Sind Wasserpreise nicht sogar zu niedrig? – Bericht über Mülheimer Tagung

Wer hätte das gedacht? Da treffen sich Wasserökonomen, Wasserwirtschaftler und Kartellexperten zu einer Fachtagung und statt einer Forderung nach sinkenden Wasserpreisen, beherrscht die Sorge zu niedriger Wasserpreise die Diskussion.

Über 160 Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet, Vertreter aus fünf Länderministerien und führende deutsche Wasserökonomen als Referenten – erfolgreicher kann der Start einer neuen Veranstaltungsreihe kaum sein. Die in diesem Jahr, am 24. Februar in Mülheim an der Ruhr von den Partnern RWW, HRW und IWW erstmalig ausgerichtete „Mülheimer Tagung“ hat die Erwartungen der Veranstalter voll erfüllt. RWW-Geschäftsführer Dr. Franz-Josef Schulte begrüßte als Gastgeber die Anwesenden und beschrieb die Zielsetzung der Mülheimer Tagung mit den Worten „Wir wollen nicht nur Interessierte aus Praxis, Politik und Wissenschaft ansprechen, sondern auch den fachlichen Austausch mit Studenten fördern. Die Nachwuchsentwicklung zu unterstützen und zu begleiten ist uns sehr wichtig und ich freue mich, in viele junge Gesichter zu blicken.“ Der Mülheimer Oberbürgermeister Ulrich Scholten umriß in seinen Grußworten die kommunalen Herausforderungen: „Auch wir werden mit sich ändernden Rahmenbedingungen konfrontiert. Das betrifft nahezu jede unserer Infrastrukturen. Seien es Straßen, Brücken, Schulen, Kindergärten oder andere öffentliche Einrichtungen. Der Bedarf verlagert sich, die Kosten steigen und die Finanzierung wird schwerer. Wir brauchen neue Ideen – Innovationen. Dies gilt auch für unsere Trink- und Abwasserinfrastruktur.“

Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr NRW, Michael Groscheck
Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr NRW, Michael Groscheck

Der für die erkrankte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft eingesprungene nordrhein-westfälische Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr, Michael Groscheck, betonte Wasser sei ein Lebensmittel und dürfe nicht zum Spekulationsobjekt verkommen. An die deutsche Wasserwirtschaft appellierte er, angesichts der globalen Wasserprobleme eine stärkere Position einzunehmen und das deutsche Know-how als Exportgut zu verstehen. „Unser Wissen ist die Macht, die Ohnmacht in vielen Regionen zu bekämpfen, denn der Krieg um Öl könnte zukünftig vom Krieg um das Wasser abgelöst werden.“

Der Leipziger Umweltökonom Professor Erik Gawel zeigte in seinem Eingangsstatement einerseits Schwächen bei der Umsetzung der Modernisierungsstrategie auf, warnte aber auch davor alles der Effizienz zu opfern. Es gibt eine „Zielpluralität“ bei Trinkwasser. „Eine forcierte Kostenschrumpfung geht zu Lasten der Qualität und der Nachhaltigkeit“, zitiert Gawel Praktiker-Befürchtungen und warnt daher man dürfe nicht nur auf die Preise schauen. Das sollten auch die Kartellbehörden erkennen, denn manch ein Kartellwächter habe sich als „Robin Hood des Effizienzprinzips“ verstanden und sei mit seinen Preissenkungsverfügungen deutlich über das Ziel hinausgeschossen. „Es besteht die Gefahr einer politisch bedingten Kostenunterdeckung mit der Folge zu niedriger Preise“. Falls aber die Modernisierung ausbleibt, sei der Gesetzgeber gefordert, resümiert Gawel seine Bestandsaufnahme der deutschen Wasserwirtschaft und fordert die konkurrierenden preispolitischen Vorgaben des Gebühren-, Tarif-, Wettbewerbs- und Wasserrechts aufeinander abzustimmen und das Verhältnis von Wirtschaftlichkeitsdruck und Erfüllung anderer Ziele genauer zu untersuchen.

