„Eines Tages wird man vielleicht sagen, dass die deutsche Wasserrevolution in Mülheim an der Ruhr begonnen hat. Dort hat der Wasserversorger RWW, eine Beteiligung des Energieriesen RWE, im Januar sein Tarifsystem geändert.“ So begann im Sommer 2012 ein ganzseitiger Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit dem vielsagenden Titel „Wasser marsch!“. Was damals vielleicht ein nachdenkliches Schmunzeln ausgelöst haben mag, ist heute in vielen Regionen schon Normalität. Dem Beispiel der Mülheimer RWW Rheinisch-Westfälische Wasserwerksgesellschaft sind in den folgenden Jahren zahlreiche Versorger gefolgt. Heute hat mit den Stadtwerken Düren ein weiterer Wasserversorger aus dem Aachener Raum die Umstellung auf das Systempreismodell bekannt gemacht.
Verursachungsgerechtigkeit und Kostendeckung – darum geht es bei der Preisumstellung
Der Begriff „Systempreis“, damals von RWW geprägt, steht heute für ein Preissystem, das eine Ausgewogenheit zwischen der Kostenstruktur und der Preisstruktur ermöglicht. Es berücksichtigt in den festen Entgelten – heute „Systempreis“, früher als „Grundpreis“ bezeichnet – die mit 80 Prozent hohen Fixkostenanteile. Im Gegenzug wird der Mengenpreis, also der Betrag je Kubikmeter Wasser, deutlich gesenkt. Das Verhältnis von 50 % Systempreis und 50 % Mengenpreis über alle Erlöse ist das erklärte – und zumeist erreichte Zeil. Damit wird die wichtige Umsatzneutralität der Preisumstellung gewährleistet und die Kostendeckung angenähert. Weil mit der Umstellung auch noch die Abschaffung des Zählergrundpreises und die Einführung von Wohneinheiten als Bemessungsgrundlage für den Systempreis einhergeht, wird auch mehr Verursachungsgerechtigkeit geschaffen. Der Unterschied zu vielen anderen Wohneinheiten-Modellen liegt im Systempreismodell von RWW darin, dass mit zunehmende Größe des Objektes der Betrag je Wohneinheit sinkt; deshalb wird vom degressiven Verlauf gesprochen. Das ist auch in Düren der Fall. Damit werden Wenigverbraucher wegen ihrer im Vergleich zu anderen Kunden gleich hohen Nutzung des vorgehaltenen Versorgungssystems stärker an den Kosten beteiligt. Bisher haben die anderen Kunden, also Durchschnitts- und Vielverbraucher zum Beispiel Familien mit Kindern die entstehenden Kosten mit begleichen müssen. Sie mussten auch die Preissteigerungen tragen. Denn je weniger Wasser der Versorger seinen Kunden liefert, desto stärker müssen die Preise bei den herkömmlichen Preissystemen steigen, weil die hohen Fixkosten auf immer weniger Menge verteilt werden müssen. Zu gering ist der Anteil jener Kosten, die abgebaut werden können. Hierdurch wird die Ungerechtigkeit der Kostenverteilung unmittelbar deutlich. Benötigt wurde daher ein Tarifsystem, das trotz Bevölkerungsrückgang und vielerorts sinkender Wassernachfrage die Qualität und Versorgungssicherheit gewährleistet und Verursachungsgerechtigkeit der Preise herstellt. Genau da hat RWW angesetzt und gemeinsam mit der Unternehmensberatung MOcons aus Mülheim an der Ruhr mit dem Systempreismodell eine zukunftsgerichtete Lösung entwickelt und im Jahre 2012 eingeführt.
Das Systempreismodell ist bundesweit auf dem Vormarsch
Die Stadtwerke Düren sind der jüngste „Umsteller des Wasserpreissystems“. Sie haben eine ähnliche Situation wie RWW und wollen sich dem Preissteigerungsdruck in Folge rückläufiger Wassernachfrage durch Anhebung der Nachfrageunabhängigen Entgelte einerseits und Absenkung der Mengenpreise entziehen. Das erklären sie in ihrer heute veröffentlichten Pressemitteilung: „Dieser Systempreis ist höher als der bisherige Grundpreis. Gleichzeitig wird der Mengenpreis um 0,34 Euro je Kubikmeter Wasser auf 1,53 Euro gesenkt. Mit dem neuen Wassertarifmodell reagiert der regionale Energie- und Wasserversorger auf die seit Jahren rückläufigen Wasserverbräuche, verursacht durch wassersparende Haushaltsgeräte, den demografischen Wandel und einen ausgeprägten Wassersparwillen in der Gesellschaft.“ In der Aachener Region folgen die Dürener mit der Einführung des Systempreismodells den Stadtwerken Jülich und dem Verbandswasserwerk Aldenhoven. Beide Versorger haben auch auf die Nachfrage- und Kostenentwicklung reagiert, um ihre Kunden vor absatzbedingten Preissteigerungen zu bewahren. das gilt natürlich auch für Abwasser – und zwar wegen der Diskrepanz zwischen Kosten- und Gebührenstruktur im viel stärkerem Maße (siehe Abbildung).
