Aktueller Hinweis (8.6., 19:00 Uhr): Das Video ist zur Zeit nicht abrufbar. Eine Stellungnahme ist bei den Stadtwerken Duisburg angefragt.
Flaschenwasser kommt nicht aus der Leitung, sondern wird nicht selten über Hunderte von Kilometern transportiert. Die Umweltfolgen hat unlängst auch die Spitzenpolitik erreicht und Kommunen bewogen Trinkbrunnen zu errichten. Mit einer schlagkräftigen Guerilla-Marketing-Aktion haben die Duisburger Stadtwerke jetzt einen viralen Social-Media-Knaller anläßlich des heutigen Umwelttages am 5. Juni gelandet.
Dreh den Hahn auf. Stell den Wahnsinn ab. Warum es komplett unsinnig ist, Wasser in Plastikflaschen quer durch Europa zu transportieren.
#waternotwaste (Stadtwerke Duisburg)
„Es ist schon merkwürdig: Die ganze Welt macht sich Gedanken, wie wir Umwelt und Klima weniger belasten können. Woran dabei keiner denkt: an das Wasser, das wir jeden Tag trinken. Oder wussten Sie, dass jedes Jahr Milliarden Liter Mineralwasser per LKW nach Deutschland gebracht werden – und dabei pro Liter Wasser 1.400-mal soviel CO2 in die Umwelt gelangt wie bei einem Liter Wasser aus der Leitung? Dass in Deutschland jeden Tag fast 45 Millionen Plastikflaschen verbraucht werden? Dass kein Lebensmittel strenger kontrolliert wird als Leitungswasser? Oder dass Sie für einen einzigen Euro im Schnitt 500 Liter bestes Leitungswasser genießen können?“, so erklären die Stadtwerke Duisburg, die ihr Leitungswasser unter der „Marke“ PartnerWasser (Mhm!) verteilen, auf der Website ihre Motivation mit einem YouTube-Video und auf anderen Sozialen Medien mit dem Hashtag #waternotwaste auf die Umweltbelastungen durch Flaschenwasser aufmerksam zu machen. Um so richtig zu rütteln, wurde ein Video gedreht.
Duisburger Stadtwerke haben den Spieß einfach umgedreht
Evian-Wasser stammt aus den französischen Alpen. In Kunststoffflaschen abgefüllt legt jeder Liter per LKW transportiert von Évian-les-Bains bis Duisburg 767 Kilometer zurück. Macht das Sinn? Um die Frage zu beantworten, haben die Duisburger Stadtwerke jetzt den Spieß einfach umgedreht. Sie haben es gemacht, wie die Flaschenwasseranbieter. Das Wasser aus den Leitungen der Ruhrgebietsstadt wurde in Kunststoffflaschen abgefüllt und nach Evian gebracht. Ein Truck macht sich auf den Weg und bringt das Wasser aus der Leitung in die Stadt am Ufer des Genfer Sees, von woher das Wasser des Nahrungsmittelkonzerns Danone stammt. Dort wird das Wasser aus der Ruhrgebietsstadt den erstaunten Bürgern von Évian-les-Bains in einer Blindverkostung zur Trinkprobe angeboten. Dies „Wasser-Gourmets“ zeigen sich erstaunt wie gut das Wasser aus Duisburg schmeckt. Also lautet die versteckte Botschaft, wenn es denen schmeckt, dann sollte sich in Duisburg doch auch jeder über das gute Leitungswasser freuen. Nur sollte man es dann nicht PartnerWasser nennen, oder?
Warum die Stadtwerke das machen beantworten sie auf meine Nachfrage prompt: „Als Wasserversorger in Duisburg liefern wir den Menschen in Duisburg mehr als 30 Milliarden Liter Trinkwasser in Lebensmittelqualität. Und das Jahr für Jahr. Wasser ist Teil der Daseinsvorsorge und wir nehmen unseren Auftrag ernst. Dafür investieren wir mehrere Millionen Euro jedes Jahr in die Versorgungsinfrastruktur. Der Film soll unser Engagement für Trinkwasser in Lebensmittelqualität zur Versorgung der Menschen in Duisburg auf pointierte Art in Szene setzen, denn wir sind davon überzeugt, dass unser Trinkwasser für die Menschen in Duisburg ein exzellenter Durstlöscher ist.“ Ja nee, is klar! Aber deshalb in Flaschen nach Evian?
