Weshalb ein Umbau der Wasserwirtschaft zur Lösung der Grundwasserprobleme betragen kann (Interview)

Blick auf den Möhnesee (2022) Foto: Gendries

Der Klimawandel führt in der Wasserwirtschaft zu gravierenden Veränderungen. Auf diese wird sich Deutschland einstellen müssen. „Alarmismus“ sei bei der Lage der Grundwasserstände aber der unangebracht, gibt Professor Dr. Thomas Himmelsbach, Leiter der Abteilung „Grundwasser und Boden“ bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in einem Interview zu bedenken. Im Laufe unseres morgendlichen Telefongesprächs macht er einige bemerkenswerte Vorschläge, die auf ein ganzheitliches Wassermanagement im Einklang mit der Natur abzielen und zu mehr Klima-Resilienz beim Grundwasser beitragen könnten.

Die ARD hatte am 16. März zur Aktion #unserWasser die Dokumentation „Durst – wenn unser Wasser verschwindet“ ausgestrahlt, die sich beim Stand des Grundwasser-Dargebots in Deutschland auf Erkenntnisse der Gravitationsmessung (GRACE-Mission) bezog. Demzufolge läge das Grundwasser-Dargebot in Deutschland mittlerweile auf einem kritischen Niveau. In den sozialen Medien hatte diese Aussage eines US-Wissenschaftlers viele besorgte Nachfragen ausgelöst. Ich wollte es genau wissen und habe daher deutsche ExpertInnen nach Ihrer Meinung befragt. Einer von ihnen war Professor Himmelsbach.

Flache Grundwasserleiter leiden doppelt

Himmelsbach erklärt mir die gegenwärtig spürbaren Auswirkungen mit sich verstärkenden Störungen der Hochatmosphäre, durch die zunehmende Omega-Wetterlagen mit stabilen Hochdruckregionen entstünden. Die zurückliegende „Schönwetter“-Phase im März sei ein Beleg dafür. Damit sinkt die Zuverlässigkeit der bisherigen Wettermuster. „Dass Deutschland deswegen aber austrockne, das ist mir zu alarmistisch“, beginnt er seine aufschlussreiche Erklärung der Zusammenhänge und Lösungsmöglichkeiten im Umgang mit den Klima-Veränderungen.

„Wir beobachten beim BGR die verschiedenen Grundwasser-Stockwerke.“ In den oberen zwanzig Zentimetern sei die Trockenheit erkennbar, die flachen Grundwasserleiter reagieren tatsächlich auf langanhaltende Trockenheit und Wasserentnahmen. Sie erholen sich dann aber auch wieder schnell.“ Mit berücksichtigt werden müssten die tieferen Schichten. So gäbe es zahlreiche Grundwasser bis zu 600 Meter reichende Grundwasser führende Sedimentschichten beispielsweise bei Hamburg, in den Karst-Gebieten der Schwäbischen und Fränkischen Alb oder im Voralpenland. Die seien sehr gut geschützt. Die flachen Grundwasserleiter litten dagegen in zweifacher Hinsicht an der Trockenheit. Einerseits wegen der ungenügenden (Wieder-)Anreicherung angesichts geringer oder gar ausbleibender Niederschläge und anderseits wegen der erhöhten Wasserentnahmen. Die Wassernutzer müssten sich daher standortangepasster verhalten , so Himmelsbach. „Wir müssen bei der Bewirtschaftung der Wasserressourcen besser werden! Wir brauchen ein besseres Wassermanagement das auf lange Sicht ausgerichtet ist“. Und erneut wiederholt er die Warnung vor Alarmismus.

