Weshalb die Wasserkraft den Flüssen und damit dem Umweltschutz schadet

Seit 2005 findet jährlich am vierten Sonntag im September der Internationale Tag der Flüsse statt. Dieses Jahr fällt er auf den Tag der Bundestagswahl, den 26. September 2021. Der nachfolgende Beitrag widmet sich dem Thema „Behinderung der Flüsse durch Wasserkraftwerke“ und will damit eine Kehrseite der Energiewende thematisieren. Der Weg geht über Forschungsergebnisse zu den Folgen der Wasserkraftwerke für die aquatische Umwelt, die Eingriffe durch neue Dämme in China hin zu einem heimischen Beispiel, die Agger, und mündet in den Maßnahmen der Nationalen Wasserstrategie.

Studie warnt vor Bedrohung von 260.000 Kilometern Fließgewässer durch zukünftige Staudämme

Wasserkraftwerke liefern einen wichtigen Beitrag zur Energiewende in Deutschland und zu weltweiten Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Wasserkraftwerke, die in Flüssen stehend Energie aus der fliessenden Welle erzeugen, haben auch negative Einflüsse auf die aquatische Umwelt. Durch ihre Bauform bilden sie so genannte Querbauwerke. So tragen sie maßgeblich dazu bei, dass Bäche und Flüsse nicht mehr frei fließen können.

Ein internationales Forscher*innen-Team, bestehend u.a. aus dem WWF und der Senckenberg-Gesellschaft hat die weltweite Beeinträchtigung von Flüssen durch geplante Staudämme dokumentiert. Sie kommen zu dem Schluss, dass Fließgewässer von insgesamt mehr als 260.000 Kilometern Länge durch zukünftige Staudämme nicht mehr frei fließen könnten – mit massiven Auswirkungen auf die einzigartige biologische Vielfalt und die vielfältigen Leistungen dieser Gewässer. Die Studie erscheint im Fachjournal „Global Sustainability“.

Auch die weltweit größten Flüsse wie der Amazonas oder der Kongo gehören zu denen, die durch den Ausbau der Wasserkraft unterbrochen und gefährdet würden. Das ForscherInnen-Team plädiert – auch im Hinblick auf die Weltnaturschutzkonferenz im Oktober diesen Jahres – daher an die EntscheidungsträgerInnen eine sorgfältige Abwägung zwischen einem weiteren Ausbau der Wasserkraft und der Erhaltung von intakten Gewässern zu treffen.

Die Fakten:

In Deutschland werden gegenwärtig etwa 8.300 Wasserkraftanlagen betrieben, von denen ca. 7.300 in das öffentliche Stromnetz einspeisen. Die in das öffentliche Netz einspeisenden verfügen zusammen über eine installierte Leistung von etwa 5.600 Megawatt (MW). Sie speisen etwa 20.000 Gigawattstunden Strom pro Jahr in das öffentliche Netz ein.

Die überwältigende Mehrheit sind mit 94 Prozent der Anlagen so genannte Kleinwasserkraftanlagen mit einer installierten Leistung von unter 1 Megawatt. Der durch die bundesweit rd. 6.900 Kleinwasserkraft-Anlagen beigetragene Anteil an der gesamten Stromproduktion in Deutschland beträgt weniger als 0,5 Prozent. 

57 Prozent der großen Wasserkraftanlagen sind über 60 Jahre alt. Die Betriebsgenehmigungen wurden teilweise dauerhaft (sog. Altrechte) oder über lange Zeiträume (100 Jahre) erteilt.

Die Zahl der Querbauwerke in deutschen Flüssen wird auf mehr als 190.000 geschätzt; etwas mehr als 2 pro Flusskilometer.

Im Rahmen der Umsetzung der WRRL wird die Energiegewinnung aus Wasserkraft an 33 Prozent der Fließgewässer bzw. 45.000 km Fließstrecke von den Bundesländern als signifikante Belastung eingestuft. Je geringer der Stromertrag einer Wasserkraftanlage ist, desto ungünstiger stellt sich das Verhältnis zwischen den Kosten der gewässerökologischen Maßnahmen (insbesondere §§ 33–35 WHG) und dem Ertrag der Anlage dar.

