Die GRACE-Mission und ihr Daten-Beitrag zum Verständnis der Wasserressourcen in Deutschland (Interview)

Viel diskutiert wird gegenwärtig über die Datenqualität der GRACE-Mission zur Bestimmung der Wasser- und Grundwasser-Dargebote in Deutschland. Auslöser war eine TV-Dokumentation des ARD-Events #unserWasser mit dem Titel „Durst – wenn unser Wasser verschwindet“. Darin warnt der US-Wissenschaftler Jay Famiglietti von einem starken Rückgang des Grundwasser-Dargebots in Deutschland. Dies sorgte in Wasser-Fachkreisen für Irritationen und auf „Facebook & Co.“ für besorgte Nachfragen in der Bürgerschaft. Grund genug, in der Fachwelt nachzufragen. Daher habe ich deutsche Wasser-ExpertInnen um Ihre Einschätzung gebeten. Einer von ihnen war Prof. Dr. Frank Flechtner, als Leiter der „Sektion 1.2: Globales Geomonitoring und Schwerefeld“ beim Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ Potsdam, dürfte er wohl einer der besten Kenner der Fähigkeiten und Schwachstellen der GRACE bzw. GRACE-FO-Mission für die Bestimmung von Wasservorräten auf der Erde und in Deutschland sein. Das Leistungsspektrum der Mission und ihre Grenzen für die Aussagekraft der Daten beschreibt Prof. Dr. Flechtner in dem nachfolgenden Interview.

Frage: Findet diese Methode der Gravitationsmessung GRACE hierzulande bereits Anwendung?

Antwort Prof. Dr. Flechtner: Die Missionen GRACE (2002-2017) und GRACE-FO (seit 2018) wurden in enger technologischer und wissenschaftlicher Kooperation jeweils in einem Memorandum of Understanding zwischen dem DLR und der NASA (GRACE) bzw. dem Deutschen GeoForschungsZentrum und der NASA (GRACE-FO) realisiert. Das GFZ macht, in Zusammenarbeit mit JPL und der University of Texas Center for Space Research (UTCSR), für beide Missionen seit 20 Jahren die wissenschaftliche Auswertung. Die Daten werden im Gravity Information Service am GFZ aufbereitet den nationalen und internationalen Nutzern kostenfrei und ohne Anmeldung zur Verfügung gestellt.

Das GFZ erstellt auch momentan mit verschiedenen europäischen Kolleginnen und Kollegen im Rahmen einer EU-Förderung ein Global Gravity-based Groundwater Product (G3P) auf. Von daher ist diese Frage eindeutig mit „ja“ zu beantworten.

Der oft kolportierte Hinweis, dass es sich um reine NASA-Missionen handelt ist für uns sehr ärgerlich: GRACE und GRACE-FO sind eine deutsch-amerikanische Erfolgsgeschichte.

Einige Links dazu sind
GRACE-FO am GFZ: https://www.gfz-potsdam.de/sektion/globales-geomonitoring-und-schwerefeld/projekte/gravity-recovery-and-climate-experiment-follow-on-grace-fo-mission
Gravity Information Service: http://gravis.gfz-potsdam.de
G3P: https://www.g3p.eu/

Struktur des GLOBAL GRAVITY-BASED GROUNDWATER PRODUCT (Q.: G3P)

Können Sie beurteilen, inwieweit aus Ihrer Sicht die gezeigten Daten mit den Gegebenheiten beim Grundwasser-Dargebot in Deutschland übereinstimmen?

Die Bildüberschrift im Interview des von uns sehr geschätzten Kollegen Jay Famiglietti ab ca. Minute 40 zeigte den Trend in „Total Water Storage“. TWS ist der primäre Output der GRACE und GRACE-FO Missionen und besagt, dass es um die Veränderung des Gesamtwasserspeichers in einem bestimmten Gebiet geht. GRACE und GRACE-FO beobachten auf monatlichen Skalen diese Veränderung. Wir können dabei nicht direkt ausmachen, welche der Einzelkomponenten Oberflächengewässer (Seen, Flüsse) (OFG), Bodenfeuchte (BF), Schneebedeckung (SB), oder Grundwasser (GW) dafür verantwortlich ist. Das Messprinzip beruht auf der Bestimmung der Gesamtmassenvariationen auf und unter der Erde unter Anwendung des Gravitationsgesetzes (2 Massen (Satellit und Wasser auf der Erde) ziehen sich an; Kleinste Veränderungen (im Mikrometerbereich) im Abstand der beiden Zwillingssatelliten sind direkt in Verbindung zu setzen mit Massenvariationen unter den Satelliten). Nur durch Hinzunahme von Daten anderer Missionen oder von Modelldaten für die Oberflächengewässer, Bodenfeuchte, und Schneebedeckung kann man aus Total Water Storage durch Subtraktion der anderen dann auf Grundwasser schließen. Das wird gerade unter Leitung des GFZ für die EU als globaler Prototyp entwickelt und soll perspektivisch operationell in den Copernicus Climate Change Service integriert werden (s.o.)

