„Die Wände werden plötzlich feucht. Der erste Gedanke „Rohrbruch“ findet in dem Moment sein Ende, wo die Feuchtigkeit, die bald zur Nässe wird, an mehreren Stellen in der Wand austritt. Die Ursache kann fatale Folgen haben: Kupferkorrosion. Die Schäden machen sich nicht direkt nach der Installation bemerkbar, sondern erst wenn die Korrosion das Material zum Durchbruch gebracht hat. Dieser Vorgang kann unterschiedlich lange dauern und ist abhängig von der Wandstärke des Kupferrohres, den Inhaltsstoffen des Wassers, den Installationsbedingungen und der Inbetriebnahme. Die Zeiträume können von mehreren Monaten bis Jahren reichen. Zudem werden Schäden an Rohrleitungen, die in den Wänden und in den Fußbodenaufbauten liegen, erst sehr spät erkannt. Bei bundesweit über 2 Millionen Leitungswasserschäden jährlich liegt die durchschnittliche Schadenshöhe bei rund 2.000 Euro, erklären Vertreter der Versicherungswirtschaft die volkswirtschaftliche Dimension. Allerdings können in Einzelfällen der Schadenumfang auch dramatische Ausmaße annehmen: über 10.000 Euro, manchmal sogar sechsstellige Beträge, können fällig werden. Schlimmstenfalls muss die gesamte Hausinstallation ausgetauscht werden. Auch wenn der Schaden klar wird oder ein Gutachter zu Rate gezogen werden musste, die Ursache bleibt meistens im Verborgenen. In jedem Fall iSt ein Verantwortlicher zumeist schnell ausgemacht: der Handwerker. Er hat die Installation eingebaut und haftet für sein Werk.
Gerichte lassen nach Ursachen suchen
Die Anzahl der möglichen Ursachen für die Schäden ist groß. Klar herausgefunden hat man bisher keine. In der Regel ist dies auch nicht einfach. Die Experten gehen sogar davon aus, dass es ein Ursachenbündel ist. Dafür hat man auch einen Begriff gefunden: multikausal oder multifaktoral. Weder sind es die Rohre, ist es der Einbau, ist es die Inbetriebnahme oder das Trinkwasser – alleine. Auch Betriebsmittel kommen in Frage, zum Beispiel Hanf bzw. Flussmittel. Die Korrosionsfachleute bleiben ratlos, auch weil sie den Zustand der mittlerweile geschädigten Rohre zum Zeitpunkt des Einbaus nicht kennen können. In einem Fall stellte der Gutachter ein so genanntes „lokales Element“ fest. Dies besteht aus Kalzium, Silizium, Chlor, Eisen und Schwefel. Ein Lokalelement entsteht immer dann, wenn eine Inhomogenität in der Deckschicht der Metalloberfläche vorhanden. Dann kann sich keine homogene Deckschicht auf der inneren Metalloberfläche aufbauen, die das Grundmaterial vor weiteren Korrosionsangriffen schützt. Bei Kupfer kann der Aufbau dieser schützenden Deckschicht in Abhängigkeit der Wasserinhaltsstoffe sehr lange dauern. In dieser Zeit ist das „quasi“ ungeschützte oder „jungfräuliche“ Rohr entsprechend korrosionsanfällig.
So ein Korrosionsvorgang ist natürlich und läuft bei jedem Metallwerkstoff ab. Kupferatome werden aus der Anode gelöst, indem sie Elektronen abgeben. Kupferionen werden dort an das Wasser abgegeben und die Elektronen wandern im Metallrohr an die Kathode, an der sie mit den Wasserinhaltsstoffen eine Reaktion eingehen. Kupfer wird somit aus dem Kupferrohr gelöst, so dass die Rohrwandung geschwächt wird und Lochfraß bis zum Durchbruch entsteht.
