Die Gewinnung von Erdöl und Erdgas in Niedersachsen soll sicherer für Umwelt und Natur werden. Deshalb hat das Niedersächsische Wirtschaftsministerium eine Neufassung der niedersächsischen Tiefbohrverordnung auf den Weg gebracht. Die Überarbeitung der rund 15 Jahre alten Bergverordnung für Tiefbohrungen, Untergrundspeicher und für die Gewinnung von Bodenschätzen durch Bohrungen im Land Niedersachsen (BVOT) beinhaltet insbesondere höhere Sicherheitsstandards für Tiefbohrungen sowie für Rohrleitungen.
Auf das „Prinzip Zufall“ ist kein Verlass
Im Spätsommer 2018 war bekanntgeworden, dass bei einer Einpressbohrung auf dem Ölfeld der Wintershall Dea in Emlichheim in der niedersächsischen Grafschaft Bentheim vier Jahre unbemerkt bis zu 220 Millionen Liter Lagerstättenwasser in den Untergrund ausgetreten waren. Hinweise auf den Schaden hatten sich erst bei einer Inspektion ergeben. Ursache waren Korrosionsschäden am Rohrsystem des Bohrlochs. Die Bohrung dient dazu, Wasser aus der Lagerstätte des Erdölfeldes, das zusammen mit dem Öl nach oben gefördert wurde, zurück zur Lagerstätte zu pressen. Damit die Entdeckung nicht mehr dem Zufall überlassen wird, will Niedersachsens Landesregierung eine turnusmäßige Überprüfung der Anlagen.
Nach einer eingehenden Überarbeitung liegt nun eine neu gefasste Verordnung mit deutlich strengeren Auflagen für die Erdöl- und Erdgasindustrie vor. So müssen in Niedersachsen im Sinne eines „Bohrloch-TÜV“ alle Erdöl-, Erdgas- und Speicherbohrungen sowie Rohrleitungen regelmäßig (mindestens alle zwei Jahre) durch externe Sachverständige auf Dichtheit überprüft werden. Die verantwortlichen Unternehmen müssen zudem an allen Erdöl-, Erdgas- und Speicherbohrungen die anstehenden Drücke kontinuierlich messen und die Daten auch speichern. In einer ständig besetzten Stelle sind die Daten zu bewerten, Unregelmäßigkeiten sind umgehend dem LBEG zu melden.
Landesregierung will strengere Auflagen: „Bohrloch-TÜV“
Der zuständige Landeswirtschaftsminister Dr. Bernd Althusmann begründet den Vorstoß mit dem Sicherheitsbedürfnis für Natur und Umwelt: „Wir haben unsere Lehren aus dem Vorfall von Emlichheim und anderer Leckagen aus der jüngeren Vergangenheit gezogen. Die Förderung von Erdöl und Erdgas muss höchsten Sicherheitsstandards genügen. So, wie sich die Explorations- und Produktionsverfahren technologisch weiterentwickeln, müssen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Mit der neuen Fassung der Tiefbohrverordnung wird den Belangen des Natur- und Umweltschutzes bei der Erdöl- und Erdgasgewinnung in Niedersachsen noch stärker Rechnung getragen.“
„Ähnlich wie unsere Autos alle zwei Jahre auf ihre Sicherheit für den Straßenverkehr überprüft werden, soll das auch an Tiefbohrungen und Leitungen geschehen, um die Sicherheit beispielsweise für unser Grundwasser zu erhöhen“, sagt Althusmann.
Keine neuen Bohrlöcher in Wasserschutzgebieten
In NRW hat die CDU-FDP-Mehrheit den gesetzlichen Schutz der Wasserschutzgebiete vor dem Kiesabbau mit dem neuen Landeswassergesetz vor wenigen Wochen aufgehoben. Als Ersatz ist eine Wasserschutzgebietsverordnung geplant. In Niedersachsen sind neue Bohrlöcher in Wasserschutzgebieten künftig tabu. Das ist das Resultat einer im Frühjahr geschlossenen „Vereinbarung zur Erdöl- und Erdgasförderung in Wasserschutzgebieten“. Die bereits bestehenden 60 Bohrungen nach Erdgas und Erdöl genießen aber Bestandsschutz. Hierfür ist die neue Verordnung vorgesehen. Aber noch ist das Thema nicht durch. Die Verbände sind zur Stellungnahme bis zum 30. September 2021 aufgerufen. Auch die Expertise der Technischen Kommission, die mit der Vereinbarung zur umweltverträglichen Erdgas- und Erdölförderung in Wasserschutzgebieten zwischen der Landesregierung und den maßgeblich beteiligten Verbänden eingesetzt wurde, soll hier Eingang finden.
Dem BUND Niedersachsen reicht diese angestrebte Änderung der Verordnung nicht. Dessen stellvertretender Vorsitzender, Axel Ebeler, erklärt auf Anfrage: „Selbstverständlich reicht diese eine Initiative nicht. Es fehlt eine Ausstiegsszenario aus der Erdöl-/Erdgasförderung in Niedersachsen.“ Es ist offenkundig, dass sich die Landesregierung von ihrem Vorstoß keinen Konsens mit den Natur- und Umweltschützern erwarten darf. Das ist sicher auch dem gesellschaftlichen Wandel in der Einschätzung der Risiken im Zusammenhang mit dem Abbau und der Nutzung von Primärenergieträgern in Deutschland geschuldet. Die Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus dem Kohlebergbau könnten auch in der Niedersachsen die Erwartungshaltung prägen. Ob da ein Bohrloch-TÜV wirklich helfen wird?
Quellen/Weiterführendes
- AUSTRITT VON LAGERSTÄTTENWASSER IN EMLICHHEIM, Wintershall/DEA
- Vereinbarung zur Erdöl- und Erdgasförderung in Wasserschutzgebieten
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