen Tragfähigkeit nachhaltige Lösung. Nur so können wir die bestehenden Infrastrukturen den kommenden Generationen erhalten – und das zu vertretbaren Wasserpreisen.
Lösungsweg: der Systempreis der RWW in Mülheim an der Ruhr
Wie das gehen kann, hat zum 1 Januar 2012 die RWW Rheinisch-Westfälische Wasserwerksgesellschaft mbH, Mülheim an der Ruhr, vorgemacht, ein neues Tarifsystem eingeführt und damit mittlerweile 18 Monate lang positive Erfahrungen sammeln können. Das frühere Tarifsystem mit einem 20%igem Grundpreisanteil wurde komplett umgestellt. Der „Systempreis“ wurde eingeführt. Dieser Preis verdeutlicht, worum es geht, nämlich um die Kosten der Systemleistungen des Wasserversorgers – im Wesentlichen die Rohrnetze und Wasserwerke.
Dieser Systempreis deckt jetzt 50 Prozent der Gesamtkosten von RWW und damit einen höheren Fixkostenanteil. Der Systempreis soll auch dann wenn die Mengen weiter zurückgehen für höhere Preisstabilität sorgen. Um die Umstellung für das Unternehmen umsatzneutral zu halten, hat RWW auf eine Preiserhöhung verzichtet und im Gegenzug den Mengenpreis um 25 Prozent abgesenkt. Somit werden 50 Prozent der Gesamtkosten über den Mengenpreis und 50 Prozent über den Systempreis eingenommen – Ausgewogenheit mit System.
Ein weiteres Novum stellt die Bemessungsgrundlage für den Systempreis dar. Statt der gebräuchlichen Wasserzähler werden die versorgten Wohneinheiten in einem Gebäude der Systempreisbemessung zugrunde gelegt. Dadurch und Dank einer ausgeklügelten Preisstruktur konnten im eigentlich kritischen Umstellungszeitpunkt die Be- und Entlastungen für Durchschnittskunden in einem Korridor von nur 5 Prozent gehalten werden. Und auch bei den wahren Sparfüchsen halten sich die Veränderungen in dem für die Wasserversorgung üblichen Rahmen von ein bis zwei Euro im Monat.
Erfahrungswert: vorausschauende Nachahmer bereiten Umstellung vor
Die Erfahrungen mit dem neuen Preissystem sind aus Sicht der Mülheimer erfreulich positiv. Aus der Kundschaft gab es nur sehr vereinzelte Beschwerden, diese sind mittlerweile weitgehend verebbt. Der weitaus überwiegende Mehrzahl der Kunden hat das neue Preissystem akzeptiert, ist die ermutigende Feststellung des RWW-Kundenservice. Das darf zum Teil auf die offen und dialogorientiert geführte Kommunikationspolitik zurückgeführt werden. Sicher haben die Kunden dadurch auch ein Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Vorhalteleistungen für das Versorgungssystem und der Kostenverteilung entwickeln können und wichtiger noch, dass es kaum einen anderen Weg aus der Preisspirale gibt. Die lokale Politik, bei der Entwicklung schon überzeugte „Geburtshelfer“ des neuen Tarifsystems, sieht darin mittlerweile einen Lösungsansatz für die Abwassergebühren. Jetzt sind auch andere Versorger auf das „Mülheimer Tarifsystem“ aufmerksam geworden. Die Fortschrittlichsten werden ihr eigenes neues Systempreismodell schon am 1.1.2014 einführen.
1 Trackback / Pingback