160 Teilnehmer
Fast bis auf den letzten Platz besetzt. Die Gäste der 1. Mülheimer Tagung im RWW Aquatorium

In den anschließenden Einzelsessions präsentierten sechs Referenten ihre Lösungsvorschläge und Erkenntnisse aus Wissenschaft und Unternehmenspraxis für die Themen „Entgeltkalkulationen“, „Asset Management“ und „Entgeltsysteme“ im Wechsel zwischen Trink- und Abwasser. Mit seinem Vortrag „Zukunftsfeste Kalkulation von Abwassergebühren: Im Dreiklang von Eigenkapitalverzinsung, Abschreibungen und Ausschüttungen“, plädierte der Dortmunder Professor Andreas Hoffjan für eine angemessene Eigenkapitalverzinsung, um die Investitionsfähigkeit der Abwasserbeseitigung trotz steigender Unsicherheit sicherzustellen. Dr. Gerhard Mener von der MAINOVA AG berichtete nicht nur über seine eigenen Erfahrungen bei Kartellverfahren und die mangelnde Eignung der Vergleichsmaßstäbe, er eröffnete auch den Reigen der Referenten, die für höhere Grundpreisanteile bei Trinkwasser plädierten. Dass Ökonomie und Technik im Sinne einer effizienten Wasserwirtschaft eng aufeinander abgestimmt werden müssen, wurde beim Themenblock „Asset Management“ deutlich. Michael Hippe für Abwasser und der technische Leiter der RWW, Dr. Christoph Donner, beleuchteten die Herausforderungen aus zwei Perspektiven. Während Hippe’s Vorschläge für eine Sanierungsstrategie bei Abwasser vermutlich noch um Anerkennung durch die Betreiber kämpfen müssen, waren Donner’s Beispiele bereits gelebte Praxis. Gabriele Krater von der Landeskartellbehörde bezeichnete sie später in der Podiumsdiskussion sogar als „Best Practice“. Donner zeigte, wie sich die Effizienz von Wasserversorgern durch Prozessinnovationen und Automatisierungen steigern lässt. Dafür müsse aber auch geeignetes Personal zur Verfügung stehen, skizzierte er die Kehrseite der Medaille.

Entgeltsysteme mit höheren Grundpreisen und -gebühren tragen nicht nur zur Verursachungsgerechtigkeit, sondern auch zur Generationengerechtigkeit bei. Professor Dr. Mark Oelmann stellte in seinem Vortrag ein Modell für Schmutzwasser-Grundgebühren und plädierte für eine gemeinschaftliche Umstellung der Entgeltsysteme für Trink- und Schmutzwasser. Dass sich das Systempreismodell der RWW auch auf andere Regionen übertragen lässt, stellte Eddy Eicken von den Stadtwerken Aschersleben dar. Der Versorger aus Sachsen-Anhalt hatte sein Preissystem Anfang 2014 auf einen 50-prozentigen Systempreis umgestellt und im Gegenzug den Mengenpreis gesenkt. Eickens Botschaft an Umstellungswillige: „Die Bedeutung der Kommunikation darf auf gar keinen Fall unterschätzt werden“.

Mit besonderer Spannung waren die Keynotes des früheren Vorsitzenden der Monopolkommission, Professor Justus Haucap, und der NRW-Kartellreferentin Gabriele Krater erwartet worden. Haucap wiederholte seine Forderungen nach einer Regulierung der Wasserwirtschaft. Er attestierte den Maßnahmen der Kartellbehörden eine unzureichende Wirkung: „Die Kartellbehörde greift immer nur punktuell zu. Das ist ein selektiver, chirurgischer Eingriff, bei dem Monopolpreise mit Monopolpreisen verglichen werden. Besser wäre eine

Die Podiumsdiskussion Dr. Martin Weyand (BDEW), Dr. Andreas Zuber (VKU), Siegfried Gendries (Moderation), Prof. Justus Haucap (DICE), Gabriele Krater (MWEIMH)
Podiumsdiskussion mit Dr. Martin Weyand (BDEW), Dr. Andreas Zuber (VKU), Siegfried Gendries (RWW – Moderation), Prof. Justus Haucap (DICE), Gabriele Krater (MWEIMH)

Regulierung, die sich bei anderen Netzsektoren mit Monopolstrukturen an hypothetischen Wettbewerbspreisen orientiert.“ Als ersten Schritt forderte er daher ein verpflichtendes Benchmarking. In langfristiger Sicht betonte er die Vorteile einer sektorspezifischen Anreizregulierung mit Qualitäts- und Umweltzielen.

