
Die Schlagzeile „Touristen sterben bei Hochwasser in der Wüste“ klingt gleichermaßen tragisch, wie unglaublich. Leider ist es die Realität der vergangenen Wochen in dem nordafrikanischen Staat. In Marokko haben sintflutartige Regenfälle die seit Jahrzehnten trockenen Wüsten- und Gebirgsregionen überschwemmt. Meteorologen hatten im Vorfeld vorhergesagt, dass eine selten auftretende Flut in Folge von Starkregenereignissen die nordafrikanische Sahara-Wüste treffen könnte, wo in vielen Gebieten im Normalfall nur wenige Zentimeter Regen pro Jahr fallen. Da auch Städte betroffen sind, nehmen die Warnungen zu, damit diese ihre Infrastrukturen klimaresilienter und robuster gegen Starkregenereignisse ausrichten.
Die Wüste steht unter Wasser
Während ein Großteil des Regens in dünn besiedelten Gebieten fiel, kam es laut Nachrichtenberichten in mehreren Dörfern Marokkos zu zerstörerischen Sturzfluten, beschädigten Straßen und unterbrachen die Strom- und Wasserversorgung. Die Natur bot damit in der Wüste ein sehr ungewohntes Bild. Ich war im vergangenen Jahr um diese Zeit auf meiner Wasserreise durch Marokko auch in Merzouga, einer Wüstenstadt zwischen der Sahara im Süden und der Dünenwüste Erg Chebbi. Dort bot sich mir wir in den übrigen 1.300 Kilometern von Fes über den Hohen Atlas bis in die Wüstenregion um Merzouga und letztendlich nach Marrakech das gewohnte Bild: trockene Wadis und ausgetrocknete Seen. Unglaublich, dass dort Überschwemmungen in dem Ausmaß möglich sind.


Bei den Überschwemmungen kamen nach bisherigen Erkenntnisse mindestens zwanzig Menschen ums Leben, ungezählte wurden verletzt. Hunderte von Infrastrukturen und Gebäuden wurden schwer beschädigt. Die Wasserinfrastrukturen, die Energieversorgung und die Telekommunikationen sind ebenso beschädigt worden, wie über 100 Straßen, so das manchen Regionen vorübergehen nur schwer zu erreichen waren. Mit einer Soforthilfe hat die marokkanische Regierung 232 Mio. Euro für den Wiederaufbau und die Unterstützung der von den Überschwemmungen des Landes betroffenen Gebiete bereitgestellt.
Meteorologen hatten die seltenen Niederschläge vorhergesagt
„Zwar gibt es in dieser Region jeden Sommer ein gewisses Maß an Niederschlägen, doch in diesem Jahr ist die Beteiligung eines außertropischen Wirbelsturms einzigartig“, so Moshe Armon, Dozent am Institut für Geowissenschaften der Hebräischen Universität von Jerusalem, in einem Beitrag der NASA Earth Observatory (Q). Das System bildete sich über dem Atlantischen Ozean und dehnte sich weit nach Süden aus, wobei es die Luftfeuchtigkeit vom äquatorialen Afrika in die nördliche Sahara zog. Übrigens ist das ein Phänomen, das auch ursächlich für die Zunahme der Starkregenfälle in Europa ist. Feuchte Luftmassen, die sich in Folge der Verdunstung des sehr warmen Mittelmeeres bilden und schlagartig auf den Landflächen abregnen.

Satellitenbilder der Nasa zeigten, dass der Iriqui-See, ein seit 50 Jahren ausgetrockneter See zwischen Zagora und Tata, wieder aufgefüllt wurde. „Es ist 30 bis 50 Jahre her, dass wir so viel Regen in so kurzer Zeit hatten“, sagte Houssine Youabeb, ein Beamter der marokkanischen Meteorologiebehörde, gegenüber Associated Press. Satellitenanalysen zeigen, dass sich in den betroffenen Gebieten Niederschläge von mehreren Dutzend bis zu mehr als 200 Millimetern angesammelt haben – was in etwa dem entspricht, was die Region in einem Jahr erhält. Wie außergewöhnlich dieses Ereignisses ist, macht die folgende Beobachtung deutlich: Die Forscher der Hebräischen Universität beobachten seit dem Jahr 2000 die Starkregenereignisse in dieser Region anhand der Erfassung von Wasserständen in den eigentlich trockenen Seen in der Sahara insbesondere den Iriqui-See im äußersten Südosten. Insgesamt ermittelten die Forscher in diesem Zeitraum mehr als 38.000 Starkregenereignisse in der Sahara und stellten fest, dass etwa jedes Dritte im Sommer auftrat. Von diesen verbleibenden mehr als 10.000 Sommerereignissen waren nur wenige mit einem außer-tropischen Wirbelsturm verbunden. Aber nur sechs Starkregenfälle haben seit Beginn ihrer Beobachtungen von vor über zwanzig Jahren zur Füllung des Iriqui-See geführt.

