Wie mögen sich Wasserkunden ärgern, die angesichts von Wasserknappheit und Hitze aufgefordert werden, weniger Wasser zu verbrauchen, während wertvolles Trinkwasser in defekten Leitungen verloren geht. Ursächlich dafür sind „Leckagen“, verantwortlich die Wasserversorger. Während Leckagen und Wasserverluste in Deutschland (noch) nur unter Experten eine Rolle spielen, sind sie in England eigentlich sprichwörtlich für den Zustand der englischen Wasserwirtschaft. Als ich vor 15 Jahren beruflich mit Thames Water, dem Versorger von London zu tun hatte, folgte auf die Erwähnung dieses Umstandes von meinen deutschen Gesprächspartnern stets ein mitleidiges Lächeln. Zu groß waren die Probleme mit den maroden Netzen – und bestens bekannt. Das wird sich auch sobald nicht ändern, denn Thames Water, der größte Wasserversorger in der weitgehend im Besitz von privaten Investoren befindlichen englischen Wasserwirtschaft, steht für seine hohen Wasserverluste in England gerade am Pranger.
Leckagen werden detailliert erfasst
Die englische Wasserwirtschaft ist bekanntlich reguliert, kaum ein Bereich wird für die Leistungsmessung der Unternehmen ausgespart. Bleibt der Erfolg aus, gibt es Strafzahlungen oder geringere Preise. Über all das wachen neben der Preisregulierungsbehörde OFWAT auch Kundenschutzorganisationen, wie der Consumer Council for Water (CC Water). Überwacht werden unter anderem Wasserqualität, Kundenzufriedenheit, Investitionen und Ressourcenmanagement. Und hier spielen die Leckagen aus denen das Trinkwasser verloren geht, eine große Rolle. Schon seit Jahren werden die Unternehmen gedrängt, ihre Wasserverluste zu reduzieren. Dafür gibt es je nach Unternehmen konkrete Ziele. Der Erfolg stellt sich nicht überall ein, wie ein soeben veröffentlichter Bericht belegt.
Über 3 Milliarden Liter täglich
345.000 Kilometer lang sind die Trinkwasser-Leitungsnetze von England und Wales, damit gehen sie achteinhalbmal um den Äquator. Klar, da kann auch mal was kaputtgehen, fast 60.000 große Weserrohrbrüche berichtet die Statistik jährlich. Aber nicht die Anzahl ist entscheidend, sondern deren Größe und wann sie entdeckt werden. Was in England dabei an wertvollem Wasser im Erdreich verschwindet ist beachtlich: 3,17 Milliarden (!) Liter – jeden Tag. Das ist genug um täglich 1.268 Schwimmbäder zu füllen. Aber wer wechselt schon täglich das Wasser in seinem Schwimmbad. Dieses Wassermengen gehen verloren, sie reichern zwar über die zeit wieder das Grundwasser an, aber bis dies zu den Brunnen gelangt aus den die Versorger ihr Wasser beziehen, dauert es. So muss auf frisches Grundwasser oder Wasser aus den Reservoirs zugegriffen werden, um die Verluste zu decken. Die zunehmende Trockenheit im Südwesten Englands verhindert aber den Nachschub.
Thames Water behält das Image des Wasserverschwenders
Aber nicht alle Versorger werden kritisiert. 15 der 18 Wasserversorger erreichen die gesetzten Ziele zur Reduzierung ihrer Leckagen im abgelaufenen Berichtszeitraum April 2018 bis März 2019. Während Thames 329 Leckagen auf 1.000 Kilometer Leitungsnetz zu verzeichnen hatte, lag der Durchschnitt der Branche bei 172 Leckage jährlich.
Thames Water dagegen wird das Image des Wasserverschwenders wohl kaum los werden. Schon im letzten Jahr hatte der Thames 120 Millionen britische Pfund Strafe zahlen müssen, weil es sein Leckage-Ziele nicht erreicht hatte.
