„Verursacherprinzip scheitert“, rügt der Europäische Rechnungshof

Man stelle sich vor, nach einer Beule am benachbart parkenden PKW muss Verursacher keinen Schadensersatz leisten. Undenkbar? Ja, aber nicht bei Umweltschäden. Auch dort gilt grundsätzlich das Verursacherprinzip. Wer den Umweltschaden verursacht, muss auch die damit verbundenen Kosten tragen. Dass dies in der EU jedoch nicht immer der Fall ist, stellte unlängst der Europäische Rechnungshof in seinem jüngsten Sonderbericht fest. Obwohl das Verursacherprinzip in der Umweltpolitik der EU generell berücksichtigt werde, so die Rechnungsprüfer, decke einerseits noch nicht alle Bereiche ab und werde in den einzelnen Bereichen sowie den einzelnen Mitgliedstaaten uneinheitlich angewandt. Die Zeche für die Sanierungsmaßnahmen müssten die Steuerzahler zahlen, die Verursacher blieben unbehelligt.

Rechnungshof stellt Umweltbelastungen fest, deren Kosten die Steuerzahler tragen müssten

Wie die EU-Prüfer feststellten,

  • sechs von zehn Oberflächengewässern wie Flüsse und Seen seien in keinem guten chemischen und ökologischen Zustand, obwohl dies die Wasserrahmenrichtlinie verbindlich festgelegt hat;
  • sind in der EU fast drei Millionen Standorte potenziell kontaminiert, vor allem durch industrielles Gewerbe und durch Abfallbehandlung und -entsorgung;
  • zudem stelle die Luftverschmutzung nicht nur eines der größten Gesundheitsrisiken in der EU dar, sondern schädige auch die Vegetation und ganze Ökosysteme.

Seit 50 Jahren gilt das Prinzip

Das Verursacherprinzip wurde erstmals 1972 von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eingeführt. Gemäß diesem Prinzip sollten die Kosten für die Durchführung der von den Behörden eingeführten Maßnahmen zur Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung vom Verursacher getragen werden. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die Umwelt in einem akzeptablen Zustand befindet. Politische Entscheidungsträger können dieses Prinzip nutzen, um die Umweltverschmutzung einzudämmen und die Umwelt zu sanieren.

Durch die Anwendung dieses Prinzips erhalten die Verursacher einen Anreiz, Umweltschäden zu vermeiden, denn letztendlich werden die Kosten für die Sanierung höher sein, als die der Vermeidung. Daher werden sie für die von ihnen verursachte Verschmutzung zur Verantwortung gezogen. In der Umweltpolitik und Umweltökonomie bezeichnet man dies als „Internalisierung“ von „negativen externen Umwelteffekten“. Wenn die Kosten der Verschmutzung dem Verursacher in Rechnung gestellt werden, erhöht sich der Preis für Güter und Dienstleistungen um diese Kosten. Dieser muss die Kosten entweder aus seinen Gewinnen tragen oder an die Verbraucher weitergeben. Da viele Produkte im Wettbewerb angeboten werden, werden Verbraucher die mit den niedrigeren kaufen. Somit besteht ein marktseitiger Anreiz für die Hersteller, weniger umweltschädliche Produkte herzustellen bzw. die zu tragenden Umweltkosten durch Vermeidung zu senken. Das kann aber nur funktionieren, wenn das Verursacherprinzip auch tatsächlich angewandt wird.

Green Deal erfordere Haftung der Verursacher

„Für eine effiziente und gerechte Verwirklichung der Ziele des ‚europäischen Grünen Deals“ müssen die Verursacher für ihre Umweltschäden aufkommen“, so Viorel Ștefan, das für den Bericht zuständige Mitglied des Europäischen Rechnungshofs. „Bislang werden diese Kosten jedoch viel zu oft auf die europäischen Steuerzahler abgewälzt“, lautet die Kritik.