Nicht die Landeskartellbehörden sind das Risiko, sondern die unzureichende Kommunikation
In vielen Regionen wird mittlerweile ein ähnlicher Weg beschritten. Auch in Niedersachen, Hessen und Bayern beginnen immer mehr Stadtwerke und Wasserversorger auf Preisumstellungen hinzuarbeiten. Da eine Wasserpreisumstellung keine Spielwiese für experimentierfreudige Ökonomen oder Berater ist, greifen die meisten Umstellungswilligen auf solche Berater zurück, die über die notwendige Erfahrung bei der Modellentwicklung und bei der Kommunikation verfügen. So haben sich beispielsweise die Stadtwerke Krefeld, die Stadtwerke Velbert, die Stadtwerke Ascherselben und die Hochsauerlandwasser von RWW und MOcons bei ihrer Umstellung beraten lassen.
Dass die Landeskartellbehörde in NRW, aber auch die Wettbewerbswächter in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz, derartigen Umstellungen ausgesprochen aufgeschlossen gegenüberstehen. Dass sie zuweilen sogar anstelle eine Umstellung eine Erhöhung fordern, ist eine Erleichterung. Trotzdem muss die Maßnahme den Kunden und Stakeholdern plausibel und glaubwürdig dargelegt werden. Daher ist die Kommunikation ein elementarer Erfolgsfaktor. Wie der Presse zu entnehmen ist, scheitern Projekte zumeist daran, dass den Kunden und Medien nicht plausibel erklärt werden kann, warum eine Umstellung notwendig ist und dass es nicht nur Gewinner geben kann. Kommunikation ist eine Bringschuld des Versorgers. Wer sein Modell nicht so gestaltet, dass die Be- und Entlastungen in vertretbaren Bahnen bleiben oder dies nicht plausibel erklärt, erzeugt nahezu zwangsläufig Ablehnung und Widerstand. Nicht selten landen solche Vorhaben vor den Gerichten (das Systempreismodell nach der RWW-Methodik gehört nicht dazu!).
Zwar hat bisher wohl jeder Richter die Billigkeit der Preise in Folge der Umstellung anerkannt, Ärger und negative Presse sind dann aber nicht mehr vermeidbar. Für Stadtwerke ergibt sich anders als bei Einsparten-Wasserversorger ein ganz anderes Risiko. Kunden, die sich über Wasserpreise ärgern, kündigen dann ihre Strom- oder Gasverträge. Daher sollte schon aus Eigeninteresse nicht am falschen Ende gespart und ein Preismodell „nicht gebastelt, sondern auf die Besonderheiten des Versorgungsgebietes zugeschnitten werden. Kurzum: Copy & Pace ist ein Vabanquespiel mit hohem Risiko!
Das Wasser sparen geht weiter. Wer zahlt dann für das System?
Auch das ist eine wichtige Botschaft: das Wasser sparen geht weiter. Wieder liefert die FAZ die Hintergründe: „Nach Branchenschätzungen gibt es in Deutschland rund 2,3 Millionen Regenwasserauffang und -nutzungsanlagen, knapp 60 000 kommen alljährlich neu hinzu. Nicht alle ersetzen das Trinkwasser im Haushalt, ganz sicher aber im Garten.“ Ähnlich bei der Industrie. Auch hier wird zunehmend auf Regenwassernutzung, effizientere Wassernutzung und Kreislaufführung zurückgegriffen. Das Systempreismodell berücksichtigt das Nachfrageverhalten der Industrie in den Tarifen. Da hier eine andere, zumeist stärker schwankende Wasserabnahme erfolgt, unterscheiden sich die Systemkosten von den Haushalten. Hier orientiert sich der Systempreis für die typischen Nutzer an der abgenommen Wassermenge. Dort, wo der Verbrauch aus Kostensicht eine verursachungsgerechte Bemessungsgrundlage darstellt, macht ein dementsprechender Systempreis auch Sinn.
Nicht immer ist Wassersparen auch sinnvoll
In nächster Zeit wird man sicher auch für solche atypische Systemnutzungen eine Lösung finden, die daher rühren, dass Kunden zwar ein sehr grosses System brauchen, aber nur in Ausnahmefällen Wasser beziehen, zum Beispiel wenn ihre Kreislaufsysteme gewartet werden, die Eigenbrunnen versiegt sind oder sie Löschwasser brauchen. Auch sie sollten in verursachungsgerechte Preissysteme für Trinkwasser einbezogen werden. Denn auch für diese Kunden gilt: aus Ressourcensicht mag ein geringer Bezug aus dem öffentlichen Trinkwassernetz sinnvoll erscheinen, für den Versorger mit seinen weitgehend unveränderbaren Anlagen hat es wirtschaftliche Konsequenzen – und die muss er an die Verbraucher weiter reichen. Kostendeckung ist gesetzliche Pflicht! Wer will schon, wie in anderen Ländern mehrere Stunden auf das Wasser verzichten oder zum Flaschenwasser greifen müssen, weil die Erlöse nicht ausreichen?
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