Englands größter Wasserversorger verlor im vergangenen Jahr jeden Tag durchschnittlich 690 Millionen Liter durch Leckagen. Damit erreicht rund ein Viertel des die Wasserwerke verlassenden Trinkwassers nicht den Kunden. Dies würde für den täglichen Bedarf von fast 5 Millionen Menschen ausreichen. Obwohl Thames die Verluste im Vergleich zu 2017-2018 um 0,9% verringerte, verfehlte der Versorger sein regulatorisches Ziel immer noch um fast 80 Millionen Liter pro Tag – die höchste vergleichbare Zahl in der Statistik der englischen Wasserversorger. Dabei darf man sicher nicht behaupten, dass Thames Water nichts dagegen unternimmt. die Wasserverluste sind in den vergangenen 15 Jahren um 27 Prozent reduziert worden. Jeden Tag investiert Thames nach eigenen Angaben eine Million Euro in das Leitungsnetz – ein Großteil davon in die Rehabilitation des Leitungsnetzes. Die Anzahl der Teams, die um Leckagen kümmern, wurde um 21 Prozent erhöht. Die Führungskräfte des Unternehmens müssen um ihre Prämien fürchten, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Um trotz des Verkehrslärms die Leckagen zu finden, wurden 27.000 Geräuschlogger installiert. Diese zeichnen in der Nacht die Fließgeräusche an den Rohren auf, wird nichts vermeldet, ist das Rohr intakt, andernfalls dürfte eine Leckage vorliegen – oder viel Verkehr. Bisher war England dafür bekannt, dass es keine Zähler gab, um das gelieferte Wasser zu erfassen. Die Abrechnung erfolgt pauschal. Das hat sich vor einigen Jahren geändert. Während in Deutschland die meisten Wasserversorger noch mit dem Datenschutz und Funksignalen hadern und analoge Zähler nutzen, haben die englischen Versorger auf digitale Funkwasserzähler gesetzt und erfassen so die Leckagen bei den Kunden. So hat Thames bereits 327.000 digitale Funkwasserzähler auch deshalb im Einsatz, um die Leckagen zu reduzieren.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch die im Südwesten gelegenen Versorger Affinity Water und Hafren Dyfrdwy kritisiert wurden, weil sie ihre zu hohen Leckagen nicht reduziert hatten.
Wasserverluste können in Folge des Klimawandels die Versorgungssicherheit bedrohen
Robert Light, Vorsitzender des Consumer Council for Water, beklagt, dass die Unternehmen mit den größten Verfehlungen der Leckageziele bei Unternehmen im Südwesten Englands festzustellen seien, dort, wo es ehedem schon knappe Wasserressourcen gibt und die Menschen sich um die Sicherheit der Trinkwasserbelieferung sorgen: “It will be a huge concern and disappointment to customers that the majority of companies that failed their leakage targets are in the south east of England, where water resources are under the most intense pressure and people have growing concerns over the long-term security of their supply.”
Vor wenigen Wochen erst wurde eine Studie publik, in der für 2050 prognostiziert wurde, dass in London dann klimatische Bedingungen erleben würde, wie sie heute in Barcelona herrschen. Wenn Thames bis dahin das Leckagethema nicht in den Griff bekommt, werden sich die Lebensbedingungen in der 10-Millionen-Stadt verschlechtern. Metropolen sind schon heute schwierigen Versorgungsbedingungen ausgesetzt. Der Trend zum urbanen Leben lässt sie schnell wachsen, da können die Wasservorräte und die technischen Versorgungsanlagen kaum mithalten, der Wasserbedarf steigt und in Sommermonaten gibt es Verbrauchsspitzen, die die Leitungen unter Stress setzen.
Nicht immer sind die Leckagen vermeidbar
Dass Wasserrohre bersten hat nicht nur etwas mit dem Management zu tun. So kann heißes und trockenes oder eiskaltes Wetter dazu führen, dass sich der Boden um Wasserrohre ausdehnt oder zusammenzieht, was zu Schäden an den Leitungen führen kann. Im vorletzten Jahr führte eine sehr schnell einsetzender Wechsel von starkem Frost und Auftauwetter im Südwesten Englands zu einer wahren Rohrbruchwelle. Ältere Rohre neigen dazu, stärker zu platzen, und dennoch gibt es sehr alte Rohre, die schon Jahrzehnte halten, ohne auffällig zu sein. Bei Thames Water sind 62 Prozent der Rohre älter als 60 Jahre und mehr als die Hälfte liegen unterhalb der Stadt, in ländlichen Gemeinden ist das Auffinden der Leckagen und das Auswechseln der Rohre meist deutlich einfacher. Auch können die Bodenverhältnisse können dazu führen, dass einige Rohrmaterialien regelrecht weggefressen werden. In Städten und in der Nähe viel befahrener Straßen wird der Boden um das Rohr herum durch starken Verkehr erschüttert, wodurch das Rohr beschädigt werden kann. Gerade das ist ein Problem in London. Die richtige Strategie zum Austausch zu entwickeln, ist daher nicht einfach.
Meine damaligen Thames-Kollegen nahmen mich 2003 mit, um mit Hilfe so genannter Geräuschlogger mögliche Leckagen aufzufinden. Wir begaben uns damals in die City, in die Nähe des Trafalgar Squares. Wer den Verkehrslärm dort kennt, wird sich unschwer vorstellen können, welche Herausforderung es ist, das Herausströmen von Wasser zu hören. Zudem kommt, dass man im Falle einer festgestellten Leckage an das defekte Rohr unter der Straße herankommen muss. Hierbei werden sich die Begeisterungsstürme der Autofahrer und Touristen ohne Frage in Grenzen halten. Aber das ist alles keine Entschuldigung. Die drohenden Versorgungsengpässe werden den Druck auf die Versorger erhöhen.