Gabriele Krater stellte in ihrer Keynote die Erfolge aus dem NRW-Benchmarking Trinkwasser und ihr kartellrechtliches Instrumentarium dar. Mittlerweile nehmen 110 Versorger daran teil. Sie rief die Versorger auf, die Ergebnisse aus dem Benchmarking aktiver zu nutzen. „Geschäftsführer, die wegen zu hoher Preise von der Kartellbehörde eingeladen werden, müssen doch ihre Kennzahlen erläutern können. Wer in einem solchen Termin einwendet, seine Zahlen seien falsch, der ist bei der Landeskartellbehörde an der falschen Stelle“ Auch für Kunden hatte Krater Botschaften. Die Wasserkunden bereitete sie darauf vor, dass Tarifumstellungen nicht für alle Kundengruppen gleich ausfallen können und einige auch Belastungen ertragen müssen. Die Politiker warnte sie davor, die Wasserpreise nicht für Wahlkampfzwecke und den Wasserversorger nicht als Cash-Cow für den kommunalen Haushalt zu missbrauchen. Auch Krater räumte ein, dass Wasserpreise tendenziell eher zu niedrig seien und in Folge der daraus resultierenden Kostenunterdeckung die Substanz der Wasserinfrastruktur gefährdet werde.

Auch in der abschließenden Podiumsdiskussion, in der sich BDEW Geschäftsführer Dr. Martin Weyand  und VKU-Justiziar Dr. Andreas Zuber zu Gabriele Krater, Justus Haucap und dem Moderator Siegfried Gendries gesellten, stießen Haucaps Regulierungsvorschläge auf eine Front der Ablehnung. Die Regulierung bleibe, so Weyand, in der Energiewirtschaft ihren Erfolg schuldig und führe zu einem aufgeblähten Verwaltungsapparat. Wie Weyand, betonte auch Zuber die Vorteile des Benchmarking. Wenngleich beide einräumen mussten, dass es in einigen Bundesländern noch Nachholbedarf gibt. Zuber verwies auch auf die Entwicklungen in England, wo die Wasserregulierung für die Kunden auch nicht die erwarteten Vorteile gebracht habe. Zum Abschluss konnte Gabriele Krater noch umstellungswillige Versorger beruhigen. Es gäbe nach ihren Erfahrungen keine Zunahme an Kundenbeschwerden, wenn ein Versorger umgestellt habe. Bei RWWs Systempreiseinführung habe es ihrer Erinnerung nach gar keine Beschwerde gegeben. „Voraussetzung ist aber“, warnte Krater, „dass man so offen kommuniziere, wie es Herr Eicken am Beispiel der Systempreiseinführung in Aschersleben dargestellt hat.“

Die 1. Mülheimer Tagung hat gezeigt, dass die Ökonomisierung der Wasserwirtschaft in Deutschland mittlerweile weit vorangeschritten ist. Auch in der Entgeltkontrolle ist die Einsicht eingekehrt, dass die „Geiz-ist-Geil“-Mentalität bei Trinkwasser für die Kunden keine Vorteile bringen wird. Trinkwasser ist ein Lebensmittel, da müssen andere Gesetzmäßigkeiten gelten.

Die Modernisierung der  Wasserwirtschaft muss ernst genommen werden und zu mehr ökonomischer Qualität führen, um gesetzgeberische Maßnahmen abzuwenden. Aber, das hat Mülheim gezeigt, die Branche bewegt sich. Auch dem wasserökonomischen Nachwuchs kann die Wasserwirtschaft aussichtsreiche Perspektiven und spannende Herausforderungen bieten. Davon konnten sich die vielen jungen Teilnehmer unter den Gästen überzeugen. Ganz sicher wird die Konferenz für viel Gesprächsstoff sorgen. Für das Jahr 2018 ist die 2. Mülheimer Tagung bereits in Planung. 

Hier gibt es Impressionen und Informationen von der 1. Mülheimer Tagung: www.muelheimer-tagung.de