Daten aus dem All: Deutschland verliert 760 Millionen Kubikmeter Wasser im Jahr

Die letzten fünf Jahre in Deutschland waren von massiven Sommerdürren geprägt. Und schon sind in den europäischen Nachbarländern die Frühjahrsdürren im Anmarsch. Grund genug, sich die Wasserverluste näher anzuschauen, denn immer mehr Nutzer wollen Wasser haben – Menschen und Natur stehen in Konkurrenz. Allerdings ist die Verteilung nicht so einfach: Wie hoch die Verluste durch abnehmende Bodenfeuchte, schwindendes Grundwasser, abgeschmolzene Gletscher oder gesunkene Wasserspiegel waren, sind nach wie vor offene Fragen. Ebenso, ob sich aus der Entwicklung ein Trend für die Zukunft ableiten lässt. Das Deutsche GeoForschungsZentrum (GFZ) hat daher die Wasserverluste des Zeitraums zwischen 2002 bis 2022 mit Hilfe der Daten der Satellitenmissionen GRACE und GRACE-Follow On genauer untersucht. Demzufolge hat Deutschland pro Jahr 760 Millionen Kubikmeter Wasser verloren. Das entspricht etwa der fünffachen Menge Wasser, die umgerechnet die Stadt Berlin an Trinkwasser nutzt (1). Die Gründe dafür sind abnehmende Bodenfeuchte, schwindendes Grundwasser, abgeschmolzene Gletscher oder aber gesunkene Wasserspiegel. Die Verlustmenge liegt deutlich unter jenen 2.500 Millionen Kubikmeter, die Forscher im Jahre 2022 herausgefunden hatten und die von den Medien in der Kampagne #unserWasser der ARD-Berichterstattung aufgegriffen worden waren.

Verbesserte Methodik liefert genauere Daten

Das Besondere dieser Studie ist, dass die Forschenden insgesamt vier verschiedene Auswertemethoden aus den GRACE-Missionen verglichen haben. Dadurch gelangten sie zu einem deutlich geringeren Wasserverlust als andere Auswertungen der Satellitendaten. Der gesamte Wasserspeicher hat demnach in den zwei Jahrzehnten um zusammengerechnet 15.200 Millionen Kubikmeter abgenommen. Das entspricht etwa Zweidrittel des jährlichen Gesamtwasserverbrauchs aller Sektoren – Industrie, Landwirtschaft und Privathaushalte in Deutschland mit rund 20.000 Millionen Kubikmeter pro Jahr. Um verlässlich einen Trend abschätzen zu können, sei der Zeitraum jedoch zu kurz und zu stark von verschiedenen Extremen geprägt, schreiben die Forschenden in der April-Ausgabe der Fachzeitschrift „Hydrologie & Wasserbewirtschaftung (HyWa)“.

Hintergrund: Bestimmung von Schwerefeld und Wassermassen der Erde aus Satellitendaten

Die Satellitenmissionen GRACE (2002 bis Missionsende 2017) und GRACE-Follow On (seit 2018 aktiv) sind einzigartig. Die Satelliten-Tandems vermessen die Erdanziehungskraft, das so genannte Schwerefeld, und dessen Änderungen global auf Monatsbasis. Aus diesen Schwerefelddaten lassen sich Massenverlagerungen erkennen, die wiederum Rückschlüsse auf Veränderungen im Wasserkreislauf erlauben, also beispielsweise das Abschmelzen von Gletschern oder das Entleeren von Grundwasserspeichern. Erstmals ist es damit zum Beispiel gelungen, den Eismassenverluste Grönlands und der Antarktis zu quantifizieren. Der große Vorteil dieser Art von Messung: Sie erfasst auch Grundwasserleiter, die tief unter der Erdoberfläche verborgen sind. Der Nachteil: Die räumliche Auflösung der Schwerefelddaten ist vergleichsweise grob: rund 300 mal 300 Kilometer. Verlässliche Aussagen lassen sich daher nur für Gebiete von rund 100.000 Quadratkilometern Größe treffen, das entspricht etwa der Fläche der ehemaligen DDR.

Das Messprinzip der Satellitengravimetrie der Missionen GRACE/GRACE-FO., Güntner et al

Unterschiede in der Auswertung der Daten

Für die Auswertung der Daten – sowohl was die Bestimmung des Schwerefeldes betrifft als auch daraus abgeleitet die Bestimmung der gespeicherten Wassermassen – muss eine ganze Reihe von störenden Effekten herausgerechnet werden. So sind die 300 mal 300 Kilometer messenden Datenflächen naturgemäß nicht scharf abgegrenzt, denn der Einfluss der Schwerkraft auf die Satelliten lässt sich nicht auf klar definierte Segmente bzw. Bereiche der Erde zurückführen wie etwa bei einem Satellitenbild. Das zeigt sich etwa darin, dass der Schwerefeldeffekt abschmelzender Alpengletscher auch die Messungen für die Wasservorkommen im Alpenvorland überlagert. Das heißt, wenn die Gletschermassen schwinden, sieht es für die Satelliten so aus, als ob auch weiter entfernte Wassermassen verschwunden seien. Außerdem ändert sich das Schwerefeld der Erde auch, ohne dass sich akut Wassermassen verändern. Ein solcher Effekt ist beispielsweise, dass sich in manchen Regionen nach dem Verschwinden der eiszeitlichen Gletscher heute noch die Erdkruste hebt.

