Warum Wasserpreiserhöhungen unverzichtbar sind

Jetzt ist die Zeit für Wasserpreiserhöhungen. In jedem Herbst mehren sich Gremiensitzungen in Versorgungsbetrieben, bei denen die Anpassungen der Wasserentgelte auf den Tagesordnungen stehen. Aber nicht immer erhalten die Geschäftsführungen von Bürgermeistern und Kommunalpolitikern die erforderliche Zustimmung. Politisch passt eine Erhöhung eben nicht immer in die Zeit. Seien es anstehende Wahlen oder zurückliegende Wahlversprechen. Politisches Handeln bei Wasserpreisen lässt sich nicht immer mit betriebswirtschaftlicher Vernunft in Einklang bringen. Die Preisanpassungen werden dann solange aufgeschoben, bis die nächste Wahl vorüber oder aber die Substanz bedroht ist. Die dann unvermeidbaren Schritte sind umso schmerzhafter und werden begleitet von lautem Protest der Bürgerschaft. Dieser Beitrag wirbt für politische Vernunft, Transparenz und betriebswirtschaftlich konsequentes Handeln.

Wasserpreise werden nicht regelmäßig angepasst 

Die Fakten: Schauen wir in die NRW-Preisstatistik, die ich mit Unterstützung fleissiger Studenten und Azubis seit mehr als acht Jahren pflege. In Nordrhein-Westfalen zeigt eine Analyse von fast 300 Wasserversorgern einen durchschnittlichen Anstieg der aktuellen Wasserpreise im Vergleich zum Vorjahr um mal gerade 2,4 Prozent. Bei Haushaltskosten in Höhe von 255 Euro im Jahr (für eine dreiköpfige Familie im Dreifamilienhaus) bedeutet dies mal gerade 5,50 Euro Mehrbelastung. Für eine Kiste Mineralwasser im Getränkemarkt zahlt man mindestens genauso viel. Wieso tun sich die Versorger dann so schwer, ihre Wasserpreise anzupassen? Haben sie nicht den Mut, ihren Kunden und Aufsichtsgremien bei einprozentigen Inflationsraten eine Wasserpreissteigerung zu erklären oder zieht die Politik die Bremse? Das Problem ist ein längerfristiges, wie die Zahlen aus NRW belegen.

"Altersstatistik" von Trinkwasserentgelten in NRW
„Altersstatistik“ von Trinkwasserentgelten in NRW

Mindestens in dem bevölkerungsreichsten Bundesland haben die Versorger erheblichen Nachholbedarf bei den Wasserentgelten. Während nämlich von Jahr zu Jahr eine Preissteigerung für viele Produkte zu beobachten ist, so haben die Versorger in den vergangenen Jahren Disziplin geübt – positiv gesprochen. Von betrachteten 291 Wasserversorgern, deren Bekanntmachungsdaten vorliegen, haben 92 Unternehmen und Betriebe ihre Entgelte seit 2011 nicht mehr geändert. Bei 46 Versorgern hat die letzte Preisanpassung sogar 2007 oder früher stattgefunden. Diese Daten münden in einem durchschnittlichen Alter der Wasserentgelte von 4 Jahren. Dies muss man sich einmal vorstellen: Materialkosten, Personalkosten, Tiefbaudienstleistungen und zumindest bis vor vier Jahren auch die Zinsen und Energiekosten steigen jährlich an, gleichzeitig sinken die Wasserabsätze von Jahr zu Jahr – und das bei hohen mengenabhängigen Entgelten – und trotzdem hält nahezu die Hälfte der Versorger ihre Preise seit fast drei Jahren stabil.