BMWI / Wasserkraft-in-Deutschland / Nationale Wasserstrategie (BMU/UBA)

Wir können es uns nicht leisten, die Bedeutung von Flüssen, den Klimawandel und den Verlust der biologischen Vielfalt getrennt zu betrachten“, sagt Michele Thieme, Hauptautorin der Studie vom World Wildlife Fund (WWF) und fährt fort: „Flüsse sind zentral, um Wildtiere und intakte Ökosysteme zu bewahren – insbesondere in einem sich erwärmenden Klima. Ihre Fähigkeit, vielfältiges Leben zu erhalten, wird aber in vielen Teilen der Welt durch Staudämme bedroht. Die überzeugendsten politischen Lösungen werden diejenigen sein, die den Bedarf an erneuerbarer Energie mit den vielfältigen Vorteilen intakter Süßwasserökosysteme in Einklang bringen.“

Wasserkraft ist keine umweltschonende Energiequelle

Die ForscherInnen zeigen, dass alle geplanten Staudämme zusammen weniger als zwei Prozent der erneuerbaren Energie – die bis 2050 benötigt wird, um den globalen Temperaturanstieg unter 1,5 Grad Celsius zu halten – erzeugen würden. „Ein verschwindend kleiner Beitrag, wenn man ihn mit den potenziell verheerenden Folgen für die derzeit verbleibenden, frei fließenden Flüsse sowie die Menschen und Arten, die von diesen abhängen, vergleicht“, warnt Co-Autor und Senckenberg-Geschäftsführer Tockner und ergänzt: „Wasserkraft ist zwar eine erneuerbare, aber keine klimaneutrale oder gar umweltschonende Energiequelle.“

Um die ökologisch wertvollen Räume zu erhalten, schlagen die Wissenschaftler vier Strategien vor:

  1. Vermeidung der Fragmentierung von Flüssen durch einen offiziellen Schutzstatus oder durch die Entwicklung alternativer Energieerzeugung, beispielsweise durch Wind und Sonne.
  2. Minimierung der Auswirkungen von Wasserkraftanlagen auf die Flüsse durch eine gezielte Auswahl von Standorten mit möglichst geringen Auswirkungen auf Mensch und Natur.
  3. Renaturierung der Flüsse durch einen Rückbau von Staudämmen
  4. Ausgleich der negativen Auswirkungen von Staudämmen. Wenn ein Fluss durch einen Damm beeinträchtigt wird, soll dafür ein anderes Fließgewässer geschützt werden, um sicherzustellen, dass ähnliche ökologische Werte und Leistungen in einer Region erhalten bleiben.

Wir müssen verhindern, dass Gewässer die größten Verlierer des Pariser Abkommens werden. Erneuerbare Energie kann nicht mit umweltfreundlicher und klimaneutraler Energie gleichgesetzt werden. Klima- und Biodiversitätsschutz dürfen nicht isoliert betrachtet werden; beide Herausforderungen müssen gemeinsam bewältigt werden, weil sonst klimaschonende Maßnahmen massive, umweltschädigende Folgen haben können“, ruft Tockner zum differenzierten Vorgehen bei Klima- und Umweltpolitik auf.

Flüsse sind die „Arterien der Erde“

Flüsse sind die „Arterien der Erde“, die für die Erhaltung aquatischer Ökosysteme und vieler gesellschaftlicher und wirtschaftliche Dienstleistungen unverzichtbar sind, erklärten kanadische Forscher der McGill University in Montreal Im Jahr 2019 in ihrer Studie „Mapping the world’s free-flowing rivers„.

Die Sicherung und Wiederherstellung frei fließender Flüsse ist eine Herausforderung, die durch den beschleunigten Ausbau der Wasserkraft und ein beispielloser Rückgang der Biodiversität in Süßwasser, erklärten die Forscher. Ihre Studienergebnisse zeigen, dass sehr lange (>1.000 km) Flüsse am stärksten gefährdet sind. Von ihnen sind nur 36 Prozent frei fließend. Diese Ergebnisse bestärken die dringende Notwendigkeit einer konzertierten globalen und nationale Strategien zur Erhaltung und Wiederherstellung frei fließender Flüsse auf der ganzen Welt. „Frei fließende Flüsse sind für Mensch und Umwelt gleichermaßen wichtig, aber die ökonomische Entwicklung rund um die Welt lässt sie zunehmend selten werden“, sagt Günther Grill, einer der federführenden Wissenschaftler der kanadischen Studie. Auch diese Forscher erkannten die weitreichenden Auswirkungen der Wasserkraft auf Ökosysteme und Artenvielfalt.