Diese Lokalelemente können schon durch kleinste Störungen bei dem Aufbau einer schützenden Deckschicht entstehen. Beispielsweise reicht ein Sandkörnchen aus, um das elektrochemische Potenzial an dieser Stelle zu ändern mit der Folge, dass sich dort der Korrosionsstrom konzentriert (deshalb sind Feinfilter bei der Erstbefüllung notwendig) – von den Richtern aus nachvollziehbaren Gründen als Ursache für einen Schaden angesehen. Das würde dann auch die Häufigkeit der Fälle in einer Installation erklären, da ja in solchen Fällen nicht nur ein Sandkorn in die Rohre gelangt ist. Natürlich gibt es auch noch andere Erklärungen, aber alle haben gegenwärtig mit den Installationsarbeiten zu tun. Vielleicht hat das Rohr aber auch „nur falsch“ im Werk oder beim Händler gelegen und es hat sich Kondenswasser darin gesammelt, dann können schon die ersten Korrosionsstellen entstanden sein, ohne dass es der Handwerker beim Einbau hätte merken können. Trotzdem haftet er. Denn nachweisen kann er nichts. Wenn das Rohr bei der Lagerung vor dem Einbau Kondenswasser in der 6-Uhr-Lage dauerhaft gesammelt hat, ist nicht auszuschließen, dass sich in dieser Zeit bereits Ansätze zu örtlicher Korrosion ausbilden. Solche Ansätze offenbaren sich im späteren Einsatz als ausgesprochene Schwachstellen, an denen es dann beim Betrieb mit dem Leitungswasser zu fortschreitender Lochkorrosion kommen kann. Dies scheint weitgehend unabhängig von der Wasserbeschaffenheit in praktisch jedem sauerstoffhaltigen Wasser möglich zu sein. Genau deshalb tritt die Korrosion in den Rohren auch in vielen Regionen auf.
In den meisten Fällen kommt es zu Gerichtsverfahren. Die Richter kommen mit Unterstützung von Gutachtern zu meist eindeutigen Ergebnissen und entscheiden gegen den Handwerker, wenn sich andere Gründe nicht finden lassen. Der Installateur hat daher keine Chance, weil bei Werkverträgen die Gewährleistung fünf Jahre ab Abnahme beträgt. Wenn in dieser Zeit ein Schaden eintritt, steht die Vermutung an, dass es sich um eine fehlerhafte Leistung des Installateurs handelt. Dafür muss dann der Handwerker gerade stehen. Und zwar allein. An den Lieferanten des Kupfermaterials könnte er die Kosten ehedem nicht weiterreichen, da hier nur eine Gewährleistung von zwei Jahren besteht. Zwar könnte der Rohrlieferant in die Haftung genommen werden, dazu müsste nachgewiesen werden, dass das Material Fehler aufweist. Dafür ist es aber zu spät. Leider könnte dies der Handwerker ehedem nicht mehr nachweisen.
Das Trinkwasser scheidet als Ursache aus
Die Ursache ist ein großes Rätsel. Bisher hat es in den vielen Regionen in Deutschland, wo das Phänomen bisher auftrat, noch keine eindeutige Klärung gegeben. Sei es im Raum Baden, im Weserbergland, im Sauer-Siegerland, am Niederrhein oder – wie aktuell – in Dorsten. Einige Fachzeitschriften für das Installateurhandwerk und dem Sanitärsektor berichten über vermehrte Schadensfälle in dem Versorgungsgebiet der RWW Rheinisch-Westfälische Wasserwerksgesellschaft in Dorsten-Holsterhausen, am westlichen Rande des Ruhrgebiets. Trotz intensiver Ursachenforschung, die von RWW unterstützt wird, gibt es auch in dieser Region keine Hinweise auf die Ursachen. Die Trinkwasserqualität weist jedenfalls keine Besonderheiten auf, die eine Verwendung von Kupfer als Leitungsmaterial ausschliesst. Schliesslich sind die Schadensfälle trotz ihrer Größenordnung und Folgen für die betroffenen Handwerksbetriebe nur Ausnahmefälle. Immerhin werden über 30.000 Gebäude mit dem Trinkwasser versorgt. Wenn dabei in 300 bis 500 Objekten – so genau können das selbst die betroffenen Betriebe nicht angeben – Korrosionsschäden auftreten, dann ist das immer noch ein Bruchteil. Und das Wichtigste: Das Trinkwasser muss sich nicht der Installation anpassen, sondern das für die Rohrleitungen eingesetzte Material dem Trinkwasser. Da das Sanitärhandwerk jetzt kein Risiko mehr eingehen will, hat die NRW-Landesfachgruppe Installateur und Heizungsbau ihren Mitgliedsbetrieben vorsorglich empfohlen, „im Versorgungsgebiet des RWW-Wasserwerks Dorsten-Holsterhausen bis auf weiteres Trinkwasser-Installationen nicht in Kupfer (ausgenommen innen beschichtetes Rohr) auszuführen.“ Eine solche „Abempfehlung“ gefährdet natürlich die Interessen der Kupferindustrie. Diese möchte natürlich nicht, dass in der Region kein Kupfer mehr eingesetzt wird. Daher suchen sie nach anderen Verantwortlichen.
