PCB in einem Flüsschen im Schweizerischen Nationalpark. Petition gegen “PCB-Spar-Sanierung“

In Urlaubsprospekten wirbt die Schweiz mit unberührter Natur und kristallklaren Gebirgsbächen unter anderem im Schweizerischen Nationalpark. Im Flüsschen Spöl, das im Süden Graubündens durch diesen Nationalpark fließt, verbietet sich diese Werbung. Dort sind PCB-haltige Sedimente aus einer Sanierungsmaßnahme bei einem Wasserkraftwerk in den Fluss gelangt. Zwar wurde von den Behörden eine Sanierung verfügt, aber nur für ein hälftiges Teilstück, und dass obwohl die PCB-Schadstoffe auf der gesamten Länge auftreten. Jetzt fordert eine Petition, die vom Schweizer Nationalpark unterstützt wird, eine vollumfängliche Sanierung.

Mich erreichte zu Ostern eine Mail einer Schweizer Initiative, die sich mit der Online-Petition „Keine halben Sachen im Schweizer Nationalpark – saniert endlich den Spoel“ für die Sanierung des Flüsschen Spöl einsetzt, und fragte ob dies nicht auch die LeserInnen von LebensraumWasser interessieren könnte, auch weil Nicht-Schweizer an der Petition teilnehmen können. Ich recherchierte daraufhin die Geschichte. Dieser Beitrag ist meine Antwort darauf.

Toter Uhu als Beweis für den Umweltkatastrophe im Spöl

Ein verendeter Uhu am Ufer des rund sechs Kilometer langen Flüsschens brachte die PCB-Kontamination der “unberührten Natur“ ans Licht. Der entdeckte Vogel wurde näher untersucht, weil er ungewöhnlich stark abgemagert war. Hohe PCB-Konzentrationen in einem Vogel-Körper? Aber für die Experten kam das PCB im Uhu aus dem Nationalpark indes nicht ganz unterwartet. Das Flüsschen Spöl, an dem der Vogel gefunden wurde, bezieht sein Wasser aus dem Lago di Livigno. Der See wird durch die Staumauer Punt da Gall aufgestaut, die der Engadiner Kraftwerke AG (EKW) gehört. Und genau da liegt das Problem: Beim Bau der Staumauer in den späten 1960er-Jahren wurde Korrosionsschutzfarbe eingesetzt, die seitdem langsam abgetragen wird und das Wasser am Spöl verunreinigt. Das Problem: zu der Zeit war PCB in Farben zugelassen – so auch in der dort eingesetzten. Und das war der „Urknall“ nicht nur für den verendeten Uhu, sondern auch für die Bedrohung der Fische und jene, die diese verzehren: die Menschen – wir.

Fische im Nationalpark Schweiz überschreiten den für Lebensmittel zulässigen PCB-Wert um das Vierfache

Wie kam das PCB ins Wasser beziehungsweise in die Sedimente? Ausschlaggebend für die hohe PCB-Konzentration soll ein Vorfall aus dem Jahr 2016 sein: Eine Sanierungsfirma lagerte die Abfälle von Sandstrahl-Arbeiten an der Staumauer Punt da Gall, diese waren PCB-haltig und wurden durch einen Sturm weggeblasen. Dadurch gelangten sie in den Fluss und seine aquatische Umwelt. Die Kraftwerksgesellschaft meldete diesen Unfall der Umweltbehörde. Die Untersuchungen wurden von der Empa, das interdisziplinäre Forschungsinstitut des ETH-Bereichs für Materialwissenschaften und Technologie der Universität Zürich, vorgenommen. Sie analysierte daraufhin die Fische im Spöl und hat dafür spezielle, hochempfindliche Passivsammler entwickelt, die den PCB-Gehalt im Wasser des Stausees messen können. Die Ergebnisse waren eindeutig: seit 2017 ist der Verzehr von Fischen aus dem Spöl verboten, denn die Fische im Nationalpark Schweiz überschreiten den für Lebensmittel zulässigen PCB-Wert um das Vierfache. So weit die Fakten, die von der EMPA und dem Schweizer Nationalpark veröffentlicht worden sind.

Natur und Urlaubsidylle im Schweizer Nationalpark Graubünden werden vom Tourismusverband als “Wilde Natur – Seit 1914 ist der Schweizerische Nationalpark im Engadin und im Val Müstar das älteste und am besten geschützte Wildnisgebiet der Alpen. Die Natur wird hier sich selbst überlassen“ gepriesen. Ich musste erst einmal auf Google-Maps nachschauen, ob es sich hier wirklich um dieselbe Region handelt. Tatsächlich liegt das Val de Spöl genau in dieser als „am besten geschützte Wildnisgebiet“. Also werden doch alle Verantwortlichen alles daran setzen, diesen Zustand auch wieder herzustellen, wenn sich ein Unglück ereignet? Im Prinzip ja! Aber vielleicht doch nicht, und schon sind die Parallelen zu Deutschland da.