Lippe (Foto: Gendries)

China will mit Staudämmen und Wasserkraft die Klimabilanz bis 2050 verbessern

Der Blick auf die globale Entwicklung führt unweigerlich nach China. Dort gibt es aktuell mehr als 87.000 Staudämme. Über 23 Millionen Menschen wurden angesichts der Staudämme aus ihren Häusern und ihrem Land vertrieben. Wie die Nichtregierungsorganisation International Rivers erklärt, hat China einen hohen Preis für den Ausbau der Wasserkraft bezahlt. Trotz des kritischen Zustands der Flüsse habe die chinesische Regierung ehrgeizige Pläne, die Wasserkrafterzeugung in einigen der wenigen verbleibenden unberührten Flusseinzugsgebiete mit hohem Biodiversitätswert im abgelegenen Südwesten Chinas auszubauen. Hierzu zählen u.a. der Mekong, der Brahmaputra und der Jinsha (stromaufwärts des Drei-Schluchten-Staudamms im Jangtse-Becken). In vielen dieser Projekte gehe es nicht nicht nur um Wasserkraft. Politische Beobachter werfen der chinesischen Staatsregierung auch eine besonders kritische Form der „Wasser-Hegemonie“ vor.

Viele Dämme – wie der Brahmaputra – beeinträchtigten die Wasserverfügbarkeit der Unteranlieger-Staaten. Mit dem Staudamm am Brahmaputra sollen chinesischen Staatsmedien zufolge bis zu 60 Gigawatt Energie durch Wasserkraft erzeugt werden, fast drei Mal so viel wie am Drei-Schluchten-Damm am Yangtsekiang. Die Volksrepublik wolle ihre CO2-Bilanz verbessern, sagte Chinas Präsident Xi Jinping im Dezember 2020 anlässlich des Weltklimagipfels. Ein hoher Preis, den nicht nur die betroffenen Bewohner der Region und die Unteranrainer zu zahlen haben, sondern auch die Natur.

Ein Beispiel: die Agger

Um ökologische Fehlentwicklungen bei der Kleinen Wasserkraft und deren Folgen für die Flüsse hierzulande zu besichtigen, braucht man nur die Agger zu besuchen. Die Agger ist als Nebenfluss der Sieg ein ökologisch sehr interessantes und wichtiges Gewässer, u.a. eines der wenigen ausgewiesenen Zielartengewässer für Lachs und Aal in NRW.

Die Schönheit der Agger und ihr Wert für die aquatische Umwelt wird auf einer Gewässerstrecke von 20 Kilometern durch Querbauwerke mit (eingeschränkter) Wasserkraftnutzung fünf Mal unterbrochen. Daran übt seit Jahren der BUND Kritik und bezeichnet sie deshalb „als sehr stark degradiert“.

Wer glaubt, dass sich angesichts der eindeutigen Rechtslage in Deutschland daran etwas ändert, der sieht sich getäuscht. In seiner Stellungnahme zum 3. Bewirtschaftungsplan des Landes NRW zur EU-Wasserrahmenrichtlinie macht das „Wassernetz NRW Flussgebietskoordinator für die Agger“ seinem Frust Luft. Zwar fordert Paragraph 34 des Wasserhaushaltsgesetzes die Durchgängigkeit oberirdischer Gewässer, dessen ungeachtet habe, so der Sprecher des Wassernetzes, Friedrich Meyer, die zuständige Behörde, die Bezirksregierung Köln, entgegen der gesetzlichen Bestimmung des § 34 bislang keine „Anordnung zur Wiederherstellung der Durchgängigkeit“ an der Agger getroffen.

(1) Die Errichtung, die wesentliche Änderung und der Betrieb von Stauanlagen dürfen nur zugelassen werden, wenn durch geeignete Einrichtungen und Betriebsweisen die Durchgängigkeit des Gewässers erhalten oder wiederhergestellt wird, soweit dies erforderlich ist, um die Bewirtschaftungsziele nach Maßgabe der §§ 27 bis 31 zu erreichen.

(2) Entsprechen vorhandene Stauanlagen nicht den Anforderungen nach Absatz 1, so hat die zuständige Behörde die Anordnung zur Wiederherstellung der Durchgängigkeit zu treffen, die erforderlichen sind, um die Bewirtschaftungsziele nach Maßgabe der §§ 27 bis 31 zu erreichen.

