Gelingt der Schutz der Gewässer, wenn bei Spurenstoffen die Herstellerhaftung gilt?

Wie können Umweltreinigungskosten für Spurenstoffe verursachungsgerechter verteilt werden? Über einen Fonds sollen Hersteller und Importeure von Arzneimitteln und Chemikalien an den Kosten insbesondere für den Ausbau von Kläranlagen beteiligt und in die „Haftung“ genommen werden. Dieses Instrument schlägt die Wasserwirtschaft vor, in den die Hersteller einzahlen sollen, um die Abwassergebührenzahler zu entlasten und um Anreize für gewässerschonende Produkte „zu spürbar zu machen“. Die Rolle der Verbraucher ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Die Frage lautet: Kann so das Ziel „Schutz der natürlichen Gewässer“ und damit jener Wasserressourcen, aus denen später Trinkwasser gewonnen wird, erreicht werden? Ein nicht ganz einfacher Einblick in die Zusammenhänge.

Drastisch steigende Abwassergebühren werden unvermeidbar sein

Soviel scheint mittlerweile sicher: Abgesehen von der Vermeidung, können die Folgen für die Gewässer nur durch die Nachrüstung der sog. 4. Reinigungsstufe in Kläranlagen verhindert werden. Darunter ist ein Reinigungsverfahren zu verstehen, das die typischerweise vorhandenen drei Reinigungsstufen in einer Kläranlage ergänzt. Damit werden dann beispielsweise mittels feinster Filtertechnik die Restspuren von Chemikalien aus dem bereits gereinigtem Abwasser eliminiert, kurz bevor es in die natürlichen Gewässer eingeleitet wird. Diese zusätzliche Reinigung führt zu beträchtlichen Mehrkosten. Die schlagen sich in steigenden Abwassergebühren nieder. Diese gehen letztendlich zu Lasten der Verbraucher. Das will der Branchenverband BDEW ändern. Eine Untersuchung des Instituts citivity ermittelte Mehrkosten von 1,2 Mrd. € jährlich, die über Abwassergebühren finanziert werden. Dies würde zu einer Mehrbelastung für einen Vier-Personen-Haushalt in Deutschland in Höhe von rd. 60 Euro führen. Daher will die Wasserwirtschaft die Hersteller von gewässerverunreinigenden verursachergerecht an der Finanzierung der erforderlichen Reinigungsleistungen beteiligen. Dafür soll ein Fonds geschaffen werden. Den Vorschlag hierfür hat der BDEW vor drei Jahren gemacht. Grundlage war eine Studie der Beratungsgesellschaft MOcons.

Arzneimittel bestimmen die wichtigsten Spurenstoffe in der aquatischen Umwelt

In einer Folgestudie im Auftrag des BDEW haben MOcons und das IWW Zentrum Wasser (beiden Mülheim an der Ruhr) jetzt in einem repräsentativen Untersuchungsgebiet in Nordrhein-Westfalen die Spurenstoffe untersucht, die aus Kläranlagen in die Gewässer gelangen. Die Ergebnisse zeigen, dass für 95 Prozent der schädlichen Einträge nur zehn Spurenstoffe verantwortlich sind. Zu diesen „TOP10-Spurenstoffen“ gehören Arzneimittelwirkstoffe wie Ibuprofen und Diclofenac, aber auch Industriechemikalien wie PFOS, das für Beschichtungen von Textilien oder Kochgeschirr verwendet wird. Allein Diclofenac verursacht demnach fast ein Viertel der schädlichen Einträge. Nur durch diesen Arzneimittelwirkstoff werden demnach in den kommenden 30 Jahren Umweltreinigungskosten von bis zu 1,5 Milliarden Euro entstehen, haben die Experten ermittelt (Dabei dürften jene Maßnahmen, die unterlassen worden sind, und somit keine Kosten verursacht haben, verständlicherweise in dieser Summe nicht enthalten sein).

