Für den Ernstfall gewappnet? Was für die Krisenvorsorge getan werden muss

Der Schutz Kritischer Infrastrukturen wird angesichts steigender Bedrohungen immer wichtiger. Hackerattacken aus dem „Cyberspace“ und Naturrisiken gefährden die Wasserversorgung. Zwar sind bisher nur wenige Ausfälle zu verzeichnen, aber die Gefahrenlage verschafft sich. Was getan werden muss, um die Daseinsvorsorge zu sichern und wie die Mindestversorgung der Bevölkerung aufrechterhalten werden kann, hat ein interdisziplinäres Projekt in drei städtischen Regionen untersucht.

Bedrohungen der Infrastruktur nehmen zu

Die Infrastrukturen werden zunehmend digitaler, komplexer und stärker vernetzt. Damit ändert sich die Gefahrenlage. Diese trägt zur größeren Anfälligkeit der Systeme bei. Extremwettereignisse wie Stürme oder Hochwasser mehren sich ebenso wie Gefahren aus dem Internet. Noch gibt es Unternehmen, die zu sorglos oder unwissend mit ihren Internetsystemen umgehen. Aber Kritische Infrastrukturen sind zunehmend durch Zerstörung oder Manipulation bedroht. Diese können sich auf die Versorgungssicherheit auswirken und infolge der bestehenden Abhängigkeiten und Kaskadeneffekte in ihrer Wirkung verstärkt werden. Viele Ursachen – ein Ergebnis: die Infrastruktur verliert ihre Funktion. Daher ist es das Ziel der Nationalen Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen, die Versorgungsleistung der Bevölkerung mit kritischen Dienstleistungen aufrechtzuerhalten und damit insbesondere die Daseinsvorsorge der Bevölkerung sicherzustellen.

Projekt untersucht Handlungsbedarf zur Mindestversorgung

Der Frage, wie die Mindestversorgung der Bevölkerung mit grundlegenden Dienstleistungen wie Wasser oder Strom im Krisenfall sichergestellt werden kann, sind ForscherInnen des Instituts für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr (IRG) der TH Köln zusammen mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), dem Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit der Universität der Vereinten Nationen (UNU-EHS), der Universität Stuttgart, der Firma inter 3 GmbH und Partnern aus der Praxis nachgegangen.
Untersuchungsgebiete waren die Städte Köln und Mülheim an der Ruhr sowie der Rhein-Erft-Kreis. Beleuchtet wurde dabei auch, ob und wie Bürgerinnen und Bürger Vorsorge für den Krisenfall treffen. Anhand von Fallstudien wurden die wechselseitigen Abhängigkeiten der Versorgungsnetzwerke sowie das Risiko- und Krisenmanagement ausgewählter Kommunen analysiert.

Extremwetterereignisse, kriminelle Handlungen, technisches oder menschliches Versagen können schwere Auswirkungen auf die Grundversorgung der Bevölkerung in Deutschland haben. Wären etwa von einem länger andauernden Stromausfall die elektrisch betriebenen Pumpsysteme in einem Wasserwerk betroffen, könnte dies die Wasserversorgung gefährden. Zwar verfügt Deutschland über ein effizientes System zur Bewältigung von Notfällen und Krisen – hierzu zählen etwa Feuerwehren, Rettungsdienste, Hilfsorganisationen, Behörden und private Anbieter und Katastropheninformationssysteme, aber auch diese wären wiederum von den Ausfällen betroffen. Ausfälle sind auch bei Betreiber weiterer Versorgungsinfrastrukturen, wie der Abwasserbeseitigung, der Telekommunikation oder dem Verkehr. Zudem muss im Krisenfall gewährleistet sein, dass Informationen der relevanten Akteure im Risiko- und Krisenmanagementprozess ausgetauscht werden.

