Pestizide im Trinkwasser lösen bei Schweizern mehr Sorgen aus als Pandemien

Die Pestizid- und Hormonbelastung des Trinkwassers bedroht die Schweizer mehr als Pandemien. Das ist das Ergebnis der CSS-Gesundheitsstudie während Corona.

Wer hätte das erwartet? Da grassiert COVID-19 durch Europa, aber die Schweizer Bevölkerung fürchtet sich mehr vor Antibiotika-Resistenzen und Trinkwasserbelastungen als vor Pandemien. Das ist das Ergebnis einer Gesundheitsstudie des Schweizer Versicherers CSS. Dieses Ergebnis dürfte überraschen. Vielleicht ist es die Folge der aktuell in den Medien ausgetragenen Bürgerinitiative zur Sicherung der Trinkwasserqualität in der Alpenrepublik. Muss man daher nicht gerade jetzt die Frage stellen, ob bei einer derart starken Bedrohungswahrnehmung des Wassers nicht mehr für den Schutz der Ressource getan werden muss?!

Bedrohung durch Pandemien scheint ihren Schrecken zu verlieren, nicht so die Umweltrisiken

Im Zentrum der Befragungsstudie steht der Umgang der Schweizer Bevölkerung mit dem Kranksein sowie Einschätzungen und Befürchtungen in Bezug auf mögliche Erkrankungen. Hierfür hat die Forschungsstelle sotomo insgesamt 4.217 Personen in der Schweiz befragt. Eine erste Erhebung wurde Anfang März 2020 – also vor der ersten COVID-19-Welle – durchgeführt. Um den Einfluss der Corona-Pandemie auf die Einschätzung von Gesund- und Kranksein berücksichtigen zu können, wurde Anfang Juni eine zweite Erhebung durchgeführt.

Pestizide und Hormone im Trinkwasser werden bedrohlicher wahrgenommen als Pandemien

Anders als vielleicht vermutet, lösen nicht Pandemien die größten Besorgnisse aus, sondern andere Krankheiten und Bedrohungen. Hierzu zählen Antibiotika-Resistenzen und Hormone bzw. Pestizide im Trinkwasser. Auch der Vergleich der beiden Erhebungen birgt Unerwartetes. Offenkundig hat die starke Eindämmung des Virus in der Phase des Lockdowns in der Schweiz zumindest die gesundheitliche Gefahr von Viren wie dem neuen Coronavirus zurückgedrängt. Noch im März stuften 48 Prozent der Schweizer Bevölkerung mögliche Pandemien als grosse oder sehr große Gefahr für die öffentliche Gesundheit ein, aber schon im Juni fiel die Gefährdungswahrnehmung durch Pandemien auf nur noch 38 Prozent.

Noch mehr überraschen dürfte dagegen der Vergleich von Pandemien und anderen Gesundheitsgefahren. Obwohl die Corona-Pandemie während der März- und der Juni-Erhebung die öffentliche Debatte beherrschte wie kaum ein Ereignis zuvor, schätzt die Schweizer Bevölkerung das Gefahrenpotenzial von Pandemien für die öffentliche Gesundheit gerade auch im Vergleich zu anderen potenziellen Gefahren als eher gering ein (siehe Abb.).

Weitaus grössere Sorgen als Pandemien bereitet der Bevölkerung die zunehmende Resistenz von Keimen gegenüber Antibiotika: Für 72 Prozent sind Antibiotika-resistente Bakterien für die Gesundheit eine grosse Gefahr. An zweiter Stelle rangieren Gesellschaftskrankheiten wie Stress (63 Prozent) und Übergewicht (61 Prozent) als (sehr) grosses Risiko für die öffentliche Gesundheit. Etwas mehr als jede zweite Person (53 Prozent) sehen durch Pestizide und Hormone im Trinkwasser die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet – und damit deutlich stärker bedrohlich als Pandemien. Diese Ergebnisse werden bei den Fragen nach der individuellen Betroffenheit weitgehend bestätigt.

Quelle: CSS Versicherung

„Gemessen an der wahrgenommenen Dominanz des neuartigen Coronavirus’ in der öffentlichen Debatte sowie gemessen am Ausmass der Schutz- und Präventionsmassnahmen“, so die Autoren, „ist es mehr als bemerkenswert, dass Pestizide im Trinkwasser von der Schweizer Bevölkerung als grössere gesellschaftliche Gesundheitsgefahren eingeschätzt werden als Pandemien.“

„Emotionale Immunität“ ausschlaggebend für die Wahrnehmung einer Gefährdung

Die Erklärung für die Diskrepanz liegt nach Einschätzung der Autoren der Studie im Charakter von Infektionskrankheiten. Infektionskrankheiten würden vergleichsweise wenig gefürchtet. Gerade im Alltag leicht übertragbare virale Erkrankungen hätten trotz ihrer anhaltend grossen Verbreitung aufgrund von modernen Behandlungsmethoden längst an Schrecken verloren. Dies habe demnach zu einer Art „emotionaler Immunität“ geführt. Trotz der einzigartig grossen Aufmerksamkeit, welche die Corona-Pandemie erzeugt, wirke die emotionale Immunität offenbar in der Bevölkerung zumindest teilweise auch in Bezug auf die neuartige, unberechenbare Viruserkrankung, heißt es in der Bewertung der Ergebnisse. Hinzu kommt das starke Vertrauen der Schweizer in die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems.

