So bereitet sich Bayerns Wasserwirtschaft auf strukturelle Veränderungen vor

Bisher war die deutsche Wasserwirtschaft von Sicherheit, Kontinuität und stabilen Strukturen geprägt, jetzt bringen Klimawandel und demografischer Wandel Bewegung in die Branche. Besonders betroffen ist der Freistaat Bayern, wo die Wasserversorgung traditionell sehr kleinteilig, lokal und kommunal geprägt ist. Der dortige Veränderungsdruck wird Anpassungen nach sich ziehen, die auf der Führungskräftetagung des bayerischen Gemeindetages vom 7. bis 10.5.2019 in Erding diskutiert worden sind. Der nachfolgende Beitrag skizziert die Treiberkräfte und die möglichen Veränderungen.

Stresstest für Systeme und Unternehmen

Der klimatische, gesellschaftliche und technologische Wandel, der alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche in Deutschland gleichermaßen erfasst, macht auch vor der Wasserversorgung nicht halt. Die Leistungsfähigkeit der Wasserversorger wird seit langer Zeit einem konstanten Stresstest unterzogen“, beschrieb unlängst der DVGW die veränderten Rahmenbedingungen in dem stabilitätsgewohnten Sektor. Zuletzt hat der Hitzesommer 2018 viele Versorgungssysteme vor bisher unbekannte Herausforderungen gestellt.

Während viele größere Unternehmen zunächst nur erste Stress-Impulse zu spüren bekamen, traf es viele kleine Versorger schon deutlich stärker. Besonders betroffen waren Kleinstversorger, die auf lokale Grundwasserreserven oder Quellschüttungen zugreifen. Die Szenarien sind beunruhigend: im Norden Bayerns könnte in Folge des Klimawandels mehr als jede achte Quellschüttung bis zum Jahr 2035 versiegen. Allein in Unterfranken wären davon 300 Versorger betroffen.

Der Bayerische Gemeindetag hatte diese Herausforderungen in den Mittelpunkt seiner 49. (!) Führungskräftetagung der Wasserwirtschaft Anfang Mai in Erding gestellt. Ich war als Blogger eingeladen worden, das Impulsreferat „Was einem Nicht-Bayern an Besonderheiten in der bayerischen Wasserwirtschaft auffällt“ zu halten. Für mich war klar, die 200 Teilnehmer dieser Tagung sollten nicht auf „wir sind spitze und weiter so“, sondern auf Veränderungen eingestimmt werden. Bei meinen Vorbereitungen war ich dann doch immer wieder erstaunt, wie stark der Veränderungsdruck schon wirkt. 

Volles Haus in Erding. 200 Teilnehmer bei der Führungskräftetagung (Foto: Gendries)

Ist die Kleinteiligkeit von Bayerns Wasserwirtschaft überlebensfähig?

Dieses wirtschaftlich prosperierende und demografisch wachsende Bundesland mit seinen 12,5 Millionen Einwohnern sieht sich in der Wasserwirtschaft bisher unbekannten Herausforderungen gegenübergestellt. Die Landesregierung des Freistaates hält seit jeher die schützende Hand über die öffentliche Trinkwasserversorgung. So regelt das Landesgesetz nicht nur den Vorrang der Trinkwasserversorgung, Ziel der Politik ist es auch, „die in Bayern bewährte dezentrale Struktur für die Versorgung der Bürger mit Wasser zu erhalten und für die künftigen Anforderungen fit zu machen.“ Dies hat zu insgesamt 2.261 Wasserversorgungsbetrieben in den 2.031 Kommunen des Freistaats geführt. Damit sind in Bayern 35 Prozent der deutschen Wasserbetriebe angesiedelt (ähnlich hoch ist der Anteil im Nachbarbundesland Baden-Württemberg). Diese kleinteilige Struktur hat zwar zu einer vielerorts starken Identifikation der Bürger mit „ihrer“ Wasserversorgung geführt, birgt aber angesichts der angespannten Rahmbedingungen beträchtliche Risiken. Viele davon sind durchaus strukturell bedingt.