Preisstabilität bei Trinkwasser zehrt an der Substanz der Infrastruktur 

Wer jetzt an höhere Effizienz und Kostendisziplin als Gründe für diese Zurückhaltung denkt, der irrt. So einfach ist das nicht. Auch hier hilft ein Blick in die NRW-Zahlen. Im Rahmen des NRW-Landesbenchmarkings Trinkwasser wurde bei den Erneuerungsmaßnahmen für die Rohrnetze festgestellt, dass die Unternehmen zunehmend weniger für die Substanzerhaltung aufwenden. Während der „Orientierungswert“ von 1 Prozent der Lebensdauer der Rohre und Armaturen sehr nahe kommt, hätten schon der von 2008 bis 2011 festgestellte Wert von 0,8 Prozent eine 125-jährige Lebensdauer der technischen Anlagen erfordert. Mittlerweile haben sich die Unternehmen auf 0,6 Prozent herunter gespart – das wären stolze 167 Jahre. Dies bezeichnet man auch als einen sich abzeichnenden Investitionsstau. Wer in Zukunft also häufiger Wasserrohrbrüche registriert, der muss sich nicht mehr wundern. Wenn die Umsatzerlöse wegen des Absatzrückganges in Folge des Wassersparens zurückgehen, die Material- und Personalkosten aber gleichzeitig steigen, dann müssen die Investitionen Investitionen zwangsläufig darunter leiden. Diese Entwicklung kann auch nicht mit bilanzpolitischen Maßnahmen begründet werden, also Aufwand statt Invest. Wer als Versorger die Preise nicht durch regelmäßige Anpassung auf einem angemessen Niveau hält und sich damit die Finanzkraft für die Substanzerhaltung verschafft, der opfert das Versorgungssystem zu Lasten nachfolgender Generationen. Diese müssen dann die Zeche bezahlen. Wer den Beleg für die skizzierten Folgen sucht, der möge sich die Strassen und Brücken anschauen.

Die Unternehmen mit angezogener Preisbremse handeln zudem auch noch gegen den erklärten Willen der NRW-Landesregierung. Diese ermuntert nämlich die Versorger, ihre Entgelte anzuheben, um die Kostendeckung sicher zustellen. Allen voran die Landeskartellbehörde und das Umweltministerium. Die Motivation hierfür wird in den vorstehenden Zeilen sicher deutlich. Auch die Landesregierung will Sorge dafür tragen, dass die Infrastruktur funktionsfähig bleibt und die Versorger weiter im vorsorgenden Gewässerschutz aktiv bleiben. Zudem müssen sie mit steigenden Anforderungen bei der Trinkwasseraufbereitung klar kommen. Röntgenkontrastmittel, Arzneimittel und andere diffuse Einträge führen zu höheren Anforderungen bei der Reinigung der zum großen Teil Oberflächenwasser aufbereitenden NRW-Wasserwirtschaft.

Ein Vergleich der Wasserpreisentwicklung zur Inflationsrate belegt die Disziplin der Wasserbranche. Während die allgemeine Preissteigerungsrate von 2005 bis Bildschirmfoto 2015-10-11 um 19.02.292013 von 100 auf 114,3 Punkte anstieg, blieben die Wasserpreise mit 112,2 um mehr als zwei Punkte darunter. Für Wasser kommt erschwerend hinzu, dass der Ausgleich der schrumpfenden Nachfrage eigentlich deutlich über der Inflationsrate liegende Preise rechtfertigen könnte. Der Druck des Wassersparens und des demographischen Wandels wird die Preisentwicklung jedenfalls weiterhin beeinträchtigen.

 

 

 

