Kritische Gedanken „Bis zum letzten Tropfen“- dem ARD-Event mit „Investigativ-Spielfilm“ und „Dokumentation“ (Gastbeitrag)

Gastautor: Leonardo van Straaten
Dies ist keine Rezension des Spielfilms, der am 16.03.2022 im ersten Programm der ARD ausgestrahlt wurde. Wer ihn und die zugehörige Dokumentation nicht gesehen hat, kann dies noch bis zum 16.06.2022 (Film) bzw. bis 16.03.2023 (Doku) in der ARD-Mediathek nachholen. Oder die zahlreichen Ankündigungen und Berichte googeln und lesen. Mir ist die zugrundeliegende wasserwirtschaftliche Problematik sehr wichtig. Aber den Film habe ich als sehr klischeehaft und angestrengt emotionalisierend empfunden.

Vorweg: Die in der Dokumentation durch verkürzte, geschickt positionierte und zusammengeschnittene Szenen konstruierte Notsituation, die auch in den Headlines anderer Medien zu finden ist, gibt es in Deutschland (noch) nicht.

Kein Wassernotstand? Wie langweilig!

Wahrscheinlich muss man so stark überzeichnen, um Aufmerksamkeit, und dadurch „awareness“ zu erzeugen. Das Thema hat es jedenfalls verdient. Da bin ich bei Thorsten Glauber, dem Bayerischen Umweltminister, der in der Dokumentation zum Ausdruck bringt, dass wir die Chance auf das jetzt anzupackende Wassermanagement verspielt hätten, sollten wir in 30 Jahren Wassermangel spüren.
Stellen wir uns vor, die „Weltgemeinschaft“ hätte bereits vor 30 Jahren, unmittelbar nach der ersten UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung („Rio-Konferenz“ von 1992) mit der Umsetzung der existierenden Konzepte begonnen. Dann hätte 14 Jahre später der Film „An Inconvenient Truth“ von Al Gore nicht für so viel Betroffenheit gesorgt. Aber auch diese hat kaum etwas bewirkt. Vor diesem Hintergrund ist die Emotionalität der Bürgerinitiative, sowohl im filmischen Lauterbrunn als auch im realen Lüneburg, verständlich. „Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr unser Wasser klaut“.

Dennoch: Der Realität entspricht das nicht. In Deutschland gehört Wasser weder einer Gemeinde, noch Einzelpersonen (im Film: Landwirt Bernhard Schultz), noch Privatunternehmen (dem filmischen Pure Aqua Konzern, stellvertretend für das reale Coca-Cola). Es gehört, gesetzlich klar geregelt, der Allgemeinheit. Der Staat hat es nachhaltig zu bewirtschaften und kann es nicht „verkaufen“ (obwohl Film und Dokumentation etwas anderes suggerieren). Wer es nutzen möchte, sei es für die öffentliche Trinkwasserversorgung, zu Produktionszwecken oder zur Feldbewässerung in der Landwirtschaft, benötigt dafür ein Wasserrecht. Wasserrechte gibt es, je nach Menge und Zweck der Wassernutzung, in unterschiedlichen Kategorien. (Die Geltungsdauer solcher Bewilligungen oder Erlaubnisse kann unterschiedlich sein.)

In der Realität hätte Landwirt Bernhard Schultz also ein Wasserrecht zur Nutzung von Grundwasser, um damit seine Felder zu beregnen. Im Landkreis Lüneburg, wo rund 60 % der Ackerfläche beregnet werden, verfügt die Landwirtschaft über Wasserrechte in Höhe von rund 22,5 Millionen Kubikmetern pro Jahr, mehr als das Doppelte der öffentlichen Trinkwasserversorgung. Der Mehrbedarf für die kommenden Dekaden wird hier auf mindestens 20% geschätzt.

Das sind ganz andere Größenordnungen als die von Coca-Cola (im Film von PureAqua) angestrebte Erhöhung der Jahresentnahme um „bescheidene“ 350.000 auf 700.000 Kubikmeter pro Jahr. Selbstverständlich müsste die zuständige Wasserbehörde im Genehmigungsverfahren auch die Interessen von Landwirten wie Bernhard Schultz berücksichtigen. Was nicht bedeutet, dass er mit seiner stark emotional geprägten Haltung durchkäme. Jedenfalls nicht, wenn die hydrogeologischen Verhältnisse so sind wie in Lüneburg, worauf der Film eindeutig abhebt.