§ 34 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG)
Karte (TIM online): Lage der Wasserkraftwerke an der Agger, Engelskirchen (Q: BUND Wassernetz Agger)

Nationale Wasserstrategie reagiert auf Handlungsbedarf bei kleinen Wasserkraftwerken

Die vom BUND kritisierten Umsetzungsdefizite wurden auch auf dem Nationalen Wasserdialog thematisiert. Die Naturschutzverbände hatten im Verlaufe der Diskussion auf die ökologische Beeinträchtigung der Fließgewässer durch Wasserkraftwerke hingewiesen und weisen auf Umsetzungsdefizite in Bezug auf den Gewässerschutz und insbesondere der EU-WRRL hin. „Um zukünftige Herausforderungen zu meistern, sind optimierte Organisationsstrukturen zu schaffen, ausreichend Fachkräfte, Kompetenzen bei Verwaltungen und Behörden zu stärken und Entscheidungsleitlinien zu entwickeln“, heißt es im Abschlussdokument.

Die Nationale Wasserstrategie greift diese Defizite auf und erkennt, das der Betrieb von Wasserkraftanlagen erheblich dazu beiträgt, dass die Bewirtschaftungsziele nach der EU-Wasserrahmenrichtlinie in Deutschland noch nicht erreicht werden. Sie zeigt unter dem Titel „Wasserkraft gewässerschonend gestalten“ die folgenden „kurzfristigen Aktionen“ auf:

  • Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Wasserkraft überprüft und im Einzelfall angepasst werden.
  • Die Regelungen im EEG, die Anreize* für neue kleine Wasserkraftanlagen und für Leistungserhöhungen setzen, sollen auf ihre Umweltwirkungen überprüft und ggf. angepasst werden.
  • Bei größeren neuen Anlagen sowie bei Leistungserhöhungen größerer Bestandsanlagen soll die Förderung künftig in jedem Fall an die nachweisliche Erfüllung der wasserrechtlichen Anforderungen (insbesondere Mindestwasserführung, Durchgängigkeit, Fischschutz) geknüpft werden. Die bisherige Förderung allein aufgrund einer Erhöhung des Leistungsvermögens um mindestens 10 Prozent soll künftig entfallen.
  • Die Förderung soll entfallen, wenn die zuständige Behörde feststellt, dass die Anforderungen der wasserrechtlichen Zulassung nicht bzw. nicht mehr eingehalten werden.
  • In Betracht kommt darüber hinaus eine Anpassung* der ordnungsrechtlichen Anforderungen an die Nutzung von Wasserkraft, v. a. im Hinblick auf eine Verbesserung des Fischschutzes und des Fischabstiegs an Wasserkraftanlagen.

Der Handlungsbedarf ist offenkundig, die Ziele und Maßnahmen sind gesetzt, jetzt muss die nächste Bundesregierung zur Tat schreiten. Die Energiewende ist angesichts des Klimawandels „alternativlos“, um eine Formulierung der scheidenden Kanzlerin Angela Merkel zu verwenden, aber sie darf nicht auf Kosten der aquatischen Umwelt gehen.

Weiterführendes

  • Publikation: Thieme, M., Tickner, D., Grill, G., Carvallo, J., Goichot, M., Hartmann, J., . . . Opperman, J. (2021). Navigating trade-offs between dams and river conservation. Global Sustainability,4, E17. doi:10.1017/sus.2021.15
  • Bundesverband Deutscher Wasserkraftwerke (BDW) e.V.: Wasserkraft in ZahlenWasserkraft in Deutschland
  • Zdrallek, M. (2018): Netztechnischer Beitrag von kleinen Wasserkraftwerken zu einer sicheren und kostengünstigen Stromversorgung in Deutschland. Bergische Universität Wuppertal. Wuppertal.

Beitragsfoto: Senckenberg-Gesellschaft

1 Kommentar

  1. Wasserkraft ist Gut! Nennen Sie bitte eine Studie die einen direkten kausalen Zusammenhang zwsichen Wasserkraft und dem Rückgang der Artenvielfalt beweist, bei ganz normalem Betrieb. Und bitte keine Studie, bei der massenhaft Zuchtfische geopfert wurden.
    Die Wasserkraftkultur in Deutschland ist Jahrhunderter alt und hat der Natur nicht geschadet. Die Wasserkraft-Betrieber*innen praktizieren aktiven Umwelt- und Klimaschutz durch Gewässerpflege und Erzeugung C02-freier Energie.
    Will man massenhaftes Artensterben verhindern müssen wir aufhören schädliche Chemikalien in die Flüsse zu leiten und neue Lebensräume schaffen. Zudem müssen wir für Hochwasser und Dürreperioden vorsorgen.
    Grüße aus der Südpfalz

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  1. Wasserkraft ist keine umweltschonende Energiequelle | Heidis Mist

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