Verbesserte Niedrigwasser-Vorhersagen schaffen höhere Planungssicherheit für die Binnenschifffahrt

Die Vorhersage von Niedrigwasserständen in Flüssen hat für viele Logistik- und Industrieunternehmen existenzielle Bedeutung. Die Trockenheit im Sommer 2018 hat Schiff-Transporte vielerorts unvorbereitet gestoppt. Auch 2020 litt die Schifffahrt unter dem Niedrigwasser. Daher sind für die Planung Langfristprognosen zu Niedrigwasserständen von großer Bedeutung. Nicht minder wichtig sind kurzfristige Vorhersagen. Der Beitrag beschreibt, wie sich die Vorhersagenqualität verbessert und die Zeiträume zielgerichteter werden können.

Niedrigwasser kann die Wirtschaft hart treffen

Die Dürre des letzten Sommers hat nicht allein die Landwirtschaft getroffen. Raffinerien, Stahlwerken und Chemiekonzernen entlang der Flussläufe mussten ihre Produktion drosseln, weil Kühl- und Prozesswasser fehlte oder die Temperatur zu hoch war. Die wirtschaftlichen Folgen waren immens.

Konjunkturforscher des IfW Kiel sehen in ihr eine der Ursachen für den Schwächeanfall der gesamten deutschen Wirtschaft im dritten Quartal 2018. Die per Binnenschifffahrt transportierten Mengen lagen im August und September 2018 um jeweils rund 20 % unterhalb des Vorjahreswertes. Denn die Trockenheit führte zu extremem Niedrigwasser in den Flüssen, vor allem im Rhein. Für Kohle, Erdöl und Erdgas, Mineralöl- sowie chemische Erzeugnisse sei die Binnenschifffahrt für 10 % bis 30 % der Beförderungsmenge verantwortlich und somit von deutlich größerer Bedeutung, stellt das IfW im Wirtschaftsdienst fest. Diese Güter stünden am Anfang vieler Produktionsketten, sodass Ausfälle bei deren Transport zu Produktionsbehinderungen in nachgelagerten Produktionsstufen führen können. Je länger die Vorhersageperiode für Niedrigwasserereignisse, desto besser lassen sich die Transporte steuern und umso geringer die (gesamt-)wirtschaftlichlichen Auswirkungen.

Die Wasserstände in deutschen Flüssen lassen sich mit herkömmlichen Methoden etwa sechs Wochen im Voraus vorhersagen. Daher kam das extreme Niedrigwasser in Rhein und Elbe im Dürresommer 2018 nicht nur für die Binnenschiffer, sondern auch deren Kunden überraschend. Viele der von Schiffstransporten abhängigen Firmen vermeldeten in Folge dessen Lieferengpässe und Produktionsausfälle. Das Ereignis traf sie unvorbereitet. Dieser wirtschaftliche Schaden hätte sich durchaus verhindern lassen, wären damals moderne Vorhersagemethoden zum Einsatz gekommen.

Vorhersagezeiträume verdoppeln – von sechs Wochen auf drei Monate

Wasserstände von Flüssen zuverlässig über einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen vorherzusagen, war bis vor fünf Jahren unmöglich. 2015 aber gelang es Monica Ionita, Forscherinnen des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), ein statistisches Berechnungsmodell zu entwickeln, mit dem sie auf Basis aktueller Meeres- und Klimadaten ziemlich genau abschätzen kann, wieviel Wasser künftig an verschiedenen Stellen eines ausgewählten Flusses fließen wird. Aber würde diese Methode auch in Ausnahmesituationen wie dem Dürresommer 2018 funktionieren? „Für uns war der extreme Sommer ein willkommener Härtetest, mit dem wir unsere Vorhersagemethode noch einmal bis in das letzte Detail überprüfen konnten“, sagt Monica Ionita.

Um dessen Vorhersage-Qualität zu prüfen, haben sie das Berechnungsmodell mit den Daten von 2018 einem Test unterzogen. Das Ergebnis: Mithilfe der von ihnen verwendeten globalen Meeres- und Klimadaten konnten die Elbe- und Rhein-Niedrigwasser bereits drei Monate vor ihrem Eintreten zuverlässig vorhergesagt werden – auch die extrem niedrigen Pegel im Spätherbst 2018.