Mit etwas Recherchearbeit im Internet lässt sich erkennen, dass die von Coca-Cola allgemeinverständlich gehaltenen Informationen, die in der Dokumentation mit ironischem Unterton als „plausibel klingende Erklär-Banner“ bezeichnet werden, zutreffen. Der in der Nähe des vorgesehenen Brunnenstandortes verlaufende Profilschnitt Ilmenau_links_PS_03 auf dem NIBIS-Kartenserver offenbart, dass es dort in 70 bis 100 m unter Gelände einen ca. 60 bis 90 m mächtigen, auch lateral ausgedehnten Grundwasserleiter gibt, die sogenannten Braunkohlensande. Aus diesem, nach oben durch gering durchlässige Schichten abgedichteten Horizont, möchte Coca-Cola das Grundwasser fördern. Darüber liegen diejenigen Schichten, aus denen bisher das meiste Grundwasser in der Region entnommen wird, auch das Beregnungswasser für die Landwirtschaft.

Die veröffentlichte Wasserbilanz weist für den gesamten Grundwasserkörper eine jährliche Grundwasserneubildung von rund 274 Millionen m³ aus. Diese Zahl basiert zwar auf nicht mehr aktuellen Klimadaten (1961 bis 1990), die Differenz zu den insgesamt genehmigten Grundwasserentnahmen ist jedoch mit 220 Millionen m³ pro Jahr sehr groß. Die nach Abzug zahlreicher Abschläge (zu denen auch ein Öko-Abschlag gehört) für zukünftige Entnahmen verfügbare Dargebots-Reserve beträgt ca. 5 bis 6 Millionen m³ pro Jahr. Die von Coca-Cola beantragte Erhöhung macht davon nur rund 6 bis 7 % aus. Außerdem gehen die auf dem Kartenserver des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie abrufbaren Projektionen bis zur Mitte des Jahrhunderts von einem leichten Anstieg der Grundwasserneubildung in der Region aus.

Von einem „ökologischen Notfall“ wie ihn die Bürgerinitiative postuliert, kann also nicht die Rede sein. Zwar zeigt in der Dokumentation der Experte Fred Hattermann vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung eine Karte, auf der fast die gesamte Bundesrepublik rot eingefärbt ist. Hier sollte man aber doch etwas genauer hinsehen. Die Karte zeigt nämlich nicht die Knappheit von Grundwasserressourcen an, sondern Defizite der Bodenfeuchte. Die sind tatsächlich gar nicht gut, aber dennoch ist das im Gesamtkontext irreführend. Ebenfalls irreführend ist die Art und Weise, wie in Film und Dokumentation Gebäudeschäden in Szene gesetzt werden. In Lüneburg sind seit langem Lösungserscheinungen im sogenannten „Gipshut“ eines Salzstocks dafür verantwortlich. Das ist etwas völlig anderes als die Schäden im Raum Hannover, die in der Dokumentation von einem Sachverständigen mit dem Wasserverbrauch von Bäumen begründet werden. Beides wiederum hat überhaupt nichts mit der Entnahme von Grundwasser aus einer Tiefe von fast 200 Metern zu tun.

Die Sprecherin der Bürgerinitiative, Marianne Temmesfeld, kommt in der Dokumentation oft und ausführlich zu Wort. Liegt es daran, dass sie als sympathische, engagierte und eloquente Frau die medial beliebte Asterixfigur verkörpert, die sich erfolgreich gegen die römischen Besatzer (deren Rolle hier der kapitalistische Wasserkonzern spielt) zur Wehr setzt? Geht es also aus Prinzip gegen den „Feind“ Coca-Cola? Man kann das Geschäftsmodell von Getränkekonzernen aus vielen Gründen kritisieren. Der Wassernotstand im Raum Lüneburg gehört jedoch nicht dazu. (Und wer meint, die Wasserkonzerne wären schuld an der Wasserkrise Indiens, der mache sich bitte die Mühe, eine fünfteilige Artikelserie von Mridula Ramesh auf Englisch zu lesen. – Die Links sind am Ende dieses Aufsatzes zu finden.)