Saarländische Wasserversorger unter Kosten- und Preisanpassungsdruck 

Wohin das Wasser sparen und die Preisbremse auch führen können, dokumentierten unlängst Wasserversorger im Saarland. Nachdem über viele Jahre die Preise nicht oder nicht in dem Maße angepasst werden konnten, wie sich Kosten entwickelten und in Folge demografischen Wandels die Erlöse zurückgingen, vermeldeten sie auf der 1. Saarländischen Wasserkonferenz eine „kollektive Kostenunterdeckung“ (siehe Pressemitteilung). Jetzt fordern sie lautstark Preisanpassungen. Dazu haben sie sich auch eine wissenschaftliche Rückendeckung verschafft. Prof. Dr.-Ing. Rudolf Friedrich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes ging Kosten und Erlösen auf den Grund. In einer bisher einzigartigen Analyse ermittelte er für die 23 saarländischen Wasserversorger, dass der hochgerechneten Summe der Kosten aller Versorger in Höhe von 150,5 Mio. Euro pro Jahr, Erlöse von nur 122 Mio. Euro pro Jahr gegenüber stehen. Daher ergibt sich für die saarländische Trinkwasserversorgung eine absolute Kostenunterdeckung von 28,5 Mio. Euro – pro Jahr versteht sich. Mithin fehlen jedem Versorger durchschnittlich 1 Mio. Euro jährlich, weil die Entgelte zu gering sind (weitere Details siehe auch Beitrag auf LebensraumWasser). Diese Lücke wird natürlich nicht geringer, wenn man nichts tut, sondern steigt unaufhaltsam an. In diesem Bundesland ist eine allgemeine Preissteigerungswelle nunmehr unvermeidbar. Wehe den Bürgermeistern, die für die Versäumnisse ihrer Vorgänger am Ende grade stehen müssen; sei es weil die Preise drastisch ansteigen müssen oder die Substanz kaputt gespart worden ist.

Politik muss begründete Preisanpassungen mittragen

Jetzt ist auch die Zeit für Klartext: Bürgermeistern und kommunalen Gremienvertretern, die kalkulatorisch sauber hergeleitete und begründete Preisanpassungen verhindern, opfern mit ihrer Weigerung die bestehende Infrastruktur ihrer Kinder und Enkel. Kaputte Straßen und Brücken kann man sperren, die Trinkwasserversorgung muss aufrecht erhalten werden. Schlaglöcher kann man stopfen, dagegen gefährden Löcher in den Trinkwasserleitungen unser wichtigstes Lebensmittel. Wenn, wie in NRW, sogar eine Landeskartellbehörde die Unternehmen zur Preiserhöhung ermuntert, dann sollte auch die Politik verstehen, dass es im Interesse der Bürger und damit ihrer Wähler ist, die Substanz der Wasserversorgung zu sichern. Ohne Frage muss von den Unternehmen erwartet werden, dass sie sauber kalkulieren und ihre Bürgern und Kunden die Gründe transparent darlegen. Der „dicke Daumen“ bei der Wasserpreiskalkulation hat ebenso ausgedient, wie das politische Kalkül der Stadtoberen. Transparenz ist die Bringschuld der Versorger.

Wer demnächst in seiner Tageszeitung die Ankündigung höherer Wasserpreise findet, der wird sich vielleicht an diesen Beitrag erinnern. Politiker mögen dann eher bereit sein, einer vorgeschlagenen Preisanpassung zuzustimmen, und Bürger eher bereit sein, für wenige Euro mehr den Wert unserer Wasserversorgung zu erhalten. Vielleicht sorgt dies ja dafür, dass auch unsere Kinder und Enkel sich sorglos zum Wasserhahn begeben und das Leitungswasser trinken können. Prost!

Auf Feedback, Kritik und Fragen freue ich mich gleichermaßen (lebensraumwasser@online.de).

2 Kommentare

  1. Hallo,
    bei meinen Recherchen zu einem anderen Thema, bin ich zufällig auf diesen Artikel gestoßen und muss sagen, dass er mich wirklich wachgerüttelt hat.
    Das Wasser kommt bei mir zuhause eben aus dem Hahn, an den ganzen Apparat, der dahinter steht, denke ich im Alltag nicht.
    Dank des Artikels bin ich jetzt wieder etwas sinsibilisiert, wie wenig selbstverständlich unsere Wasserversorgung ist und dass, diese eben auch ihren Preis hat.
    Danke

  2. Hallo Siggi,

    das ist ein schön forscher Beitrag und alles richtig. Wachrütteln kann man besser wohl kaum machen.

    Viele Grüße

    Josch

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