„Der Film soll aufmerksamkeitsstark für ein aus unserer Sicht wichtiges Thema sensibilisieren. Wenn die Botschaft bei den Menschen ankommt und ihnen der Film außerdem gefällt, freut uns das umso mehr.“ Der Film kommt an und gefällt, wie die Klicks auf YouTube und die Kommentare in den Sozialen Netzwerken belegen.
Wie werden die Flaschenwasseranbieter reagieren?
Wir erinnern uns, dass in den vergangenen Monaten die deutschen Mineralbrunnen nicht gerade amused waren über die mediale Berichterstattung zur Umweltrelevanz von Flaschenwasser. Könnten diese sich mit dieser Kampagne nicht erneut angegriffen fühlen? Meine Antwort darauf: Nein, denn schließlich zielt die Kampagne auf einen Lieferanten aus dem Ausland ab und nicht auf einen Flaschenwasser-Abfüllen aus der Nachbarschaft der Stadtwerke. So ähnlich bestätigen es auch die Stadtwerke Duisburg. „Unser Film richtet sich nicht gegen spezielle Unternehmen, sondern soll die Menschen für ein aus unserer Sicht wichtiges Thema sensibilisieren, das jeden etwas angeht. Wie Sie sicher wissen, gehört Trinkwasser zu den am stärksten kontrollierten Lebensmitteln in Deutschland. Gleichzeitig nehmen wir wahr, in welchem beispiellosen Ausmaß in unserer Welt Plastikmüll produziert wird. Diese Situation haben wir zum Anlass genommen, um ganz bewusst und sehr bildhaft auf die Situation aufmerksam zu machen. Dabei geht es uns keinesfalls darum, Produkte oder Marken miteinander zu vergleichen oder gegen eine bestimmte Marke zu wettern, sondern um Grundsätzliches. Wir zeigen dem Verbraucher, welche Umweltbelastung im Vergleich zum Wasser aus der Leitung entsteht. Aus Überzeugung und nicht aus einem wettbewerbsrelevanten Gedanken. Die klare Botschaft zielt also auf den Wert des Trinkwassers, das jeden Tag frisch aus dem Hahn kommt.“ Na ja, sag ich als kritischer Betrachter, so ein bisschen richtet es sich schon gegen Marken, warum sonst wählte man die Stadt Évian-les-Bains? Und, natürlich fragte ich nach den Kosten. Ebenso natürlich bekam ich darauf keine Antwort.
Die #Wasserwende ist auf dem Vormarsch
Wir werden alle gespannt sein, wie die Story weiter geht. Wer das Wasser aus Duisburg trinken will, muss sich dann aber nach dorthin begeben. „Wir veranstalten regelmäßig „Tage der offenen Tür“ in unsere Wasserwerken. Auch dort haben wir interessierten Besuchern schon „Blindverkostungen“ angeboten“, heißt es aus der Unternehmenskommunikation auf meine Anfrage.
Aber auch andere Städte und Wasserversorger machen mit starken Kampagnen auf die Vorzugswürdigkeit des Leitungswassers aufmerksam. Dazu wurde, gefördert durch das Bundesumweltministerium, im vergangenen Jahr die „Wasserwende vor Ort“ ausgerufen. Der enthusiastische Verein a Tip:tap arbeitet bundesweit mit einem Dutzend Wasserversorgern in ausgewählten Stadt-Quartieren zusammen, um über das Wasser aus der Leitung aufzuklären. Hierzu gehören u.a. Mülheim an der Ruhr-Styrum, Gelsenkirchen, Berlin, Sylt und andere Orte.
NACHTRAG
Meinen Linkedin-Beitrag kommentierte Jörg Sommer, Vorsitzender der Deutschen Umweltstiftung, zurecht mit dem Hinweis auf den Claim auf dem Truck „Dieser Geschmack ist jeden Kilometer Wert“ nicht zu unrecht als selten dämlichen Slogan!
Weiterführendes
- #waternotwaste, die Duisburger Kampagnen-Seite
- Stadtwerke Duisburg Wasserversorgung
- Wasserwende im Wasserquartier Mülheim, a tip:tap
- Die Wasserwende am Wasserhahn: #machseinfach, LebensraumWasser, 2019
- FAZ am Sonntag: Sieg nach Punkten für’s Wasser aus dem Hahn, LebensraumWasser, 2014
Ich bin mir ziemlich sicher der Slogan ist ironisch gemeint. Die ganze Aktion sollte doch zeigen, wie dämlich es ist Wasser so weit zu transportieren….