Nachholbedarf bei der Sensibilisierung der Bevölkerung

Erfahrungen mit mehrtägigen Ausfällen einer Infrastruktur und deren Auswirkungen auf die Versorgungssysteme sowie die Bevölkerung gibt es hierzulande kaum. Erinnern mögen sich die Leser meines Blogs an den mehrtägigen Wasserausfall im siegerländischen Kreuztal im Oktober vergangenen Jahres. Die Bürger dort sind sensibilisiert. Allgemein werden Wasser und Abwasser als sicher und gut wahrgenommen. Ausfälle kennt man aus Urlaubsregionen und aus Katastrophenberichten. Dass auch zuhause auftreten kann, ist für die Bürger unvorstellbar. Dafür zu sensibilisieren, dass dies auch mal nicht so sein kann, war ein wichtiges Ziel des interdisziplinären Forschungsprojektes „Kritische Infrastrukturen – Resilienz als Mindestversorgungskonzept“ (KIRMin).

Ausgangspunkt des Projektes war die Analyse der infrastrukturellen Verflechtungen und daraus resultierenden Abhängigkeiten zwischen den wesentlichen Stützpfeilern der Grundversorgung, den sogenannten Kritischen Infrastrukturen. Die Forscherinnen und Forscher interviewten dazu etwa 50 Expertinnen und Experten aus Versorgungsunternehmen und Behörden in den drei Fallstudiengebieten Köln, Rhein-Erft-Kreis, Mülheim an der Ruhr. Die gesammelten qualitativen Informationen wurden mit georeferenzierten Datenanalysen verschnitten. Gemeinsam bilden sie eine solide Grundlage für die Bewertung der gegenseitigen Abhängigkeiten und die Erstellung praxisnaher Szenarios.

„Dankeschön“-Post auf Facebook nach Wasserausfall in Kreuztal im Oktober 2018

Leitfaden zur besseren Zusammenarbeit

Wie die Akteurinnen und Akteure im Krisenfall besser zusammenarbeiten können, wurde in Workshops erprobt. „Es ist nicht selbstverständlich, dass sich Vertreterinnen und Vertreter konkurrierender Unternehmen, der Verwaltungen, Einsatzorganisationen und sogar Vertreter von Behörden auf kommunaler und Bundesebene zusammenfinden“, erklärte Prof. Dr. Alexander Fekete vom IRG der TH Köln, der das dreijährige, interdisziplinäre Forschungsprojekt geleitet hat. „Dabei ist es im Krisenfall besonders wichtig, dass sich die Akteurinnen und Akteure kennen, die jeweiligen Aufgaben, Kompetenzen und Herausforderungen verstehen und sich vertrauen.“ Im Projekt erstellte Szenarios für mögliche Krisenverläufe können den Kommunen nun als Grundlage für Vorsorgeplanungen dienen. „Die Worst-Case-Szenarioverläufe geben den Akteuren einerseits vielzählige Hinweise auf kritische intersektorale Schwachstellen und Bedarfe an Mindestversorgung. Andererseits zeigen die Best-Case-Verläufe aber auch Anknüpfungspunkte für eine intensivere Kooperation und für die erfolgreiche Krisenbewältigung“, so Axel Dierich von der Firma inter 3 GmbH.

Deutschland wird als sicher wahrgenommen, weshalb die Bevölkerung nicht vorbereitet ist

Ziel des Forschungsprojekts ist die Entwicklung eines Mindestversorgungskonzepts. Dieses richtet sich an Behörden und Betreiber Kritischer Infrastrukturen und bezieht die Selbsthilfe und Vorsorge der Bürgerinnen und Bürger mit ein. Die Universität der Vereinten Nationen befragte dazu mehr als 1.100 Personen in Köln und im Rhein-Erft-Kreis, ob und wie sie auf potentielle Ausfälle der Strom- und Wasserversorgung vorbereitet sind. Die Studie ergab, dass ein großer Teil der Bevölkerung nicht ausreichend auf mögliche Ausfälle vorbereitet ist und Bedarf besteht, die eigenverantwortliche individuelle Vorbereitung zu fördern. „Unsere Haushaltsbefragung hat ergeben, dass vor allem im städtischen Raum weniger Vorräte zu Hause gelagert werden. Bei einem längeren Ausfall von Strom und Wasser wäre die Bevölkerung schnell auf Hilfe von außen angewiesen, was Rettungsdienste in der Krisensituation zusätzlich belasten würde“, sagt Dr. Simone Sandholz vom Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit der Universität der Vereinten Nationen. Dieses fehlende Bewusstsein gegenüber Infrastrukturausfällen bei großen Teilen der Bevölkerung resultiere aus der hohen Versorgungssicherheit, die in Deutschland vorzufinden ist. „Es ist von immenser Bedeutung, die Versorgungssicherheit durch KRITIS auch weiterhin auf einem hohen Level zu halten. Daher ist es auch Ziel des Projekts, ein Evaluierungssystem zur Erfassung der Resilienz Kritischer Infrastrukturen gegenüber Ausfällen zu entwickeln“, erläutert Prof. Dr. Jörn Birkmann von der Universität Stuttgart. 