Zwar ist das Verursacherprinzip einer der wichtigsten Grundsätze des Umweltrechts und der Umweltpolitik der EU, den Prüfern zufolge wird es jedoch uneinheitlich und in unterschiedlichem Maße angewandt. So gelte für die umweltschädlichsten Anlagen zwar die Richtlinie über Industrieemissionen, die meisten Mitgliedstaaten würden Unternehmen aber nach wie vor nicht für Umweltschäden haftbar machen, die trotz Einhaltung der zulässigen Emissionsgrenzwerte entstünden. Auch die Kosten der Restverschmutzung in Höhe von Hunderten Milliarden Euro gingen laut der Richtlinie nicht zulasten der Industrie. Wie die Prüfer feststellten, sind aber dennoch oft erhebliche öffentliche Investitionen nötig, um die Finanzierungslücke zu schließen.

Private Haushalte: kleinste Wassernutzergruppe, größter Zahler

Auch bei Wasserverschmutzung trügen die Verursacher nicht die vollen Kosten. Am meisten würden in der Regel noch die privaten Haushalte zahlen, obwohl sie nur 10 % des Wassers verbrauchten (siehe Abbildung). Bei Verschmutzungen aus sogenannten diffusen Quellen, besonders in der Landwirtschaft, sei das Verursacherprinzip nach wie vor nur schwer anwendbar.

In sehr vielen Fällen liege die Verschmutzung eines Gebiets so lange zurück, dass die Umweltsünder nicht mehr identifiziert oder haftbar gemacht werden könnten. Auch wegen solcher Altlasten habe die EU Sanierungsprojekte finanzieren müssen, deren Kosten eigentlich von den Verursachern hätten getragen werden müssen. Schlimmer noch: Steuergelder seien auch unter Verstoß gegen das Verursacherprinzip ausgegeben worden, z. B. weil die Behörden in bestimmten EU-Ländern die Umweltvorschriften nicht durchgesetzt und die Verschmutzer nicht zur Kasse gebeten hätten.

Die Prüfer weisen schließlich darauf hin, dass Unternehmen manchmal keine ausreichende finanzielle Vorsorge treffen (z. B. durch Versicherungspolicen zur Deckung der Umwelthaftung). Dadurch bestehe die Gefahr, dass letztlich die Allgemeinheit für die Sanierung der Umwelt geradestehen müsse. Bis jetzt verlangten nur sieben Mitgliedstaaten (Tschechien, Irland, Spanien, Italien, Polen, Portugal und die Slowakei) eine finanzielle Vorsorge für Umwelthaftung. Auf EU-Ebene seien solche Garantien keine Pflicht, was in der Praxis bedeute, dass die Steuerzahler einspringen müssten, wenn ein Unternehmen, das Umweltschäden verursacht habe, zahlungsunfähig werde.

Zwar sind Fortschritte bei der Bekämpfung bestimmter Schadstoffe erzielt worden, doch deckt bei vielen Unternehmen der Wasserpreis nicht die Kosten, die durch die von ihnen in das Wasser abgegebenen Schadstoffe verursacht werden. Die Deckung der Kosten für Wasserdienstleistungen lässt sich nur schwer auf Verschmutzung aus diffusen Quellen, beispielsweise aus der Landwirtschaft, anwenden. Es gibt keinen allgemeinen EU-Rahmen für den Bodenschutz, obwohl viele Rechtsvorschriften indirekt zur Verringerung der Umweltbelastung beitragen.

Umweltschützer und Wasserwirtschaft fordern Stärkung des Verursacherprinzips

Der Ausblick auf die weitere Entwicklung dürfte aus den Erfahrungen abgeleitet wenig optimistisch sein. In vielen Staaten wird auf die wichtige Bedeutung der Industrie für die wirtschaftliche Prosperität und die Arbeitsplätze verwiesen. Anlässlich des Weltwassertages 2020 hat sich BUND – Bund für Umwelt und Naturschutz – mit dem Thema auseinandergesetzt. In seinen „10 Forderungen für eine Verbesserung des Wasserhaushaltes und der Süßwasser-Lebensräume in Zeiten des Klimawandels“, forderte er,