„In der Praxis sieht es so aus, dass wir bis Ende Mai eines Jahres sagen können, wie sich die Durchflussmengen und damit auch die Wasserstände bis Ende September desselben Jahres in etwa entwickeln werden. Wir können dann abschätzen, ob sie im Vergleich zu Vorjahren niedriger, ähnlich oder höher ausfallen werden. Die zu erwartende Wasserabflussmenge berechnen wir mittlerweile drei Monate im Voraus – das heißt, von diesem Zeitpunkt an nennen wir dann auch konkrete Zahlen“, erklärt die Wissenschaftlerin.

Einflussgrößen weitab von Rhein und Elbe

Die Grundlage der Analyse bilden globale Meeres- und Klimadaten aus fast sieben Jahrzehnten. In diesen Datensätzen suchen die beiden AWI-Wissenschaftlerinnen nach Zusammenhängen zwischen der Wassermenge im ausgewählten Fluss und entscheidenden Wetter-, Meeres- oder Bodenparametern wie der Oberflächentemperatur in bestimmten Meeresregionen und dem dort vorherrschenden Luftdruck. Eine wichtige Rolle spielen außerdem die Temperatur, der Niederschlag und die Bodenfeuchte im Quell- und Einzugsgebiet des jeweiligen Flusses. „Für die Wasserstände in Rhein und Elbe ist die Meeresoberflächentemperatur des Nordatlantiks der alles entscheidende Faktor. Sie beeinflusst das Wetter in Mitteleuropa maßgeblich und entscheidet vereinfacht gesagt, auf welchen Bahnen Sturm- und Regengebiete ziehen werden“, erklärt Monica Ionita. 

Prognosezeiträume für Wasserstände werden zielgerichteter

Zuverlässige Langzeitvorhersagen der Wasserstände sind für die Binnenschifffahrt und alle abhängigen Firmen so wertvoll wie passende Wetterprognosen für die Landwirtschaft. Je eher alle Verantwortlichen Bescheid wissen, desto vorausschauender und kostensparender können sie planen.

Trotz der Langzeitvorhersagen von Niedrigwasser sind die Reedereien auf detailliertere Angaben zu den Wasserständen angewiesen. Der Pressesprecher der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) erläuterte mir die Unterschiede zwischen der vier- bis zehntägigen Vorhersage für die Binnenschifffahrt und der Prognose. Demnach kommt es für eine Reederei in der Planung darauf an, wie hoch der exakte Wasserstand auf der Strecke ist. Davon hängt dann ab, wie schwer die Fracht der Binnenschiffe sein darf und wo ggf. auf der Strecke entladen werden muss, um Niedrigwasserbereiche passieren zu können.

Niedrigwasser am Niederrhein – Auszug aus „Aktuelle Wasserstände der Bundeswasserstraßen“ des BfG (Screenshot 2.9.2020)

Die BfG hat in den vergangenen Jahren im Rahmen ihrer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten eine wahrscheinlichkeitsbasierte 10-Tages-Vorhersage für schifffahrtsrelevante Pegel des Rheins entwickelt und im Testbetrieb umfangreich erprobt. Seit Dezember vergangenen Jahres wird sie über den elektronischen Wasserstraßen-Informations-Service (ELWIS) der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) veröffentlicht. Mit der neuen 10-Tages-Vorhersage können Schifffahrt und verladende Wirtschaft ihre mittelfristigen Transportplanungen nun besser als bisher optimieren, als es mit der Vier-Tages-Vorhersage möglich war.

Ein Sprecher des Branchenverbandes Binnenschifffahrt erklärte auf meine Anfrage, dass jede Verlängerung der Prognosen und Wasserstandsvorhersage für die Binnenschifffahrt große Vorteile mit sich bringen wird. Allerdings sei es so, dass durch den Klimawandel die Binnenschifffahrt vor zunehmend größeren Problemen gestellt sei. Niedrigwasser- und Höchstwasserstände nehmen kontinuierlich zu und erschwerten die Planungen.

Der Klimawandel erhöht die Risiken für die Binnenschifffahrt und für die von deren Belieferung abhängigen Kunden. Damit die Binnenschifffahrt trotzdem wettbewerbsfähig bleibt und ihre Stärken in der Logistik ausspielen kann, müssen die Prognosen in ihrer Zuverlässigkeit steigen und deren Zeiträume sich den Bedarfen der Logistikunternehmen entsprechend anpassen lassen.

Quellen / Weiterführendes

Beitragsfoto: Weser bei Hannoversch-Münden (Gendries)

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