Fokus Forschung: Wissenschaftler fordern nach Flutkatastrophe gesellschaftliche Debatte über nachhaltige Nutzung von Auen

Bei der Ursachenforschung zu der aktuellen Flutkatastrophe im Westen Deutschlands sowie in den angrenzenden Ländern wird vor allem darüber diskutiert, inwieweit menschgemachter Klimawandel und Flächenversiegelung in den Einzugsgebieten die natürlichen Flutprozesse verstärkt. Prof. Dr. Christoph Zielhofer, Physischer Geograph an der Universität Leipzig, sieht allerdings noch eine andere Gefahr: Bei extremen Hochfluten spielen seiner Ansicht nach die baulichen Veränderungen in den Flussauen eine große Rolle. Dieser Aspekt komme in der Diskussion um die Ursachen der Flutkatastrophen bisher zu kurz.

Bei Nutzungskonkurrenzen in den Auenlandschaften verliert die Natur – und später der Mensch

Wer glaubt, dass die Flächenversiegelung einen Kern des Problems bei Hochwasserereignissen darstellt, wird durch die Wissenschaft eines besseren belehrt. Prof. Dr. Christoph Zielhofer erklärt, „bei extremen Niederschlagsereignissen nimmt die Bedeutung der Flächenversiegelung eher ab, da selbst offenporige Böden ab einem bestimmten Punkt kein Wasser mehr aufnehmen können“.

Der Stellenwert der Auen dagegen kann demnach kaum überschätzt werden. Sie sind besonders dynamische Landschaften und Kernzonen des Kultur- und Naturerbes Europas. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit sind Auen aber auch Brennpunkte früher menschlicher Eingriffe in den Naturraum. Der Mensch will Land gewinnen, Ressourcen nutzen und das Risiko etwa für Anwohner minimieren. Deshalb hat er die mitteleuropäischen Auen wegen ihrer außergewöhnlich großen Nutzungsmöglichkeiten radikal und grundlegend verändert. „Diese menschliche Überprägung kann so stark sein, dass Auen nicht mehr als solche erkennbar sind“, warnt Zielhofer. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist das Wirkungsgefüge von Mensch und natürlichen Prozessen in Auenlandschaften.

Q: Wikipedia

Ziele der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt der Auen werden deutlich verfehlt

Welche Stellenwert und welche Bedeutung haben Auen für den Hochwasserschutz. Das Bundesamt für Naturschutz erklärt in seinem Auenzustandsbericht 2021, „aufgrund der großen Verluste in der Vergangenheit können bei großen Hochwasserereignissen nach wie vor nur rund ein Drittel der ehemaligen Überschwemmungsflächen (morphologische Aue) an Flüssen überflutet werden. Den als rezente Aue bezeichneten Flächen stehen zwei Drittel Altauen gegenüber, die bei Hochwasser gegenwärtig nicht mehr als Retentionsraum zur Verfügung stehen.“ Aber auch perspektivisch sieht es nicht gut aus. „Die Ziele der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, die naturraumtypische Vielfalt der Gewässer und Auenlebensräume zu sichern und die natürlichen Überflutungsflächen an Flüssen um 10 % zu vergrößern, werden daher bislang deutlich verfehlt. Somit besteht weiterhin ein dringender Handlungsbedarf, den Flüssen in Deutschland wieder mehr Raum zu geben und naturnahe Auen zu entwickeln.“ Dass dringender Handlungsbedarf besteht, dürfte die Katastrophen in Rheinland-Pfalz und NRW in erschütternder Weise belegt haben.

Die Industrieregion Ludwigshafen/Mannheim und der Zustand der Auen
(Q: Auenzustandsbericht 2021)

Kiesgrube in der Fluss-Aue der Erft hätte nicht genehmigt werden dürfen

Stark betroffen von dieser Entwicklung sind Auenlandschaften in der Nähe von Ballungsräumen und Industrieregionen und in Regionen mit Tagebau. So werden die Überflutungsräume durch Deiche eingeengt, die Flussläufe begradigt oder verlagert, und die Sande und Kiese der Auen abgebaut. Auch der Braunkohle-Tagebau spielt bei der Verlagerung der Flussläufe eine große Rolle. „Kommen mehrere dieser menschengemachten Faktoren in den Auen zusammen, sind die natürlichen Abflussverhältnisse oft nicht mehr gegeben. Extreme Hochfluten können dann selbst in den Auen von kleineren Flüssen wie aktuell an der Erft zu großen Schäden führen“, so Christoph Zielhofer.

Am Fluss Erft kam es zu rückschreitender Erosion und Flutung einer Kiesgrube. Die Ursache für das Problem sieht Monika Raschke vom BUND Landesverband NRW in der Genehmigung des Kiesabbaus. „Für mich ist es ein Unding, in der Nachbarschaft einer wichtigen Trinkwassergewinnungsanlage und in unmittelbarer Nähe einer Ortschaft eine Kiesgrube zuzulassen. Die Bilder in den Medien lassen vermuten, dass es zunächst aufgrund des hohen Wasserdrucks auf die steilen Böschungen zu einem hydraulischen Grundbruch kam. In einem solchen Fall rutscht die Böschung am Fuß weg und es kommt zu rückschreitender Erosion (d.h. es rutscht immer mehr Kies nach und das Baggerloch wird immer größer).“ Dieses Phänomen beschreibt auch Prof. Zielhofer: „Je größerer die Höhenunterschiede in der Aue sind und je mehr Wasser fließt, desto stärker wird die rückschreitende Erosion. In natürlichen Auen kommen diese großen Höhenunterschiede so nicht vor.“

In den Ballungsräumen sind die Verluste der Auen am höchsten (Q: Auenzustandsbericht 2021)

Wissenschaftler fordert gesellschaftliche Debatte über die Nutzung von Auen

Besonders skeptisch sieht Prof. Zielhofer die fortschreitende Bebauung der Auenlandschaften. Dadurch würden diese bei extremen Hochwässern immer schadensanfälliger. „Flüsse haben ein langes Gedächtnis. Bei extremen Hochflutereignissen finden sie häufig wieder zurück in ihren früheren Flusslauf und durchbrechen menschengemachte Barrieren. Ich glaube allerdings nicht, dass wir etwas erreichen, jetzt nach Verantwortlichen vor Ort zu suchen. Vielmehr brauchen wir eine gesellschaftliche Debatte über die nachhaltige Nutzung von Auen“, fordert der Physische Geograph und Geomorphologe. Dabei müsse es darum gehen, wie wir den Flüssen ihre natürlichen Überflutungsräume zurückgeben und den menschlichen Nutzungsdruck auf die Auenlandschaften reduzieren können.

Wir gewinnen gemeinsam mit der Natur

Es gibt mittlerweile zahlreiche Projekte von Bürgerinitiativen und Natur- und Umweltschutzverbänden, die sich für die Wiederherstellung des natürlichen Zustands der Auen einsetzen. In meiner Nachbarschaft hat die Lippe vor dem Ruhrgebiet mit den Lippeauen üppige Flächen um sich bei den jährlich wiederkehrenden Hochwassern auszubreiten. Das braucht viel Platz. Aber anders wird es nicht gehen. Gewinnt die Natur, profitieren auch die Menschen davon. Dass diese Logik auch andersherum wirkt, beginnen wir gerade zu lernen…


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Christoph Zielhofer
Institut für Geographie
Telefon: +49 341 97-32965
E-Mail: zielhofer@uni-leipzig.de

Beitragsfoto: Lippeauen in Lippborg (Gendries)

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