Also alles in bester Ordnung? Nein!

In der Dokumentation spricht der Experte Klaus Arzet vom Bayerischen Umweltministerium davon, dass die Zeiten vorbei sind, in denen wir uns darauf verlassen konnten, Wasser im Überfluss zu haben. Dem stimme ich zu. Diese Aussage bedeutet jedoch nicht, dass Deutschland austrocknet, wie es die ARD-Doku formuliert. Im Internet abrufbare Karten zeigen, dass die Grundwasserneubildung in einigen Regionen voraussichtlich abnehmen wird, in anderen zunehmen, und dass es viele Regionen gibt, in denen sich voraussichtlich nicht viel ändern wird. Die Grundwasserneubildung ist jedoch ein – lokal sehr heterogener – über 3 Dekaden gemittelter Langfrist-Wert. Deshalb können auch in Gebieten mit gleichbleibender oder steigender Grundwasserneubildung Dürreperioden vorkommen. Wasserwirtschaft und Gesellschaft werden lernen müssen, mit solchen Unsicherheiten umzugehen.
Ebenfalls zustimmen kann ich der Aussage von Prof. Hahn, wonach die Bilanzdaten für viele Einzugsgebiete in Anbetracht des Klimawandels nicht belastbar genug sind. Es ist aber nicht so, dass wir nichts wissen. Nur benötigen wir wegen der angesprochenen Unsicherheiten durch den Klimawandel sehr viel genauere Daten als bisher. Ein wichtiger Ansatz, um echten Wasserproblemen vorzubeugen ist nämlich die Etablierung von lokal-adaptiven Wassermanagement-Systemen. Das funktioniert nicht ohne die dafür notwendigen Informationen in hoher Genauigkeit und zeitlicher Auflösung. Deren Verfügbarkeit zu gewährleisten ist sehr aufwendig und gehört daher zu den Herausforderungen, die Klaus Arzet meint, wenn er in der Dokumentation davon spricht, dass ganz Deutschland vor einer Mammutaufgabe in Bezug auf das künftige Wassermanagement steht.

Die in der Dokumentation präsentierte Auswertung satellitengestützter Gravitationsmessungen (GRACE), die auf Verluste in der Wasserbilanz Deutschlands hinweisen, sind nicht ganz so neu und unbekannt, wie es in der Sendung dargestellt wird. Andererseits gehören sie aber auch noch nicht zum „Stand der Technik“ in Deutschlands Wasserwirtschaft. Vielleicht sind die Auswertungsergebnisse, die auf komplizierten Berechnungsverfahren beruhen, nicht so „dramatisch“, wie die aktuelle Aufregung suggeriert. Schließlich fällt der Beginn der Messperiode in einen Zeitraum extremer Grundwasserhöchststände. Hätten damals Verhältnisse wie im langjährigen Durchschnitt geherrscht, wäre die aus den Daten berechnete Grundwasserzehrung möglicherweise nur halb so groß ausgefallen. Dennoch sind die Auswertungen ein klarer Beleg dafür, dass die Forderung von Prof. Hahn nach exakteren Bilanzierungen mehr als berechtigt ist.

Trifft also die in der Dokumentation vom Sprecher formulierte Aussage zu, dass Wasserknappheit als Folge des Klimawandels lange ein Stiefkind bei den Entscheidungsträgern war?
Ja. Aber es geht eben nicht nur um Wasserknappheit. Das haben die Hochwasserkatastrophen der letzten Jahre eindrücklich bewiesen. Es geht auch um Wasserknappheit, was aber nicht bedeutet, dass wir in dieser Beziehung bereits einen Notstand haben. Wir alle wissen inzwischen, dass es Hitzeperioden gibt. Sie können auf lokaler Ebene für einige Tage zu Versorgungsengpässen führen, z.B. wenn nicht mehr zeitgemäße technische Systeme (für die es Alternativen gibt) auf extreme Abnahmespitzen reagieren müssen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der Ort Lauenau im Jahr 2018 (Landkreis Schaumburg, mittleres Niedersachsen). Von dort (und nicht aus Lüneburg) stammen vermutlich die Aufnahmen der Feuerwehr, die gleich zu Anfang der Dokumentation zu sehen sind, erkennbar am KFZ-Kennzeichen SHG.