Einen Haupttreiber des Problems übernutzter Ressourcen macht Himmelsbach in der teilweise industriellen Form der Landwirtschaft aus. Diese trüge erheblich zu der vorliegenden Anspannung bei. Solange es sich um den Nahrungsmittelanbau handele, sei die Wasserentnahme nachvollziehbar – sofern sie effizient sei – und zumal in diesen Zeiten, beim Anbau von „durstigem“ Mais für Futtermittel oder gar für die Bioenergie dürfe man schon ein Umdenken erwarten. Auch die Industrie wird sich umstellen müssen. Bei Industrieansiedlungen müssen wassersparende Verfahren zur Anwendung kommen. Er verweist auf das Beispiel Volkswagen. In dem VW-Werk in Mexiko würden schon seit Jahrzehnten weitgehend geschlossene Wasserkreisläufe genutzt. Kondenswasser aus der Kühlung werde dort für die wasserbasierte Lackierung eingesetzt. Überhaupt sei Kühlung mittlerweile weitgehend ohne Wasser möglich. Die Diskussion um die Ansiedlung eines Google-Rechenzentrums in Brandenburg, bei dem es um über eine Million Kubikmeter Wasserbedarf jährlich ging, hätte womöglich eine andere Richtung genommen, wenn innovative Kühlverfahren angeführt worden wären.

„Ich bin Segelflieger. Da kann ich aus der Luft großräumig beobachten, wie sich unsere Wälder verschlechtern. Wir brauchen daher dringend einen Waldumbau!“ Der Mischwald werde die Stütze einer nachhaltigen Wald- und Wasserwirtschaft sein. Wenn der Regen sturzartig falle, dann ströme er in die Talsperren oder in die Flüsse und sei in kürzester Zeit verloren. Die Versickerung fände bestenfalls in den Flüssen statt. Das Problem seien die trockenheitsanfälligen Fichtenbestände und Monokulturen. Ein Blick in den Harz oder ins Sauerland zeige, wie stark der Rückgang der Waldbestände bereits vorangeschritten sei. Das beeinträchtige auch die natürliche Wasserwirtschaft. Mischwälder seien symbiotische Systeme, die flexibel und robust auf Klimaänderungen reagieren können. Aber die Lernkurve sei da, die Forstbetriebe würden bereits reagieren, schwieriger sei es für private Waldbesitzer, diese könnten sich Nachhaltigkeit oft nicht leisten. „Die Grundwasserneubildung gehört zu den Ökosystemleistungen des Waldes. Diese Fähigkeit müssen wir erhalten.“

Waldumbau, Speichersysteme und Fernwasserleitungen

„Auch unsere Wasserinfrastruktur muss dringend angepasst werden! Wir brauchen mehr Puffer“. Stauseen mit benachbartem Wald seien eine ideale Konstellation als Langzeitspeicher, zeigt Professor Himmelsbach als eine praktikable Lösung auf. Dadurch würde die Retentionskapazität erhöht. Das setze aber den bereits erläuterten Waldumbau voraus. In Verbindung mit einem leistungsfähigen Fernwasserleitungssystem könnte somit die großräumige Versorgungssicherheit gewährleistet werden. Die Harzwasserwerke verfügen bereits über eine solche Struktur. Die Leitungen aus dem Harz reichen bis Bremen. Auf meinen Hinweis zum bestehenden Kanalsystem im Ruhrgebiet bestätigt Himmelsbach, dass auch dieses eine leistungsfähige Speicherinfrastruktur für Wassersicherheit in Zeiten des Klimawandels sei. Aber es bedarf eines ganzheitlichen und integrierten Systems. „Was wir also brauchen, sind Waldumbau, Speichersysteme und Fernwasserleitungen. So steigern wir gemäß der Strategie Retention – Speicherung – Mehrfachnutzung unsere wasserwirtschaftliche Resilienz gegen den Klimawandel“, bringt es Himmelsbach auf den Punkt.

