Wie soll bei der öffentlichen Trinkwasserversorgung entschieden werden können, wer das Wasser nutzen darf?

Trinkwasserzapfstelle - Foto Gendries

Die nächste Hitze kommt bestimmt. Mit ihr die Trockenheit. Der Städte- und Gemeindebund hat daher klare Regeln für Einschränkung der Wassernutzung gefordert. So soll die Trinkwasserversorgung Vorzug vor anderen Nutzungen erhalten. Bei der Umsetzung werden die Wasserversorger im Mittelpunkt stehen, denn sie beliefern die Trinkwassernutzer. Sie werden sich aber bei der Umsetzung schwer tun. Der Beitrag wirft einige Fragen aus der Praxis auf, die es im Vorfeld zu klären gilt.

Bei der Trinkwasserversorgung soll entschieden werden, welche Nutzungen eingeschränkt werden

Im Fall von langanhaltenden Trockenperioden gibt es derzeit noch keine allgemein anerkannte Regeln für den Umgang mit der Wasserversorgung. Der Städte- und Gemeindebund fordert nun Festlegungen für mögliche Einschränkungen der Trinkwassernutzung, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtet. „Auch wenn derzeit keine akute Wasserknappheit droht, braucht es allgemein anerkannte Regeln, nach denen vor Ort bei der Trinkwasserversorgung entschieden werden kann, welche Nutzungen eingeschränkt werden“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. Solche eindeutigen verbindlichen Regeln gäbe es bislang nicht. Landsberg fordert demzufolge, dass bei der Wassernutzung stets die öffentliche Wasserversorgung Vorrang haben müsse. Mit der öffentlichen Wasserversorgung ist etwa das Trinkwasser gemeint, das in privaten Haushalten, Schulen oder Krankenhäusern aus dem Hahn kommt – anders als das Wasser, das zum Beispiel Industrie oder Bergbauunternehmen selbst gewinnen.

Wer beantwortet die Frage der Umsetzung?

Was Landsberg fordert, ist nicht neu. In NRW ist eine solche Priorisierung der Wassernutzung bereits im vergangenen Jahr im Zuge der Novellierung des Landeswassergesetzes festgeschrieben worden. Demzufolge muss die Bevölkerung bei der Trinkwasserversorgung bevorzugt werden. Nur konnte auch 18 Monate nach der Verabschiedung des Gesetzes noch keine Lösung gefunden werden, wie die Regelung umgesetzt werden soll. Ich hatte mit anderen Wasserexperten in der Sachverständigenanhörung kritisiert, dass diese Regelung praxisfern sei. Es ist immer noch nicht geregelt worden, wer diese Bevorzugung umsetzen soll.

NRW-Landeswassergesetz: „Wasserentnahmen der öffentlichen Wasserversorgung, soweit sie die öffentliche Trinkwasserversorgung und damit die Gesundheit der Bevölkerung sicherstellen, haben Vorrang vor anderen Wasserentnahmen. Das Nähere, insbesondere die Grundlagen für die erforderliche Abwägungsentscheidung, wird in einer Verwaltungsvorschrift des für Umwelt zuständigen Ministeriums geregelt“ (Paragraf 37 Abs. 2). Auf Anfrage erhielt ich Ende April 2022 auf Anfrage aus dem NRW-Landesumweltministerium die Auskunft, „Bisher hat unter anderem die Bewältigung der Flutkatastrophe im Sommer 2021 die Kapazitäten der zuständigen Fachabteilung in anderen Vorhaben gebunden. Die Erarbeitung der Verwaltungsvorschrift setzt die Erarbeitung von fachlichen Konzepten voraus. Dies wird auf Grund der Komplexität dieser Konzepte noch einige Zeit in Anspruch nehmen, daher ist ein Zeitpunkt für einer Veröffentlichung aktuell nicht prognostizierbar.