Verbundlösungen, die in solchen Fällen Abhilfe schaffen könnten, waren bisher oft politisch nicht gewollt, u.a. unter Verweis auf das „Prinzip der Ortsnähe“ des § 50 Abs. 2 Wasserhaushaltsgesetz. Das wird sich ändern müssen. Ein Beispiel für Verbundlösungen sind die Harzwasserwerke. Sie sind vor fast 100 Jahren entstanden, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Den Wasserüberschuss im Harz, der in dessen Vorland regelmäßig zu Hochwasserereignissen führte, und den Mangel an brauchbarem Trinkwasser in Bremen, verursacht durch Grundwasserversalzung. Also fing man im Harz das überschüssige Wasser in Talsperren auf und leitete es durch eine Fernwasserleitung nach Bremen. Heute wird überlegt, ob und wie die enormen Grundwassermengen, die an der Nordseeküste durch gigantische Schöpfwerke in die Nordsee gepumpt werden, im Binnenland verwendet werden können. Und was ist mit den mehr als 100 Millionen m³ Grundwasser, die jedes Jahr (und auf ewig!) in den ehemaligen Steinkohleregionen im Ruhrgebiet und im Saarland abgepumpt und in Rhein, Lippe, und Saar geleitet werden? Lässt sich vielleicht der eine oder andere Kubikmeter anderweitig nutzen?

Film und Dokumentation wollen aufzeigen, was uns allen bevorstehen könnte, wenn es zunehmend Verteilungskämpfe um knapper werdenden Grundwasserressourcen gibt. Dabei handelt es sich um bisher stark vernachlässigte Facetten der Anpassung an den Klimawandel. Ich wünsche mir einen konstruktiven Umgang mit dem Thema, auch wenn wir dafür unsere Komfortzonen verlassen müssen, und auch dann noch, wenn der Film und die Dokumentation längst in Vergessenheit geraten sind.

Zur Person des Gastautors

Leonardo van Straaten ist Hydrogeologe. Er begann 1985 an der Universität Hannover und in einer Hannoverschen Ingenieurgesellschaft und machte sich 1988 mit einem Fachbüro für hydrogeologische Beratung in Hildesheim selbstständig. Haupttätigkeitsfelder waren quantitatives und qualitatives Grundwassermanagement, die Bewertung und Sanierung von Grundwasserverunreinigungen, technisches Grundwassermonitoring, numerische Grundwassermodellierung, strategische Beratung zu Wasserrechten und spezialisierte Forschungsaktivitäten. Aus Gründen der Unternehmensnachfolge fusionierte er das Büro 2010 mit der Consulaqua Hamburg, einer 100%igen Tochtergesellschaft von HAMBURG WASSER, die er bis Mitte 2018 als Geschäftsführer leitete. Anschließend übernahm bei HAMBURG WASSER diverse Aufgaben der Organisations- und Geschäftsmodellentwicklung mit den Schwerpunkten Agenda 2030 und Klimawandel. Seit November 2020 ist er als selbstständiger Consultant tätig.

Leonardo van Straaten

Weiterführendes

Mridula Ramesh https://mridula.org/about/
https://mridula.org/2018/12/03/indias-water-crisis-part-1-how-did-we-get-here/
https://mridula.org/2018/12/05/indias-water-crisis-part-2-losing-indias-water-storage-a-tale-of-tanks-from-the-temple-city/
https://mridula.org/2019/03/25/what-can-we-do-about-indias-water-crisis-part-3-5/
https://mridula.org/2019/04/01/what-can-we-do-about-indias-water-crisis-part-4-5/
https://mridula.org/2019/04/08/what-can-we-do-about-indias-water-crisis-part-5-5/

Beitragsfoto: ARD Screenshot „Bis zum letzten Tropfen“

5 Kommentare

  1. Wo wird denn z.B. im Saarland Grundwasser in die Saar gepumpt? Aus den Gruben? Das Wasser aus den Gruben wird doch Grubenwasser genannt, weil es PCB-haltig ist.