Grundsätzlich decken sich die Aussagen von Jay Famiglietti und von uns (und allen anderen Wissenschaftlern, die GRACE/FO-Daten nutzen). Natürlich verwenden wir alle leicht unterschiedliche Auswertemethoden so dass auch die Ergebnisse sich leicht unterscheiden können. Leider liegen uns die Details von Jays Prozessierung bisher nicht vor, so dass wir die Zahl für das von ihm verwendete Gebietspolygon nicht unmittelbar nachrechnen können. Fakt ist aber: Deutschland verlor insbesondere durch die Trockenjahre 2018 und 2019 sehr deutlich an Wasser. Meine Kollegin Eva Börgens hat dies zusammen mit weiteren Kollegen vom GFZ kürzlich in einem Paper für Mitteleuropa dargestellt. Dieses Defizit konnte seitdem nicht wieder aufgefüllt werden.

siehe auch Boergens, E., Güntner, A., Dobslaw, H., Dahle, C. (2020): Quantifying the Central European Droughts in 2018 and 2019 with GRACE‐Follow‐On. – Geophysical Research Letters, 47, 14, e2020GL087285. https://doi.org/10.1029/2020GL087285

Wie erklären Sie sich mögliche Abweichungen von der hiesigen Datenlage?

GRACE/GRACE-FO sind das einzige Fernerkundungsverfahren, dass sensitiv auf Gesamtmassenänderungen reagiert. In situ Daten aus Grundwassermessstellen liefern punktweise Informationen zum Grundwasserstand, aber nicht unmittelbar zu Volumenänderungen des Grundwassers an diesem Punkt noch für eine größere Region. Andere Fernerkundungsverfahren hingegen liefern nur Informationen über Wasserverteilungen an der Oberfläche und nicht über Speicheränderungen im Untergrund. Die Beobachtungen der Schwerefeldsatelliten sind somit eine sinnvolle Ergänzung bestehender hydrologischer Monitoringsysteme, aber können – und sollen – diese natürlich nicht ersetzen. Gewisse Abweichungen von bisherigem Wissen basierend auf bereits länger verfügbaren Beobachtungssystemen sind also unausweichlich.

Wo sehen Sie ggf. Schwachstellen bei der Verwendung der Gravitationsmessung bei der Bestimmung des Grundwasser-Dargebots?

Wie oben beschrieben, bestimmt GRACE nicht direkt die Veränderungen im Grundwasser sondern die Veränderungen des Total Water Storage und man braucht für die Bestimmung von Grundwasser zusätzliche Informationen. Gleichzeitig hat diese Beobachtungsmethodik einen entscheidenden Vorteil: GRACE und GRACE Follow-on sind die einzigen Missionen, die zeitliche Variationen im Erdschwerefeld und damit verbundener Massentransporte global und integrativ beobachten können. Massentransporte spiegeln die Veränderungen des globalen Wasserkreislaufs ab, und helfen den Klimawandel zu beobachten. Ohne die Missionen wäre eine globale und flächendeckende Beobachtung der Wasserspeicherung und mit ihr des Grundwassers (durch Abzug der anderen Wasserkomponenten, wie oben beschrieben) überhaupt nicht möglich.

„Terrestrial Water Storage (TWS)“ – also die Größe, die von den Schwerefeld-Missionen GRACE und GRACE Follow-on beobachtet werden kann, wurde kürzlich vom Global Climate Observing System (GCOS) als Essentielle Klimavariable – Essential Climate Variable (ECV) – definiert. TWS gehört somit zu den wesentlichen Parametern des Klimasystems.

