Wie der Nestlé-Konzern sein Wassergeschäft neu aufstellt

Nestlé baut sein Wassergeschäft um. Im Februar überraschte Nestlé mit der Ankündigung, einige seiner US-Wassermarken verkaufen zu wollen. Wer dachte, der Lebensmittel-Multi will sich aus dem Geschäft mit Flaschenwasser zurückziehen, und hoffte, dass sich dies auch auf Nutzungskonkurrenzen bei deutschen Brunnen niederschlagen könnte, wurde mit dessen Erklärung an den US-Premium-Wassermarken festhalten wollen, ernüchtert.

„Klasse statt Masse“

Beobachter der „Wasserszene“ dürfte die Entscheidung von Nestlé nicht überrascht haben. Der Schweizer Konzern hatte im Sommer 2020 die strategische Überprüfung seines Wassergeschäfts in den USA und dessen möglichen Verkauf angekündigt und eine Entscheidung für Anfang 2021 in Aussicht gestellt. Jetzt werden Fakten geschaffen. Das nordamerikanische Geschäft mit Flaschenwasser sowie dem Getränkelieferdienst ReadyRefresh® wird Nestlé nun für 4,3 Milliarden Dollar an die US-Finanzinvestoren One Rock Capital Partners und Mitropoulos & Co. verkaufen. Abgestoßen werden die eher für den Massenmarkt bestimmten Marken wie Pure Life, Poland Spring und einige weitere Flaschenwässer, die offenkundig nicht mehr die Renditeforderungen von Nestlé erfüllen. Zudem will sich Nestlé stärker fokussieren. Das erklärt Nestlé CEO Mark Schneider: „We continue to transform our global waters business to best position it for long-term profitable growth. This sale enables us to create a more focused business around our international premium brands, local natural mineral waters and high-quality healthy hydration products. We will also boost our innovation and business development efforts to capture emerging consumer trends, such as functional water.“ Demzufolge will sich der Konzern auf Premium-Wassermarken, auf lokales Mineralwasser und Innovationen wie „funktionelles Wasser“ konzentrieren. An seinen Premium-Marken Perrier, S.Pellegrino und Acqua Panna u.ä. hält Nestlé fest. Im vergangenen Jahr wurde das chinesische Wassergeschäft abgestossen.

Nestlé verstärkt sich beim Lifestyle Wasser

Mit Zukäufen hat der Nahrungsmittelriese nicht lange gewartet. Am 5. März 2021 wurde der Kauf der amerikanischen Wassermarke Essentia Water verkündet – ein Anbieter von „funktionelles Wasser“ in Flaschen. Diese Wasser-Art ist anders als Mineralwasser nicht natürlichen Ursprungs, sondern wird „veredelt und konditioniert“. Dafür werden Zusatzstoffe für bestimmte Funktionen hinzugefügt, die die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Körpers und den Geschmack von Wasser verbessern sollen. Nestlé will also im Wasser-Lifestyle-Sektor mitmischen. Das könnte lukrativ sein, denn für eine Flasche wird ein Preis in Höhe von rund 20 US-$ im US-Supermarkt Walmart aufgerufen. Unmittelbar nach der Bekanntmachung konnte die neue Nestlé-Marke auch auf der AMAZON-US-Seite online bestellt werden.

dass Nestlé an Massenmarken nicht mehr interessiert zu sein scheint. Essentia-Wasser werde in über 90’000 Läden in den USA verkauft. Das Unternehmen sei die Nr. 1 im US-Markt mit ionisiertem, alkalischem Wasser. Der Gesamtmarkt mit stillem Premiumwasser in den USA werde auf 2,7 Milliarden US-Dollar geschätzt. Von 2018 bis 2020 habe das Unternehmen Essentia ein jährliches Wachstum von 30 Prozent erzielt, sagte der Nestlé-Sprecher. Mit 192 Millionen US-Dollar beträgt der Marktanteil bereits 7 Prozent. Dass sich auch der Handel von dem Einstieg von Nestlé Waters’, dessen weltweiter Spartenumsatz im Jahr 2018 7,8 Milliarden US-Dollar betrug, eine stärkere Nachfrage verspricht, dürfte daran zu erkennen sein, dass Essentia Water seit dem heutigen Tage auch auf der AMAZON-US-Seite online bestellt werden kann.

US-Werbung von Essentia Water (Website; Abruf 8.3.2021)

Verändertes Umweltbewusstsein und kritischere Haltung in den Gewinnungsregionen

Möglicherweise hat Nestlé Sorge um das Image und fürchtet den Gegenwind aus der Umweltpolitik. In vielen Regionen stößt der Konzern nicht mehr nur auf den Widerstand von ÖkoaktivistInnen, sondern zieht sich auch vermehrt den Argwohn der Bürger auf sich. Der langjährige Erfolg wird den Schweizern zum Verhängnis. Flaschenwasserabfüller, die aus den Brunnen und Quellen immer mehr Wasser entnehmen wollen oder neue Entnahmerechte benötigen, stossen vor Ort immer häufiger auf Gegenwehr. Denn in Zeiten des zunehmenden klimabedingten Wasserstresses befürchten viele Bürger, dass sie später auf dem Trockenen stehen werden. Dafür gibt es Beispiele, die über die lokale Wahrnehmung hinauswachsen. So sehen sich Nestlé in Vittel, Coca-Cola in Lüneburg und Danone in Volvic mit Widerstand aus der lokalen Bevölkerung konfrontiert. In den solidarisierenden Internetforen formiert sich nicht nur Widerstand, dort wird auch zum Boykott aufgerufen. Darüber berichten auch überregionale Medien und TV. Vor zwei Jahren titelte das HANDELSBLATT die Story „Warum Nestlé so unbeliebt ist“. Mag sein, dass Nestlé die Zeichen der Zeit erkannt und auch deshalb einen Rückzieher eingeleitet hat.

Hinzu kommt, dass in der deutschen und europäischen Umweltpolitik Wasser aus Plastikflaschen in der Kritik steht. Die neue EU-Trinkwasserrichtlinie und die europäische Umweltpolitik lenken regulatorisch verstärkt in Richtung Leitungswasser. Das bleibt nicht ohne Folgen. Bis vor einigen Jahren kannten die Absatzzahlen beim Flaschenwasser nur den Weg nach oben. Zwischen den Jahren 2000 und 2018 stieg der Pro-Kopf-Konsum an Mineralwasser in Deutschland um 47 Prozent auf 147 Liter jährlich an. Seitdem ist Rückgang angesagt. Trotz der heißen Sommer waren es nur zuletzt noch 133 Liter jährlich. Diese Zahlen und die Rahmenbedingungen lassen erkennen, weshalb Nestlé möglicherweise auch in Deutschland das Wassergeschäft auf den Prüfstand stellen wird. Angefangen hat der Konzern mit der Ankündigung eines Produkts zur Aufbereitung von Leitungswasser. In den USA bewegt sich das Angebot schon in die Haushalte – besonders einfallsreich waren die Marketingexperten nicht gerade. Aus der öffentlichen Kampagne „Refill“ machte Nestlé „Refill Plus“.

Quellen / Weiterführendes

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Was meinen Sie dazu?

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.