Unstrittig ist, dass der Spöl saniert werden muss. Umstritten ist allerdings, wie weit dies geschehen muss und wer dafür zahlt. Analysen der Empa zeigen, wieviel PCB an welchen Stellen des Flüsschens verborgen ist. Die Frage bleibt, wie viele Kilometer auf diese Weise saniert werden müssen. Die Umweltbehörde des Kantons Graubünden verfügte im Februar 2021 eine Sanierung des Oberlaufs auf einer Länge von 2,9 Kilometern. Die Eidgenössische Nationalparkkommission (ENPK) war von der Eidgenossenschaft eingesetzt worden, um den Nationalpark vor schädlichen menschlichen Einflüssen zu schützen. Sie forderte 2021 daher vom Kanton nun rasches und entschlossenes Handeln. Weiter flussabwärts sei die PCB-Belastung zwar nicht mehr so gravierend wie am Oberlauf, aber trotzdem noch deutlich zu hoch für einen Nationalpark. Die Arbeiten am Oberlauf sind auch schon im Gange. Mit dieser berechtigt erscheinenden Forderung erhalten die Naturschützer aber bei den Verantwortlichen keine Unterstützung. Deshalb sollen jetzt die Schweizer mit der Petition dieser Forderung Nachdruck verleihen und notfalls den Schweizer Staat zu Sanierung verpflichten. Immerhin geht es um den “Schweizerischen Nationalpark“ und dabei nicht nur um die Unversehrtheit der Natur, sondern auch um die Glaubwürdigkeit des Versprechens des Schweizer Tourismus.

Daher lautet die Petition:

Wir, die Menschen die diese Petition unterschrieben haben, fordern:

  • eine vollständige Entfernung des hochtoxischen PCB in allen fünf Abschnitten des Oberen Spöl von der Staumauer Punt dal Gall bis zum Praspöl (5.75 km Gewässerstrecke),
  • die sofortige PCB-Sanierung des Druckstollens vom Lago di Livigno bis zum Ausgleichsbecken Ova Spin,
  • angemessenen Ersatz, falls der Nationalpark wider Erwarten aus technischen Gründen nicht wiederhergestellt werden kann.
  • Für die Beseitigung von Umweltschäden im Nationalpark und ähnlichen Schutzgebieten, soll zukünftig der Bund zuständig sein und mithelfen die Kosten zu tragen. Und dies spätestens drei Jahre nach einem Schadenereignis.
  • Hier geht es zur Petition.
Informationsvideo zur Petition

PCB – kurz erklärt

Die Abkürzung PCB steht für Polychlorierte Biphenyle, eine Form chemischer Chlorverbindungen. Der Begriff Polychlorierte Biphenyle (PCB) ist eine Bezeichnung für synthetische Stoffgemische, die seit den 1950er Jahren insbesondere in elektrotechnischen Bauteilen und für Fugenmassen sowie für Anstriche verwendet wurden. PCB können die Gesundheit chronisch schädigen. Nach deutschem Gefahrstoffrecht kann PCB die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen und das ungeborene Leben schädigen und wird als möglicherweise krebserzeugend eingestuft. Weitere Wirkungen zeigen sich in Form von Neuro-, Immun- und Lebertoxizität sowie in Schilddrüsen- und Hauteffekten. PCB bauen sich in der Natur nicht ab. Vor allem in Böden und Sedimenten der Gewässer reichern sie sich an und können durch Remobilisierung in die Nahrungskette gelangen.

Umweltbundesamt (D) / Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen
Spöl Fluss – Map data (c) OpenStreetMap (and) contributors, CC-BY-SA

Beitragsfoto: Die Staumauer Punt da Gall am Lago di Livigno wurde 1970 fertiggestellt. Einige der wasserführenden Rohre sind mit PCB-haltiger Rostschutzfarbe geschützt, was damals noch zulässig war. Quelle: Schweizerischer Nationalpark

Weiterführendes

2 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen gut recherchierten Beitrag! Und grossartig können auch Nicht-Schweizer unterzeichnen und ihre Meinung kundtun:
    Wirklich ein toller Blog! Beste Grüsse
    Marcel

  2. Lieber Siegfried
    Vielen Dank für den gut recherchierten Beitrag zur Verschmutzung des Flusses Spöl im einzigen Schweizer Nationalpark durch PCB. Es wird mit der Sanierung getrödelt und man will sparen. Sparen auf Kosten der Natur! Ich finde die Petition wunderbar und freue mich, dass du so ausführlich darüber berichtest. Tourismus-Werbung mit „intakter“ Natur, aber dahinter stecken dann vergiftete Tiere!
    Herzliche Grüsse aus der Schweiz
    Heidi

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