Ein Push zu viel: Warnen Apps zu oft vor Unwettern und Katastrophen?

Einen wichtigen Stellenwert bei der Warnung der Öffentlichkeit haben „Katastrophen-Warn-Apps“ wie NINA und KATWARN. Die Notfall-Informations- und Nachrichten-App NINA hat kürzlich in der Region Hannover mit einem Wasser-Alarm für Unruhe in der Bevölkerung gesorgt.

NINA-Wasserwarnmeldung für die Gesamtregion Hannover (Montag, 15.7.2019)

Ein Rohrbruch im Trinkwassernetz der Stadt Grethen (Heidekreis) wurde auch im 45 Autominuten entfernten Hannover in der NINA-App ale Störung gemeldet. Der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) zufolge hat es dort aber gar keine Störung der Trinkwasserversorgung gegeben. Auf HAZ-Anfrage gaben die zuständigen Stadtwerke Böhmetal und vermeintlichen Absender der „Gefahrenmeldung“ Entwarnung: „Wir haben keine Ahnung, warum es diese Meldung gab“, beantwortete ein Unternehmenssprecher die Pressenachfrage. Der Rohrbruch habe nur Auswirkungen auf den Ort Grethem gehabt. Womöglich habe NINA vorsorglich die direkt angrenzenden Bereiche mit informiert, hieß es bei der HAZ.

Laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), dem Herausgeber von NINA, laufen die Informationen über das sogenannte Modulare Warnsystem des Bundes (MoWaS) ein, die dann über verschiedene Kanäle verteilt werden – darunter auch die App NINA. „Aufgrund der stetig steigenden Nutzerzahlen geben die Leitstellen vermehrt Warnungen über Nina heraus“, sagt BBK-Sprecher Wahid Samimy. „Je mehr erreicht werden, desto besser.

Besser zielen bei Warnungen im Versorgungssystem!

Jetzt kann man sich fragen, ob der BBK-Sprecher recht hat und sich die Aussage auch bei einer räumlich begrenzten Trinkwasserversorgung gelten sollte. Schliesslich ist es ja gerade die Besonderheit des Versorgungssystems, dass es sich nur am Leitungsnetz orientiert. Vermutlich wäre es sinnvoll, wenn die Wasserversorger über eigene Plattformen verfügen, die die Bevölkerung dort informiert, wo die Störung im Netz auftritt. Wer sich die Warnhinweise zu Störungen im Trinkwassernetz, gleich ob Verkeimungen oder Rohrbrüche, stößt – wenn überhaupt – immer wieder auf vergleichsweise undurchschaubare Informationen. Was zumeist fehlt, sind Push-Nachrichten, also genau das was NINA & Co. auszeichnet, aber diese sollten sich an den Netzstrukturen orientieren und nicht „vorsorglich“ einen Großraum wie Hannover abdecken.

Quellen und Weiterführendes

  • Projektbericht „Wege zu einem Mindestversorgungskonzept“,
    https://kirmin.web.th-koeln.de
  • Ein Push zuviel, 19.7.2019, HAZ
  • Warn App NINA, bbk
  • MoWaS, bbk
  • „Tag ohne Wasser“? In Kreuztal war es Realität. Ein Lehrstück für die Krisenkommunikation?, Lebensraumwasser
  • „Wie sich Betroffene in Kreuztal über ihren mehrtägigen Wasserausfall äußern“, Lebensraumwasser
  • Social Media für die Krisenkommunikation in der Trinkwasserversorgung, Lebensraumwasser

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