  2. Wenn Trinkwasser doch als ein knappes und immer knapper werdendes Gut gilt und Trinkwasser doch gerade am Standort Lüneburg ein Konzernthema ist, würde mich Folgendes interessieren:
    1. Ist nicht die E.ON Inhaber der AVACON, der wiederum PURENA gehört?
    2. Gibt es eine Übersicht, in welchen Regionen in Norddeutschland bzw. in Deutschland die Konzerne E.ON und RWE sowie deren Tochter- und Verbundunternehmen die Wasserversorgung durchführen? Die im Branchenbild veröffentlichte Übersicht zu Unternehmensformen in der öffentlichen Wasserversorgung 2018 gibt darauf leider keine Antwort.

    • Hallo, es gibt in Deutschland bei über 6.500 Versorgern nach wie vor keine „Konzentration“ im Wassergeschäft; wohl gibt es eine stärkere regionale Präsenz, diese ist definitiv nicht ohne Einfluss der versorgungspflichtigen Kommunen entstanden. Denn diese entscheiden über die Wahrnehmung der Daseinsvorsorge sei es durch einen kommunalen Eigen- oder Regiebetrieb oder durch Vergabe an einen Dritten (gleich welcher Rechtsform).

      In Niedersachsen hat die Landeskartellbehörde die Preise von 202 Versorgern erhoben – bei 8,0 Mio. Einwohnern, in den Niederlanden gibt es 10 Versorger bei 17 Mio. Einwohnern. Dort spricht niemand von Konzentration.

      Ich tue mich (als Westfale) ein wenig schwer, die in den Kommentaren erkennbare Fokussierung auf e.on/Avacon/Purena in der Angelegenheit „Lüneburg“ nachzuvollziehen. Die Aktivitäten von Purena, die auf deren Website transparent dargestellt sind, habe ich unschwer gefunden: https://www.purena.de/de/unsere-leistungen/trinkwasserversorgung.html
      Ähnliches findet man auch an anderer Stelle zu einer Vielzahl der Wasserversorger in Deutschland. Allerdings ist es gerade bei kleineren Versorgern etwas aufwändiger als Außenstehender deren Versorgungsgebiete zu finden. Sei es drum.

      Bin gespannt worum es geht, denn ich lerne gerne dazu.

      Viele Grüsse Siegfried Gendries

  3. 1. Weshalb spricht er nicht an, was im Film immerhin angerissen ist: die Konzentration im deutschen
    Wassergeschäft, konkret:
    Warum spricht er nicht an, wer in Norddeutschland das Trinkwassergeschäft kontrolliert, insbes. am
    Standort Lüneburg (PURENA < AVACON < E.ON)

    2. Wieso zeigt er keine Karte der Wasserversorgungsgebiete von E.ON/ RWE?

    • Guten Tag Herr Harms!

      Der erste Teil Ihrer ersten Frage ist insofern leicht zu beantworten, als dass in dem Film nicht die öffentliche Trinkwasserversorgung an den Pranger gestellt wurde, sondern die Flaschenwasserindustrie. In meinem Gastbeitrag habe ich mich auf die naturwissenschaftlich-wasserrechtlichen Aspekte konzentriert.

      Bevor ich auf Ihre Fragen zur Konzentration im deutschen Wassergeschäft bzw. zur „Kontrolle des Trinkwassergeschäfts“ eingehe: In der Dokumentation äußert sich der Chef von Coca-Cola sinngemäß in etwa so, dass man doch nur die Kundenwünsche bediene. Dass diese „Kundenwünsche“ durch enorme Marketingbudgets massiv beeinflusst werden, hat er verständlicherweise nicht gesagt. Aber auch die Produzenten bzw. Redakteure der Dokumentation haben diesen Aspekt nicht aufgegriffen, möglicherweise deshalb, weil man dafür wohl mindestens eine zweite Dokumentation braucht.