Die vom BDEW vorgeschlagene Fonds-Lösung sieht vor, dass die Inverkehrbringer eines Spurenstoffs gemäß dem Anteil des von ihnen in Verkehr gebrachten Spurenstoffs zur Finanzierung der Gesamtkosten beitragen. Demnach müssten die Hersteller von Diclofenac rund 20 bis 25 Prozent der Kosten tragen. Der Finanzierungsanteil aller Inverkehrbringer von Arzneimitteln allein mit dem Einzelwirkstoff Diclofenac würde damit bei einem Betrachtungszeitraum von 30 Jahren bei bis zu 1,5 Milliarden Euro liegen.

Der Handlungsdruck steigt massiv. Denn es wird erwartet, dass angesichts der Alterungsentwicklung der Gesellschaft und des steigenden Pro-Kopf-Verbrauchs an Medikamenten die Belastung der Gewässer durch Arzneimittelrückstände noch deutlich zunehmen wird. Bis zu 70 Prozent Anstieg werden bis 2045 erwartet. Wenn deren Rückstände in die Gewässer gelangen, dürften diese kollabieren.

Wir alle sind Verursacher

Bei der Verursachung sollten aber auch die Verbraucher und – bei Arzeimitteln – der Gesundheitssektor, also Apotheken, Ärzte und Krankenhäuser nicht aus der Pflicht genommen werden. Letztendlich sind es die häuslichen Abwasserleitungen, in die immer noch die Reste aus Arzneimittelflaschen oder Blisterverpackungen entsorgt werden, damit die Verpackungen ordnungsgemäß verwertet werden können. Hier gibt es nach wie vor Aufklärungsbedarf. Zudem wird häufig kritisiert, dass die Verpackungsgrößen unnötigen Abfall erzeugen würden. Dieser – und das kann nicht oft genug erwähnt werden – gehört in die „graue Abfalltonne“ (sofern der Müll verbrannt wird). Aber es herrscht auch viel Unwissenheit oder Sorglosigkeit beim Umgang mit Gegenständen des täglichen Lebens.

Nehmen wir das Beispiel der Outdoorkleidung. Hier werden per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) als Emulgatoren bei der Herstellung von mikroporösen Membranen eingesetzt. Wichtiger ist aber die Imprägnierung eines Kleidungsstücks oder Ausrüstungsteils, um wasserabweisende Eigenschaften zu erhalten. Auch hier kommen die gewässerverunreinigenden PFC zu Einsatz, die im Zuge der Lebensdauer in die Umwelt entweichen; festzustellen an der nachlassenden Wirkung des Schutzes vor Regen. Dafür gibt es aber Alternativen. So hat Greenpeace beispielsweise einige Hersteller wie gore-tex zu PFC-freien Produkten „bewegen“ können.

Wenn also den Herstellern für den PFC-Einsatz in Abhängigkeit der Menge und der Gewässerbeeinträchtigung zusätzliche Kosten durch die Einzahlung in den Fonds entstehen werden, dann werden sie vermutlich versuchen, diese Mehrkosten in die Preise einzukalkulieren. Wenn ihnen das gelingt, dann verteuert das diese PFC-haltigen Produkte und steigert die relative Attraktivität von PFC-freien Produkten beispielsweise mit expandiertem Polyethylen, bei dem keine fluorierten Chemikalien verwendet und daher in keiner Phase des Lebenszyklus gefährliche PFC freigesetzt werden. Gelingt es ihnen aufgrund der Wettbewerbsintensität oder der Marktmacht der Abnehmer nicht, bleiben sie auf ihren Kosten sitzen und werden nach Alternativen suchen. Die gibt es bereits. Noch sind es Nischenprodukte, aber wenn die Verbraucher gezielter hinschauen und nachfragen, dann merken der Handel und die Hersteller, dass ein „weiter so“ nicht gewollt ist. Vielleicht bedarf es aus regulatorischer Schritte? Greenpeace fordert die Regulierungsbehörden auf, ein umfassendes Verbot für die gesamte Gruppe der PFCs durchsetzen und unterstützt einen Vorschlag von fünf EU-Mitgliedstaaten (Dänemark, Deutschland, Niederlande, Norwegen, Schweden), alle PFC (PFAS) als Gruppe zu regulieren. Nur ein Beispiel, wie mit einem derartigen Thema umgegangen werden kann.