Internet-Informationsquellen beeinflussen Wahrnehmung und Bewertung

Die Studie macht auch deutlich, wie die Corona-Pandemie die Einschätzung von Gesundheitsgefahren verändert hat und wie sich die allgemeine Zugänglichkeit von Informationen im Internet zu verschiedensten Krankheitssymptomen auf die Bevölkerung auswirkt. Das Internet liefert mit wenigen Klicks Zugang zu Unmengen von Informationen zu Symptomen und Krankheiten. Doch das Internet ist nicht nur zu einer zentralen Informationsquelle bei Gesundheitsfragen geworden, sondern noch mehr zu einer Quelle der Verunsicherung. Fast 60 Prozent geben an, dass sie sich durch Angaben aus dem Internet schon haben verunsichern lassen. Ganz besonders trifft dies auf die 18- bis 25-Jährigen zu. Drei Viertel von Ihnen haben schon schlechte Erfahrungen mit Internetrecherchen zu Symptomen und Krankheiten gemacht. Gerade weil der jüngeren Generation die Erfahrung mit körperlichen (und psychischen) Symptomen fehlt, der Umgang mit dem Internet jedoch zum Alltag gehört, ist hier das Verunsicherungspotenzial besonders gross.

Wie lassen sich die Unterschiede bei den Bedrohungspotenzialen für das Wasser erklären?

Im Zusammenhang mit den wahrgenommenen Bedrohungspotenzialen beim Wasser zeigt die Studie womöglich eine steigende Ambivalenz der Kommunikation zu Wasserthemen auf. Während Wasserwirtschaft und zunehmend mehr Politiker einerseits bemüht sind, insbesondere die ökologischen Vorteile des Trinkens von Leitungswasser und die Preiswürdigkeit im Vergleich zu Flaschenwasser hervorzuheben, müssen sie anderseits vor der zunehmenden Bedrohung der Ressource warnen. das beinhaltet auch die Hinweise auf Altmedikamente, die über Toiletten entsorgt werden und so ins Wasser gelangen. Auch auf die Antibiotika in der Tiermast, die über die Gülle auf die Felder gelangen und von dort ins Grundwasser, muss die Wasserwirtschaft hinweisen. Es überrascht insofern nicht, dass diese Bedrohung der Wasserressourcen und in Folge dessen des Trinkwassers in der öffentlichen Wahrnehmung präsent ist. In der Schweiz mag aktuell hinzukommen, dass die „Initiative für sauberes Trinkwasser“ für einen stärkeren Schutz der Wasserressourcen gegen Verunreinigungen durch die Landwirtschaft kämpft und daher die kritischen Themen in den Medien sehr präsent sind. Die Ergebnisse der Befragung dürften „Wasser auf den Mühlen“ der Initiatoren der Initiative sein und ihre Argumente bestärken.

Die aktuell breite Präsenz der Trinkwasserthematik in den Schweizer Medien dürfte meines Erachtens nicht der alleinige Grund dafür sein, dass Pandemien eine relativ geringere Bedrohung auslösen. Denn schließlich dürfte dies kaum die Berichterstattung zu Corona überbieten können. Man wird gespannt sein dürfen, wenn es hierzu mehr zu erfahren gäbe. Vielleicht gibt es ja eine Institution, die einer derartige Befragung zumindest in Auszügen in Deutschland durchführt. Die Rückmeldungen werden vermutlich ähnlich ausfallen.

Wenn die Bedrohung so groß ist, warum wird nicht mehr für den Schutz des Wassers getan?

Jedenfalls scheint das Ergebnis der Studie für das Wasser ein schlechtes Zeichen. Dies sollte ohne wenn und aber eine Aufforderung zum Handeln sein. An die Adresse der deutschen Bundesumweltministerin, mit der wir uns aktuell im Nationalen Wasserdialog befinden, sei die Frage gerichtet: Wenn die Bedrohung der Gesundheit in Folge von Verunreinigungen des Wassers wird als stärker wahrgenommen als durch Pandemien, muss dann dann nicht mehr für den Schutz des Wassers getan werden? Denn auch das ist offensichtlich, die Ängste vor dem Trinkwasser werden eben jene Kreise zu schüren wissen, die darauf ihre Geschäftsmodelle stützen. Aber hierbei geht es um mehr als einige Flaschen Wasser, es geht um das Vertrauen in unsere wichtigste Ressource zum Leben und für die Hygiene. Da schließt sich der Kreis.

Die Schweizer TRINKWASSERINITIATIVE
  • CSS Versicherung (Website)
  • Initiative für sauberes Trinkwasser (Website)

Beitragsbild: Canstockphoto

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