Wachsende Städte werden angesichts des Klimawandels vulnerabler für Starkregenereignisse
Es waren aber nicht nur die Wüstenregionen betroffen. Auch die im vergangenen Jahr von einem Erdbeben zerstörte Stadt Marrakech nordwestlich des Hohen Atlas gelegen traf das Unwetter und führte auch dort zu Überschwemmungen. Nicht alle Städte sind darauf vorbereitet. Die Städte in Marokko wachsen rapide. Damit nehmen die Bebauung und dadurch die Versiegelungen der Flächen stark zu. Dort wo die Niederschlagserfassungssysteme auf diese Verdichtungen und Versiegelungen nicht vorbereitet sind, kann es zu massiven Überschwemmungen kommen. Daher sind in den vergangenen Jahren für die Städte Modernisierungs- und Ausbaupläne für die Entwässerungssysteme entwickelt worden. In Casablanca, eine der am schnellsten wachsenden Städte an der Küste des Atlantiks, wurden ganzheitliche Konzepte entwickelt, um die Wassermassen einerseits schnellstmöglich aus der Stadt zu befördernd und gleichzeitig die Prävention durch technische Maßnahmen und die Aufklärung der Bevölkerung zu stärken.
Auch mit dem Wachstum in Casablanca ging ein massiver Flächenbedarf einher. Das erschwerte die Errichtung von ursprünglich vorgesehenen Regenwasser-Rückhaltebecken. Zusätzliche Probleme stellten sich durch steigende Grundstückspreise und unzureichende Finanzmittel ein. Errichtet wurden schließlich unterirdische Transportsysteme, um die Regenwassermassen aus der Städt hinaus zu befördern. Technische Lösungen allein reichen aber nicht aus. Unter der fachlichen Begleitung des zur SUEZ-Gruppe gehörenden Unternehmen LYDEC wurde auch präventive Maßnahmen für die Bewältigung drohender Überschwemmungen getroffen. „Die Bewältigung eines großen Regenereignisses erfordert eine umfangreiche Notfallreaktion, die von der „Reaktionszeit“ abhängt, die das wichtigste Element für den Erfolg der Bewältigung ist. Dies erfordert eine genaue Kenntnis des Ausmaßes der Überschwemmungen, der damit verbundenen Schäden und der Ressourcen, die je Gebiet mobilisiert werden können. Auf Bezirksebene werden Koordinierungspläne erstellt, um die Einsatzteams zu den am stärksten betroffenen Gebieten zu leiten“, schreiben die Autoren des Berichts mit dem Titel „Metropolization and Stormwater Management in Casablanca City, Morocco“ (Q). Aber, so empfehlen sie, es müssten die Stadtentwicklungen im stärkeren Maße auf derartige Ereignisse ausgerichtet werden und die erforderlichen Finanzmittel bereitgestellt werden. Viele Großstädte in Afrika liegen an den Küsten. In ihnen lebt ein großer Teil der städtischen Bevölkerung. Sie wachsen ähnlich schnell wie Casablanca – nicht selten noch schneller und ungeordneter. Derartige Überschwemmungen wie in Marokko, dürfte in Küstenmetropolen weitaus katastrophalere Folgen haben. In Ghana, Benin, Togo, Sierra Leone und Nigeria sind zudem die meisten Wirtschaftstätigkeiten in der Küstenzone angesiedelt. Die Küstengebiete bilden auch den Nahrungsmittelkorb der Region. Mit ihrem Bevölkerungswachstum steigt die Vulnerabilität der Küstenregionen in Folge der wasserbezogenen Folge des Klimawandels. Internationale Institutionen fordern daher die Staaten auf, ihre Anstrengungen zur Sicherung der Infrastrukturen zu intensivieren und zu koordinieren, um die Menschen an den Küsten vor den drohenden Folgen des Klimawandels zu schützen. Auch wenn der jüngste IPCC-Report für Nordafrika beim Eintreten des „+ 2 Grad-Szenarios“ abnehmende Verdunstungsraten prognostiziert und damit schlussfolgert „Extreme rainfall (monthly maximum 1-day rainfall – RX1 day) in the region is projected to decrease„, die Ereignisse in Marokko belegen, dass auf eigentlich hundertjährliche Ereignisse „kein Verlass“ ist.
Quellen / Weiterführendes
- Flooding kills more than 20 people in Morocco and Algeria, Arab News, 9.9.2024 (Abruf 12.10.2024)
- Drone footage shows rare flooding in the Sahara desert – Video, THE GUARDIAN, 11.10.2024 (Abruf 12.10.2024)
- A Deluge for the Sahara, NASA Earth Observatory, 14.8.2024 (Abruf 12.10.2024)
- IMERG: Integrated Multi-satellitE Retrievals for GPM, NASA Global Precipitation Measurement (Abruf 12.10.2024)
- Metropolization and stormwater management in Casablanca city, Morocco, Loudyi, Dalila; Azzaoui, Saâd, Hydraulic Engineering Report, 2022
- Living on the edge: Saving West Africa’s coastal assets, World Bank, 2015
- IPCC Sixth Assessment Report, Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability
- Morocco grants 232 million euros to help flood-affected areas, Atalayar
Hinterlasse jetzt einen Kommentar