Eine Schwachstelle ist jedoch, dass wir momentan nur mit begrenzter räumlicher (300×300 km) und zeitlicher (monatlich) Auflösung beobachten. Daran arbeiten wir und dies soll ab 2031 verbessert werden. Dazu will das GFZ zusammen mit dem DLR und der NASA bereits 2027 einen Nachfolgemission für GRACE-FO realisieren. GRACE-I soll die Kontinuität der Beobachtung des zeitvariablen Schwerefeldes basierend auf Laser Ranging Interferometer (LRI) Daten ab 2027 garantieren. Das LRI wurde erfolgreich auf GRACE-FO erprobt und ist wieder eine D/US-Erfolgsstory. GRACE-I wird auch erstmalig ein operationelles, globales Biodiversitätsmonitoring über die ICARUS-Nutzlast ermöglichen und Synergien zwischen Veränderungen im globalen Wasserkreislauf und Tierbewegungen untersuchen. Zusätzlich soll erstmalig ein Quantum Gravity Gradiometer (QGG) als erneuter D/US Technologie- Demonstrator für künftige Schwerefeldmissionen realisiert werden. GRACE-I soll dann in 2031 mit einer Next Generation Gravity Mission der ESA zu einer Doppelpaarmission kombiniert werden und dann die räumliche und zeitliche Auflösung deutlich erhöhen.

Zusammengefasst nehme ich für mich aus dieser Darstellung mit, dass die GRACE-Mission essentielle Daten für den gesamten Globus liefert, aber nur zum Teil über den Zustand unserer hiesigen Grundwasserressourcen. Es ist unmittelbar nachvollziehbar, dass die Messungen aus dem Weltall gewisse Grenzen der räumlichen Aussagekraft aufweisen (müssen). Insoweit kommt es auf die kleinräumigen Grundwassermessstellen in den bestehende hydrologischen Monitoringsystemen an. Die von Professor Flechtner beschriebenen Weiterentwicklungen dürften Anlass zu der Hoffnung geben, dass die qualitative und quantitative Datenverfügbarkeit über die globalen Wasserressourcen und deren Entwicklungen in Verbindung mit bestehenden Instrumenten das Verständnis für die „unsichtbare Ressource Grundwasser“ verbessern wird. Ob damit zu erwarten ist, dass daraufhin ein angepassteres Wassermanagement entstehen wird, steht auf einem anderen Blatt.

Danksagung

Ich danke Frau Dr. Bergmann (LANUV NRW), Herrn Professor Dr. Flechtner und Herrn Professor Dr. Himmelsbach (BGR) für die freundliche Unterstützung und die spontane Bereitschaft, für ein Interview zur Verfügung zu stehen.

Hier geht es zu den beiden anderen Interviews zur ARD-Doku:

Weiterführendes / Quellen

20 Jahre GRACE-Mission

Am 17. März 2002 hob das „Gravity Recovery and Climate Experiment“, kurz GRACE, vom russischen Weltraumbahnhof Plesetsk ab. Die Mission, bestehend aus zwei hintereinander fliegenden Zwillingssatelliten, hat erstmals das Schwerefeld der Erde und vor allem dessen kurzfristige Änderungen präzise und über einen langen Zeitraum vermessen. Nach mehr als dem Dreifachen der nominellen Laufzeit von fünf Jahren endete die Mission Ende 2017. Im Mai 2018 hob das Nachfolge-Duo GRACE-FO aus Kalifornien ab und setzt die Zeitreihe fort. „Was uns die 20 Jahre Daten an Umweltveränderungen und Folgen des Klimawandels zeigen, ist dramatisch“, fasst Niels Hovius, wissenschaftlicher Direktor (interim) des GFZ die Ergebnisse zusammen. „Ohne die beiden Missionen GRACE und GRACE-FO wären wir weiter auf Schätzungen angewiesen, was den globalen Wasserkreislauf betrifft.“ Umso wichtiger sei es, so Hovius weiter, „dass wir die Zeitreihe nicht abreißen lassen und in spätestens fünf Jahren eine Nachfolgemission starten“. 

Quelle: Jubiläum 20 Jahre GRACE-Mission mit Gästen aus Politik, Industrie und Wissenschaft, GFZ, 18.3.2022

Beitragsfoto: NASA/JPL-Caltech, Public domain, via Wikimedia Commons