Die Forschenden nutzten für ihre Studie insgesamt vier Datenreihen, um die Aussagekraft zu erhöhen:

  1. die GFZ-eigene,
  2. eine aus mehreren Datenreihen berechnete Kombinationslösung der Uni Bern,
  3. eine der Universitäten Graz und Bonn und
  4. eine vom Jet Propulsion Laboratory der NASA (JPL Mascons).

Zusätzlich nutzten sie Niederschlagsdaten und Computermodelle des Forschungszentrums Jülich, die die Veränderung des Gesamtwasserspeichers simulierten.

Daraus ergaben sich die Abweichungen zu dem Verfahren, das im vergangenen Jahr publiziert worden war und zu deutlich höheren Verlusten kam. Dort war beim NASA-JPL-Mascons-Verfahren nur eine Daten reihe zum Zuge gekommen. Die Forschenden mahnen daher zu Vorsicht bei der Interpretation von Auswertungen, die lediglich auf einer Datenreihe beruhen, hin.

Daten der ARD-Kampagne #unserWasser zu hoch geschätzt

Es waren jedoch ausgerechnet das Verwenden einer einzigen singulären Datenreihe und die Schlussfolgerungen daraus, die im vergangenen Jahr zu einem großen Medienecho geführt hatten: Deutschlands Gesamtwasserspeicher verliere fast 2,5 Kubikkilometer Wasser pro Jahr, hatte es geheißen, besonders betroffen sei der Südwesten. So war bei der ARD zu hören: „Der wissenschaftliche Leiter des Projekts, Jay Famiglietti vom Global Institute for Water Security, hat die Satellitenforschung im Auftrag der NASA und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt ausgewertet. Seit der Jahrtausendwende verliere das Land 2,5 Kubikkilometer Wasser jährlich.“ Der Vergleich mit anderen Auswerteverfahren zeigt nun: Es sind vermutlich „nur“ 0,76 Kubikkilometer (= 760 Millionen Kubikmeter), also knapp ein Drittel des von Famiglietti bezifferten Verlusts. Aber immer noch ein gigantischer Rückgang angesichts der geringen Neubildung und der stark steigenden Wasserbedarfe von Mensch und Natur.

Die ARD Story zu den Wasserverlsuten aus dem Jahr 2022 (Q. ARD #unserWasser)

Nicht auf eine Datenreihe verlassen und den Zeitraum ausdehnen

Trotz der niedrigeren Werte gibt der Leitautor der Studie, Andreas Güntner, zu bedenken: „Die Beobachtungen aus allen Datensätzen zeigen, dass ein Jahr mit höheren Niederschlägen wie 2021 nicht ausreicht, um die Defizite der Wasserspeicherung, die sich über den längeren Zeitraum angesammelt haben, wieder auszugleichen.

Auch bei Prognosen raten die Forschenden zur Vorsicht. Mitautorin Helena Gerdener von der Universität Bonn mahnt: „Da es in den zwanzig Jahren der bisherigen Datenerhebung einige auffällige Extreme gegeben hat, ist eine Aussage zu einem langfristigen Trend nur schwer zu treffen.“ Umso wichtiger sei die Kontinuität der Messreihe, schreiben die Forschenden. Eine Fortsetzung der GRACE- und GRACE-FO-Missionen wird bereits geplant und soll 2028 ins All starten. So wichtig die Ergebnisse für die Wissenschaft auch sein werden, für die wasserwirtschaftliche Praxis kann solange nicht gewartet werden. Die Nationale Wasserstrategie hat daher mehrere Maßnahmen, die sich mit der Frage der Entwicklung der Wasservorräte in Deutschland auseinandersetzen sollen. Die Folgen der schwindenden Wasservorräte sind in immer mehr Regionen in Deutschlands unverkennbar und lassen ein Gegensteuern alternativlos erscheinen. Die Forschungsergebnisse belegen, dass die Methoden zur Herleitung der entscheidungsrelevanten Daten immer weiter verfeinert werden. Das gilt sowohl für die Makro-, wie auch für die Mikro-Ebene. Nur so können wir die Transparenz bei der Verteilung der Ressourcen gewährleisten. Zumindest die Daten-Dürre läßt sich verhindern.

Quelle/Weiterführendes

Beitragsfoto: GRACE, GFZ-Potsdam

(1) Umgerechnet mit 44 Kubikmeter je Person und Jahr gemäß DESTATIS

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  1. Wasserkriege – Blödsinn oder schon Realität? › Flaschenpost

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