      Nun aber zu Ihrer Frage bezüglich der „Kontrolle des Trinkwassergeschäfts“. Ich habe PURENA – AVACON – E.ON einerseits aus den o.g. Gründen nicht angesprochen, aber auch deshalb, weil die öffentliche Wasserversorgung nach meiner Meinung kein „Geschäft“ ist, das durch private Unternehmen kontrolliert wird.

      Das Spektrum der Unternehmensformen in der öffentlichen Wasserversorgung Deutschlands ist recht breit (siehe Abbildung auf Seite 33 des „Branchenbildes Wasser“ (https://www.dvgw.de/leistungen/publikationen/publikationen-wasser/branchenbild-wasser-2020/ ). Rund 17% sind privatrechtlich organisierte Unternehmen, 22 % sind gemischt-öffentlich-privatrechtliche Gesellschaften.

      Das sagt noch nichts über die gelieferten Wassermengen aus. Zahlen für Niedersachsen können Sie hier herunterladen: https://www.statistik.niedersachsen.de/download/181383 . Von den dort genannten ca. 583 Millionen Kubikmetern pro Jahr entfallen rund 51 % auf 8 Unternehmen, die mehr als 10 Millionen Kubikmetern pro Jahr fördern, gefolgt von 79 Unternehmen, die mit einer Leistung zwischen 1 und 10 Millionen Kubikmetern pro Jahr insgesamt rund 43 % der Gesamtmenge fördern.

      Zusammen entfallen also rund 94% der öffentlichen Wassergewinnung in Niedersachsen auf 87 Unternehmen. PURENA ist eines davon.

      Auf seiner Webseite gibt das Unternehmen eine Liefermenge von rund 30 Millionen Kubikmetern pro Jahr an. Das sind 5% der o.g. Gesamtmenge. Tatsächlich ist die Bedeutung des Unternehmens aber etwas größer, weil es ja auch Anteile an anderen Unternehmen hält und außerdem Betriebsführungsaufgaben übernimmt, auch im Raum Lüneburg. Es ist dort neben zwei lokalen Versorgern (die Wasserbeschaffungsverbände Lüneburg Süd und Elbmarsch als Körperschaften öffentlichen Rechts) für die Wassergewinnung und Verteilung zuständig und übernimmt für Lüneburg Süd auch Betriebsführungsaufgaben.

      Eine Karte des von PURENA bedienten Gebiete finden Sie hier: https://www.purena.de/de/unsere-leistungen/trinkwasserversorgung.html .

      Sie können diese Karte mit der Karte aller Wassergewinnungsgebiete in Niedersachsen vergleichen, die hier zu finden ist: https://www.umweltkarten-niedersachsen.de/Umweltkarten/?topic=Hydrologie&lang=de&bgLayer=TopographieGrau&X=5824438.70&Y=492250.00&zoom=3&layers=Trinkwasserschutzgebiete,Heilquellenschutzgebiete,Trinkwassergewinnungsgebiete,Zuwendungskulisse,Schutzgebiete_Trinkwasser_planar,Gebietsname_und_nummer

      Die 3 von Ihnen genannten gesellschaftsrechtlich verbundenen Unternehmen sind durchaus bedeutende Player in der Wasserver- und Abwasserentsorgung, aber sie dominieren oder kontrollieren die öffentliche Trinkwasserversorgung nicht, auch wenn die Verhältnisse im Detail noch um einiges komplexer sind, als hier dargestellt. Was aus meiner Perspektive in der Debatte viel zu kurz kommt ist, dass alle Wasserunternehmen in Deutschland, unabhängig davon, ob sie gesellschaftsrechtlich als privat oder öffentlich einzustufen sind, enorme Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge erbringen, die von der Gesellschaft viel zu wenig wertgeschätzt werden.

      Sie werden über die öffentlich zu genehmigenden Tarife bzw. Gebühren für eben diese Dienstleistungen bezahlt und nicht für den „Verkauf der Substanz H2O“. Weil dieses „Geschäft“ oft nicht den Renditeerwartungen großer Konzerne entsprach, hat in den vergangenen ca. 15 Jahren eine sog. „Rekommunalisierung“ stattgefunden, ein weiteres, sehr umfangreiches Thema.

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