  • die Kosten der Verschmutzung müssten vom Verursacher und nicht vom Steuerzahler getragen werden. Grundwasser dürfe nicht zum Maximalwert mit Nitrat aufgefüllt werden. Bei der Schadstoffbelastung, insbesondere bei Mikroschadstoffen, müssten Hersteller in die Pflicht genommen werden. Die Schadstoffe dürften erst gar nicht ins Gewässer gelangen
  • ein verursachergerechtes Wasserentnahmeentgelt sollte als Steuerungswirkung in allen Bundesländern angewandt werden. Aktuell würden die größten Verbraucher und Verschmutzer wie Industrie, Bergbau sowie die Landwirtschaft davon ausgeschlossen. Statt diese an den Umweltkosten zu beteiligen, werden die erforderlichen Sanierungskosten entweder über die Wasserentnahmeentgelte von den nicht befreiten Trinkwasserkunden mit bis zu 31 Cent je Kubikmeter getragen oder die Kosten würden über die Steuerzahler finanziert.

Die Wasserwirtschaft fordert in ihrem kürzlich veröffentlichten Papier zur Wasserstrategie für Deutschland, die Bundesregierung auf, den Eintrag von für die Gewässer problematischer Stoffe, wie zum Beispiel Arzneimittel, Mikroplastik oder Pestizide, bereits an der Quelle zu reduzieren. Zudem müsse sie ein herstellerbezogenes Modell zur Finanzierung von Anlagen zur Abwasserreinigung einführen, das verursachergerechte Anreize zur Verminderung von Spurenstoffen bietet. Der BDEW fordert nicht nur, er liefert auch konstruktive Vorschläge. So hat er im Spuren- stoffdialog das sog. „Fondsmodell“ vorgestellt. Dieses von Prof. Mark Oelmann von der Hochschule Ruhr-West auf einen Impuls von Professor Schitthelm entwickelte Fondsmodell würde die Hersteller verursachergerecht an der Finanzierung von Reinigungsleistungen beispielsweise von Medikamenteneinträgen beteiligen. Die Hersteller können dann wählen, welche umweltschonenden technologischen Maßnahmen für sie die ökonomisch effizientesten sind, um ihre Zahlungen in den Fonds so gering wie möglich zu halten. Damit wird ein technologieneutraler Anreiz zur innovativen Vermeidung von Spurenstoffen gefördert.

„Die jetzige Finanzierung von Reinigungsleistungen kommt einer Lizenz zur Verschmutzung gleich. Der Spurenstofffonds ist eine ökologisch und ökonomisch effiziente Lösung, die Herstellern Anreize bietet, Einträge zu vermeiden oder Innovationen voranzubringen, um Rückstände in die Umwelt zu verringern. Die verantwortlichen Stellen müssen außerdem bei der Zulassung verstärkt auf die Umweltverträglichkeit der Medikamente achten“, so Martin Weyand, BDEW-Hauptgeschäftsführer Wasser/Abwasser.

Die Zeche würden bei einer Finanzierung über die Abwasserabgabe allein die Bürgerinnen und Bürger zahlen: Ohne alternative Finanzierung könnte für sie in Deutschland nach Berechnungen von civity Management Consultants eine Belastung von bis zu 36 Milliarden Euro über einen Zeitraum von 30 Jahren entstehen. Diese Kosten würden – mit der Finanzierung von Reinigungsleistungen über eine Abwasserabgabe – einseitig die Verbraucherinnen und Verbraucher belasten, heißt es beim BDEW.

Einen Ausblick wagen?

Wenn man diese Befreiung vom Verursacherprinzip konsequent betrachtet, lohnt sich der vorsorgende Umweltschutz nicht, weil die Kostenverteilung bei der Beseitigung der Umweltverschmutzung auf einer fragwürdigen Auslegung des Solidaritätsprinzips basiert: die Zeche zahlen die anderen. Nicht nur in Zeiten des Klimawandels sollte von der Politik erwartet werden, dass sie hier konsequenter den vorsorgenden Charakter verfolgt und das Verursacherprinzip zu dem macht, was es sein soll, ein Anreiz zum umweltschonenden Verhalten. Im Zweifel zahlen die folgenden Generationen. Ein weiteres Erbe, das sie nicht ausschlagen können.

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