Jetzt muss die Wasser-Forschung ran
Um Licht ins Dunkel und die Diskussion auf eine „objektive und zielführende Ebene zu bringen“, hatte das Deutsche Kupferinstitut (DKI) am 20. August 2015 zu einem Expertengespräch nach Bonn-Bad Godesberg zum „Regionalen Korrosionsphänomen im Versorgungsgebiet Dorsten-Holsterhausen“ eingeladen. Dort sollten sich Vertreter der Wasserwirtschaft, der Industrie und aus Verbänden dem Problem aus einer anderen Perspektive nähern. Eingeladen waren auch zahlreiche Pressevertreter. Dabei hatte man allerdings versäumt, den örtlichen Wasserversorger RWW einzuladen. Auch bei diesem Austausch wurde von den Experten vor den Augen und Ohren der Fachpresse festgestellt, dass eigentlich zu wenig über die Ursachen bekannt und zu unbestimmte Daten vorliegen. Daher erkannte man, so die nachfolgende Presseinformation des Interessenverbandes der Kupferindustrie, „dass zur Lösung der ungeklärten Schadensfälle in Holsterhausen unbedingt eine allgemein gültige Datenbasis von allen Beteiligten zusammengestellt werden muss, wobei alle Fakten auf den Tisch müssen.“ Obwohl auch die betroffenen Sanitärbetriebe aus Dorsten zu den Teilnehmern der Veranstaltung zählten, fehlten auch dort verlässliche Fallzahlen. Damit sind nicht nur die Ursachen unbekannt, sondern auch die Schadensfälle selbst. Es gibt also tatsächlich großen Bedarf für eine Klärung.
Aber darauf müsste nicht gewartet werden. RWW selbst hat schon im vergangenen Jahr einige Hebel in Bewegung gesetzt, um die Betroffenen zu unterstützen. So wurden andere Versorger mit einer Befragung zu einem Erfahrungsaustausch aufgerufen. Zwar war die Resonanz zunächst zahlenmäßig unter den Erwartungen geblieben, jene die sich meldeten wollten aber sogar Gutachten mitbringen, damit über Fakten diskutiert werden kann. Auch das IWW Institut für Wasserwirtschaft in Mülheim an der Ruhr, das mit Frau Dr. Angelika Becker in dem Thema eine branchenübergreifende Expertin aufweisen kann, wurde gebeten die Ursachenforschung zu unterstützen. Frau Dr. Becker, schon in anderen Regionen für solche Fälle als Gutachterin und Ursachenforscherin beauftragt, konnte bisher in Dorsten keine Ergebnisse vorweisen insbesondere weil auch ihr die Daten fehlten. Aber nicht nur die: Rohrstücke aus schadenhaften Installationen, so genannte Asservate, die zur Materialprüfung hätten genutzt werden können, waren ebenfalls nicht verfügbar. Daher wurde jetzt ein Forschungsprojekt angestossen. Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfachs DVGW soll mit den besten Fachleuten ausgestattet, die Ursachenanalyse betreiben. Wichtig dabei: der DVGW hat keine eigenen Interessen, ist nicht Geschädigter oder Betroffener. Das Ergebnis sollte von allen anerkannt werden können. Eine Akzeptanz, die dem geplanten Expertenpanel des DKI vermutlich gefehlt hätte. Daher setzen jetzt viele Interessierte und Beteiligte auf den DVGW und dass die erforderliche Finanzierung sicher gestellt wird. Wenn man bedenkt, welche Schäden entstehen können und welche Umsatzeinbussen die Kupferindustrie erleiden könnte, sollte es an der Finanzierung kaum scheitern können.
Wer ähnliche Fälle kennt, Betroffener ist, Fragen hat oder das Entstehen des Forschungsprojektes unterstützen möchte, kann sich an den Autor von LebensraumWasser wenden Email: siegfried@gendries.de
Fachzeitschriften: http://www.ikz.de/nc/news/article/kupferrohrkorrosion-in-nrw-empfehlung-zum-materia-0053796.html
Bildquelle: IWW
War noch hier. Schönen Abend.