Wichtig sind die Anreize zur Vermeidung der potenziellen Gewässerbelastung

Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Hersteller und Importeure der späteren Spurenstoffe zu allererst in die Finanzierung von „End-of-pipe“-Maßnahmen herangezogen werden. Das ist gut so. Aber wie das Beispiel mit den PFC in der Outdoorkleidung gezeigt hat, ist dies eigentlich das falsche Ende der Maßnahmenkette. Der BDEW und die Autoren der Mülheimer Studie erwarten nicht nur eine Kostentragung, sondern auch eine Anreizwirkung durch die Verpflichtung in den Fonds einzuzahlen. Diese von der Gewässerschädlichkeit abhängigem Zahlungsverpflichtungen sollen den Herstellern und Importeuren einen Anreiz geben, die Gewässerschädlichkeit der Chemikalien zu reduzieren, um die Kosten zu reduzieren. Aber um diese Effekte aufzulösen, muss es gelingen, in Asien ansässige Hersteller von Arzneimitteln und Arzneimittelgrundstoffen zu erreichen. Diese beliefern nicht nur Abnehmer in Deutschland, sondern auch andere Märkte. Werden diese zu einer Verhaltensänderung bewegt, dann gehen die positiven Effekte über die deutschen Gewässer hinaus. Denn die Belastung der Gewässer findet ja nicht nur hier statt, wo die Kläranlagen schon in der Lage sind, die Spurenstoffeinträge zu reduzieren, sondern auch in solchen Ländern, die noch keinen derart hohen Anschlussgrad an Kläranlagen haben. Die Frage ist nur, ob ein Fonds in Deutschland einen asiatischen Hersteller bewegen wird, seine Produkte anzupassen. Wahrscheinlicher könnte es sein, dass die Mehrkosten abgewälzt werden und die Verbraucher es nicht über die Abwassergebühren sondern über die Arzneimittel bezahlen oder von den Krankenkassen getragen werden muss.

Viele Wege führen nach Rom

Dass die Verankerung des Verursacherprinzips zur Vermeidung von Umweltschäden der richtige Weg ist, haben der Europäische Rechnungshof und der EU-Umweltministerrat hat in seinem Beschluss vom 21. Oktober 2021 festgestellt. Der Rat hat die EU-Kommission aufgefordert, für die Anwendung des Verursacherprinzips zu sorgen. Damit unterstreicht er die Bedeutung der Herstellerverantwortung entlang globaler Wertschöpfungsketten.

Blicken wir auf die finanziellen Herausforderungen bei der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie und auf die Bewältigung der zunehmenden Belastung der Gewässer, dann wird an der konsequenten Umsetzung des Verursacherprinzips kein Weg vorbei führen. In dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung finden sich Impulse zur Herstellerverantwortung. So heißt es im „Ampelpapier“: „Wir stärken die erweiterte Herstellerverantwortung auf europäischer Ebene“. Die in Überarbeitung befindliche EU-Kommunalabwasserrichtlinie wäre sicher ein möglicher Weg. Die wasserwirtschaftlichen Verbände fordern in ihrer Stellungnahme, für die Abwasserbehandlung solle eine erweiterte Herstellerverantwortung europarechtlich verankert werden. „Nur über einen kohärenten europäischen Rechtsrahmen zur Umsetzung des Verursacherprinzips könne es gelingen, eine frühzeitige Verringerung des Eintrags von Spurenstoffen in den Wasserkreislauf anzureizen.“ Man wünscht sich jetzt offene Ohren in Brüssel. Denn bestenfalls auf europäischer Ebene wird ein Problem zu lösen sein, das eigentlich eine globale Dimension hat….

Quellen

Beitragsfoto

Saale-Fluss (Nähe Naumburg) (C) Gendries

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