Thames veranschaulicht im Geschäftsbericht das Problem der Lecksuche: mit 47 Prozent ereignet sich fast jeder zweite Wasserrohrbruch unerkannt im Untergrund. Rechnet man noch das eine Viertel dazu, bei dem das Wasser aus dem Hausanschluss des Kunden verloren geht, dann werden nur rund ein Viertel der Wasserrohrbrüche durch sichtbar austretendes Wasser auch sofort erkannt.
Nur wirtschaftlich sinnvolle Schäden müssen behoben werden
Auch wenn es seltsam klingt, nicht jede Leckage muss auch behoben werden. Der Regulierer OFWAT verlangt von den Unternehmen nur solche Schäden zu beheben, die auch wirtschaftlich Sinn machen. OFWAT fordert demnach die Unternehmen auf, dann tätig zu werden, wenn die Kosten des Beheben der Leckage geringer sind, als die Kosten des Nichtbehebens. Für die letzte Kostenposition nutzt OFWAT eine „Formel“, den „Economic Level of Leckage“. Dieser mißt nicht allein die verlorene Wassermenge, sondern berücksichtig die wirtschaftlichen Folgen. Daher setzt er sich zusammen aus den entstehenden Umweltschäden und die Kosten für die Erschließung neuer Ressourcen, um die Folgen der Wasserverluste auszugleichen. Dieser Ansatz soll den Verbrauchern das beste Preis-Leistungsverhältnis bieten. Im Zuge der aktuellen Regulierungsperiode zur Ermittlung der künftigen Wasserpreise im Zeitraum 2020 bis 2025, hat OFWAT die Unternehmen aufgefordert, eine Reduzierung der Leckagen um 15% als Teil ihres Geschäftsplans einzukalkulieren. Dadurch sollen den Kunden keine zusätzlichen Kosten, d.h. höhere Wasserpreise entstehen. Das bedeutet der wirtschaftliche Vorteil der Leckagebeseitigung ist für die Unternehmen höher als die Kosten.
Leckagen und Wasserverluste weltweit ein drängenderes Thema
Die Unzulänglichkeiten bei der Bekämpfung der Wasserverluste beschränken sich natürlich nicht auf London und Thema Water. In den USA stehen Investitionen in der Höhe mehrerer Milliarden allein in die maroden Netze an. In Kapstadt und Südafrika sind Leckagen entscheidende Ursachen für den drohenden Day Zero im vergangenen Jahr. Brasilien, Bolivien, Argentinien – vermeintlich wasserreiche Regionen, die ihre Versorgungssicherheit durch Wasserverluste angesichts unzureichend gewarteter Leitungsnetze einbüssen. Teuer aufbereitetes und knappes Wasser geht in vielen Weltregionen durch die maroden Leitungsnetze verloren.
Jetzt wird man sich womöglich fragen, wie hoch die Wasserverluste bei deutschen Wasserversorgern sind und wo hierzulande die Herausforderungen liegen. Darüber werde ich in einem der nächsten Beiträge berichten.
Weiterführendes / Quellen
- „Repeat offenders risk undermining efforts to reduce leakage“, CC Water, 26.7.2019
- „Leaking Pipes“, Discover Water
- Vergleichsstatistik Leckagen auf 1.000 Kilometer Leitungsnetz, Discover Water
- „Reporting guidance – Leakage“, OFWAT
- „Global heating: London to have climate similar to Barcelona by 2050“, The Guardian, 10.7.2019
- Beiträge auf Lebensraumwasser zu Kapstadt und Wasser
- „Wie Missmanagement und Klimawandel Brasiliens Wasserreichtum versiegen lassen“, Lebensraumwasser
- Beiträge auf Lebensraumwasser zu Brasilien und Wasser
- „Ist Boliviens Wasserversorgung ein Vorbild für das Recht auf Wasser oder droht erneutes Scheitern?“, Lebensraumwasser
- Geschäftsbericht Thames Water
Titelphoto: Warltersville Rd leak, Thames Water, 2010, Harry Wood, cc commons, flickr
Beitragsphotos: Gendries
Hervorragend recherchiert, umfassend und neutral. Gerade die unverzichtbare Rolle des Regulators, der ja für Monopolbetriebe eine Selbstverständlichkeit sein sollte, über den man sich aber hierzulande gerne mit Hilfskonstruktionen „hinwegschwindelt“, ist gut zu erkennen. Neue Technologien und big data Anwendungen haben das Potential das Verlustmanagement zu revolutionieren bzw. tun dies bereits. Bin schon auf die Fortsetzung gespannt.