„GRACE-Daten nutzen wir bei der BGR auch“, greift Himmelsbach meine Frage zu dem in der ARD-Doku dargestellten Gravitationsmessverfahren auf, dass zum Ausloten der Grundwasserstände genutzt worden war. Mit der Messung durch die beiden Satelliten fände aber nur eine indirekte Messung statt. Diese seien anfällig für kleinräumige topografische Unterschiede, wie sie in Deutschland nun mal vorkämen. Dadurch werde das Fehlerintervall größer. Es passe zweifellos auf die USA oder auf Indien, in Deutschland aber dürfe man die Ergebnisse nicht überbewerten. Mittlerweile arbeite man beim BGR mit genaueren kleinräumigen Messungen.

Die Mutmaßung der „Datendürre“ sei nicht unberechtigt. Das Monitoring der Wasserentnahmen weisen Lücken auf. Die Wasserversorgungsunternehmen könnten die Entnahmen dezidiert nachweisen. Aber in der Landwirtschaft habe er kein gutes Gefühl. Die Beregnungsverbände seien in der Regel gut organisiert und hätten die Entnahmen aus Eigeninteresse im Blick, aber so mancher Landwirt entnähme spontan und würde Messwerte weder erfassen noch den Behörden anzeigen. Die Bilanzierung von Dargebot und Entnahmen würden somit zweifellos erschwert. „Wir brauchen eine atmende Landwirtschaft“. So fordert Himmelsbach einen Systemwechsel ein. Der Verbrauch des Ökosystems müsse gestoppt werden. Die Probleme würden in Anbetracht des Ukraine-Krieges noch größer werden. Als Beispiel verwies auf den steigenden Gülleeintrag in Folge des Kunstdüngermangels. Die Flüsse und Seen könnten angesichts steigender Nitratwerte die Leidtragenden sein.

Mit Künstlicher Intelligenz zur Grundwasser-Vorhersage

Auch seine Behörde, die BGR, orientiere sich bei der Grundwasserfrage neu. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) würden die Grundwasserstände nicht nur erfasst, sondern ihre Entwicklung zudem auch prognostiziert. In einer engen Zusammenarbeit hätten das BGR und das Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) mit Hilfe von künstlicher Intelligenz in verschiedenen Prognose-Modellen untersucht, wie sich der Klimawandel im 21. Jahrhundert auf die Grundwasserressourcen in Deutschland auswirken werde. Dafür nutzen sie Verfahren des maschinellen Lernens (Deep Learning). Eine zuverlässige Vorhersage des Grundwasserspiegels sei unter anderem für die Ableitung der Wasserverfügbarkeit für die Trinkwasserversorgung oder auch Bewässerungsanforderungen für die Landwirtschaft sowie die Entwicklung geeigneter Vermeidungs- und Anpassungsstrategien wichtig. So konnte auf Grundlage vorhandener Grundwasserdaten aus ganz Deutschland für verschiedene Standorte die Entwicklung des Grundwasserspiegels anhand unterschiedlicher Klimaszenarien bewertet werden. „Wir müssen weg vom Status Quo, beim Grundwasser, wir brauchen Vorhersage-Kompetenz. Die haben wir jetzt entwickelt.“

Die plausiblen Erläuterungen von Professor Himmelsbach haben bei mir zweierlei bewirkt: erstens ein Nachdenken beim Umgang mit Informationen aus den Mainstream-Medien und die Bestätigung für die Richtigkeit des kritischen Hinterfragens und zweitens eine gewisse Beruhigung, weil es nämlich kritisch werden kann beim Grundwasser, wir aber das Wissen und die Möglichkeiten haben, etwas dagegen zu tun. Profitieren werden wir Menschen ebenso wie die Natur. Gut so!

Danksagung

Ich danke Frau Dr. Bergmann (LANUV NRW), Herrn Professor Dr. Flechtner (GFZ) und Herrn Professor Dr. Himmelsbach für die freundliche Unterstützung und die spontane Bereitschaft, für ein Interview zur Verfügung zu stehen.

Hier geht es zu den beiden anderen Interviews zur ARD-Doku:

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