Sanierungsstau kein Fremdwort in Bayern

Die gesamte deutsche Wasserwirtschaft muss massiv investieren, um ihre Leistungsfähigkeit zu sichern. Jährlich fließen daher rund 7 bis 8 Milliarden Euro in die Daseinsvorsorge. Dennoch wächst bei den Verantwortlichen die Erkenntnis, dass diese Mittel nicht ausreichen werden. Immer häufiger fällt der Begriff „Sanierungsstau“ oder „Investitionslücke“, so auch in Bayern. Zahlreiche Datenquellen rechtfertigen die Parallele eines mittlerweile weit verbreiteten Trends mit Bayern. Von den ca. 115.000 Kilometern öffentliche Trinkwasserleitungen sind mindestens 30 Prozent der Leitungen sind älter als 40 Jahre, gute Substanz vorausgesetzt, muss dies kein Problem sein. Berücksichtigt man aber die mit 11,7 Prozent bundesweit überdurchschnittlich hohen Wasserverluste Bayerns und die mit 0,7 Prozent zu geringen Netzerneuerungsraten, dann scheint im Freistaat das Problem etwas weitreichender. Dieses tritt nicht nur durch auffällig viele Wasserversorgungsunterbrechungen, sondern auch immer häufiger verordnete Abkochgebote zu Tage. Die werden ausgesprochen, wenn die Gesundheitsämter feststellen, dass die Qualität des Trinkwassers nicht den Anforderungen genügt. Wie, muss man sich fragen, kann eine solche Situation überhaupt entstehen?

Dr. Julian Thimet (Bayerischer Gemeindetag) und Torsten Glauber (Umweltminister)
(Foto: Gendries)

Die Wasserpreise und -gebühren in Bayern sind zu gering

Zunächst die gute Seite. Während in den anderen Bundesländern die Investitionen in die Wasserwirtschaft auch mit steigenden Gebühren und Preise aufgefangen werden müssen, unterstützt der Freistaat seit Jahrzehnten mit einer Härtefallförderung. So wurden in den vergangenen 50 Jahren allein 9 Milliarden Euro für die Ersterschließung der Abwasseranlagen an die Kommunen ausgezahlt. „RZWas“ heißt das „Zauberwort“. Aktuell stehen für ganz Bayern allerdings pro Jahr nur noch rund 70 Millionen Euro zur Verfügung. Diese werden für sog. Härtefälle vergeben.

Aber ungeachtet der Fördermittel ist auch in Bayern der Anstieg der Wasserentgelte unvermeidlich. Einigkeit bei Ökonomie und Politik: wird zu wenig investiert, weil die Preise und Gebühren gering bleiben sollen, dann kann die Leistung auf Dauer nicht stimmen. Genau da setzten der Bayerische Umweltminister Thorsten Glauber und der Präsident des Bayerischen Gemeindetages, Dr. Uwe Brandl, an, als sie in ihren Reden bei der Führungskräftetagung in Erding die Bürger auf höhere Wasserentgelte einstimmten. „Wasser hat seinen Wert, dann muss es auch den richtigen Preis haben.“ So lässt sich das Credo der beiden zusammenfassen. Daher sollten sich, erklären Glauber und Brandl unisono, die Bürger auf steigende Wasserentgelte einstimmen. Doch selbst wenn die Finanzen stimmen, die Probleme sind damit nur zum Teil gelöst. Beide waren sich einig, dass der „Wert des Wassers“ höher ist, als die 1,57 Euro, die bayerische Wasserkunden durchschnittlich zahlen. Diesen Punkt hatte ich in meinem Vortrag ebenfalls aufgegriffen und die Wasserversorger ermuntert, über ihre Entgelte nachzudenken und nicht die geringen Wassergebühren als Erfolgsmaßstab zu werten, sondern die Qualität der Leistung. Je geringer die Entgelte, desto größer das Risiko, dass die Leistung bedroht wird.

In Bayern fallen die geringen Entgelte und niedrigen festen Anteile auf (Gendries)

Aus Nachwuchsproblemen können Qualitätsrisiken werden

Die Gründe sind auch zu einem gewissen Teil auch „hausgemacht“. Kleinere Versorger tun sich angesichts ihrer Strukturen zunehmend schwerer, personalwirtschaftlich die qualitativen Anforderungen der Wasserwirtschaft zu erfüllen – von den anstehenden Veränderungen ganz zu schweigen. Der demografische Wandel wird immer drängender. Der Vorteil der Kleinen, mit wenig Personal auszukommen, wird immer mehr zum Damoklesschwert. Die „alten Haudegen“ scheiden aus und das Wissen geht verloren, beschrieb es Dr. Juliane in ihrem Vortrag. „Damit beginnt der Aderlass“, will sie die Bürgermeister und Werksleiter aufrütteln. Und Thimet hat allen Grund. Denn die Nachwuchssuche findet auf dem „Markt knapper Ressourcen“ statt. Dort konkurrieren die kommunalen Betriebe auf dem Lande mit anderen Branchen und den Versorgern in den Städten. Bei vielen war diese Erkenntnis zu spät gereift, jetzt fehlen dort die Fachkräfte. Aber selbst, wenn eine Nachfolgeplanung beabsichtigt gewesen wäre, die Betriebe wären schlicht zu klein, um junge Kräfte frühzeitig zu binden. Die Tarifverträge des TVÖD und des TVV machen es schwer, attraktive Gehälter zu zahlen. Die Vergütungen im öffentlichen Dienst sind nicht gerade hilfreich, um mit Geld für technische Berufe in der Wasserwirtschaft zu motivieren. Und wenn, so hörte man in den Pausen, würden die „Eigengewächse“ abgeworben, ehe sie ihren Posten antreten könnten. Damit fehlen immer mehr Wasserver- und Abwasserentsorgern die „wassertechnischen Fachkräfte“. Diese Qualifikation wird von den „Allgemein anerkannten Regeln der Technik“ gefordert. Zwar hat das Bayerische Verwaltungsgericht schon vor über zwanzig Jahren geurteilt, dass dort wo die Regeln nicht in der Mehrheit umgesetzt seien, diese auch nicht allgemein anerkannt sein können. Wenn aber deshalb Sicherheit und Qualität in Gefahr geraten, muss schnellstens gehandelt werden.