LebensraumWasser, 2.6.2022

Egal ob bei der Entnahme als Grund- oder Oberflächenwasser oder bei der Verteilung. Dem örtlichen Wasserversorger soll demnach die ordnungsgemäße Verteilung angetragen werden. Bei der Entnahme dürfte er dann nur so viel Wasser entnehmen, wie er für die Trinkwasserversorgung benötigt – und dann auch nur die bevorzugten Nutzergruppen beliefern. Aber das Problem ist die Komplexität der Versorgungsstruktur, in erster Linie des Wasserverteilungssystems. Dieses ist nicht darauf angelegt, nach Nutzergruppen zu unterscheiden. Aus der Beratungspraxis weiß ich, dass viele Versorger die Nutzungsart hinter einem Wasseranschluss nicht kennen (können). Den Grund dafür zeigt die nachfolgende Grafik.

Beispiel eines Wasserversorgungssystems DIN EN 805 (Q: Unitracc)

Der Wasserversorger betreibt ein in der Regel vermaschtes Leitungsnetz und beliefert damit das Trinkwasser an seine unterschiedlichen Kunden. Aber nicht alle Abnehmer sind „private Haushalte, Schule oder Krankenhäuser“, es gibt darunter Geschäfte, Tankstellen, Altenheime, Landwirtschaftliche Betriebe, Arztpraxen, Kleingartenanlagen usw.. Und wer davon letztendlich wofür Trinkwasser entnimmt, lässt sich gar nicht feststellen. Und selbst wenn das bekannt wäre, kann der Wasseranschluss eines Industriebetriebes, der Trinkwasser entnimmt, zugunsten der Privathaushalte abgesperrt werden? Was, wenn dieser Trinkwasser beispielsweise neben der Produktion auch für die Kantine nutzt? Stellen wir uns zudem gemischt-genutzte Immobilien vor. Was passiert mit der Hausmeisterwohnung, die sich auf dem Industrieareal befindet? Erst recht ungeklärt: wie soll die Bevorzugung technisch umgesetzt werden? Der Wasserversorger hat auf die Entnahme gar keinen Einfluss. Es sei denn, es würden Zählersysteme eingesetzt, die sich aus der Ferne regeln lassen. Selbst wenn es so etwas gäbe, wer könnte die Sperrung verantworten? Denn wenn im Falle eines Brandes die Feuerwehr löschen will, würde sie das Löschwasser aus dem Anschluss entnehmen wollen.

Verständlich wäre es auf den ersten Blick, die Entnahme von Wasser aus eigenen Brunnen oder aus Flüssen zu beschränken – das passiert ja schon im zunehmenden Maße, aber ist das im Zweifel gerecht? Ein Betrieb, der ans öffentliche Trinkwassernetz angeschlossen ist, erhält in Ermangelung einer Beschränkungsmöglichkeit weiterhin das Trinkwasser aus dem öffentlichen Netz, sein Wettbewerber, der sein Wasser auf der Grundlage erteilter Entnahmeermächtigungen entnehmen will, wird beschränkt. Schon melden sich Landwirte. Jene, die Gemüse oder andere Nahrungsmittel anbauen, wollen bei der Bewässerung anders behandelt werden, als jene die das “Futter“ für die Biogas-Anlagen anbauen. Aber auch hier hat sich der Wind gedreht. Plötzlich wird Biogas zur kritischen Ressource. Frage über Fragen. Da droht Umgemach. Wir brauchen einen breiten Diskurs über derartige Fragestellungen.

Auch in dem aktuellen finalen Entwurfsstand der Nationalen Wasserstrategie ist eine Priorisierung der öffentlichen Trinkwasserversorgung vorgesehen. Schon bald wird sie Rechtskraft erlangen. Auch damit wird sich erneut die Frage der Umsetzung stellen. Ich kenne jedenfalls zahlreiche Wasserversorger, die sich die Frage stellen, wie sie die Priorisierung der Nutzungen technisch und administrativ umsetzen sollen.

Beitragsfoto: Gendries

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