Kooperationen sind die Lösung – Privatisierungen werden abgelehnt

Der Startschuss scheint gefallen. Die Erkenntnis war hart, aber sie ist da. In der bayerischen Wasserwirtschaft wird gemunkelt, dass rund ein Viertel der über 2.200 Wasserversorger in Zukunft ihre Eigenständigkeit abgeben oder in Zweckverbänden aufgehen werden. Nur so könnten sie ihre strukturellen Probleme und die Wasserknappheit bewältigen. Soviel ist aber jetzt schon klar: die Lösung lautet definitiv nicht „Privatisierung“. Anders als in anderen Regionen der Welt, sind die bayerischen Kommunen als Verantwortliche für die Daseinsvorsorge nicht daran interessiert, ihre Wasserversorgung in die Hände privater Unternehmen zu geben. Sie haben ihre eigene Lösung entwickelt: Kooperationen. Schon heute sind Wasserwerksnachbarschaften, also Kooperationen zum Erfahrungsaustausch, in Bayern bestens etabliert. Der Dachverband feiert in diesen Tagen sein zehnjähriges Bestehen. Bisher hieß es bei dem nächsten Schritt stets „Das mog i net“, beschrieb Thimet die Furcht vor dem Verlust der Eigenständigkeit. Aber im nächsten Jahr sind Kommunalwahlen in Bayern. Vielen Kommunalpolitikern wird jetzt gewahr, welche Verantwortung sie übernehmen. Mögen Straßen und Plätze noch so gut sein, wenn es darunter knirscht, dann droht Ungemach. Viele öffnen sich daher für Veränderungen. Das Credo beschrieb Thimet mit „So klein wie möglich, so groß wie nötig“. In den 60er Jahren seien die Zweckverbände, also Kooperation unter Gleichen, auf den Druck der Gebietsreform hin entstanden. Heute seien die Herausforderungen ähnlich. Doch heute könne freiwillig gehandelt werden. „Suchen Sie sich ihren Nachbarn, mit dem Sie kooperieren wollen“, appellierte Thimet an ihre Zuhörer im Saal. Erfahrungen gibt es. Immer mehr Kommunen schließen mit ihren Nachbarn so genannte „Betriebs-Zweckverbände“; jeder behält seine Anlagen, geteilt werden Personal, Sitz und Organisation. Und dann sind da noch die Stadtwerke. Dort, wo es passt, überträgt die Politik die Aufgaben an die benachbarten Stadtwerke oder schließt sich den Fernwasserversorgern an. Nicht selten sind die es dann, die den großen Nachholbedarf zu bewältigen haben. Aber Versorgungssicherheit und Trinkwasserqualität dürfen nicht lokalen Eitelkeiten geopfert werden. 

Veränderungen sind alternativlos

Der bayerische Weg in eine zukunftssichere und „generationengerechte“ Wasserwirtschaft wird steinig, aber er ist alternativlos. Die Struktur der bayerischen Wasserwirtschaft wird sich verändern, ihre öffentlich-rechtliche Struktur dagegen wird in weiten Teilen bestehen bleiben. Die Herausforderungen sind zu groß, um die Augen zu schliessen und auf „weiter so zu“ setzen. Womöglich hätte die Erkenntnis schon früher kommen müssen. Die Führungskräftetagung in Erding hat viele Teilnehmer nachdenklich gemacht. Es ist ein Verdienst des Bayerischen Gemeindetags, allem voran Dr. Juliane Thimet als Organisatorin, und Referentin, dass es Orientierung und Hilfestellung gibt. Ich werde in Zukunft vermehrt den Blick nach Bayern lenken und über die Ergebnisse dieses Veränderungsprozesses berichten. 

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