In der Ostsee ist Seegras nicht nur ein faszinierender Bestandteil der marinen Flora, sondern sind auch klimapolitisch eine wichtige Ressource. Als effektive Kohlendioxidsenken spielen Seegraswiesen eine herausragende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel – und das nicht nur irgendwo auf der Welt, sondern immer mehr auch direkt vor unserer Haustür in der Lübecker Bucht am südwestlichen Ende der Ostsee. Während meines Urlaubs an der Ostsee bin ich auf dieses wundervolle Gras gestoßen. (Lesezeit ca. 5 Minuten / Beitrag # 921)
Seegras als CO₂-Senke
Was macht das Seegras eigentlich? Seegras entzieht dem Meerwasser das klimaschädliche Kohlendioxid (CO₂) und speichert Kohlenstoff langfristig im Meeresboden. Die Effizienz von Seegraswiesen als „Blue Carbon“-Speicher ist beeindruckend: Pro Quadratmeter werden an der deutschen Ostseeküste durchschnittlich etwa 10,7 Kilogramm Kohlenstoff im Sediment eingelagert, bei Spitzenwerten sogar bis zu 26,5 Kilogramm.
Seegraswiesen haben richtig Power. Denn sie binden ihr CO₂ 30- bis 50-mal schneller als Wälder und können je Hektar genauso viel Kohlenstoff wie zehn Hektar Wald speichern. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Begrenzung der globalen Erwärmung und wirken einer zunehmenden Versauerung der Küstengewässer entgegen.
Es kommt auf die Bedingungen an
Nicht immer spielt Seegras eine positive Rolle. Es kommt darauf an, welche Wassertemperaturen herrschen. Eine Studie eines internationalen Forscherteams um den Biogeochemiker Dr. Bryce Van Dam vom Helmholtz-Zentrum Hereon zeigt, dass Seegraswiesen unter Umständen sogar mehr Kohlendioxid abgeben können als sie aufnehmen. Ob die Rekultivierung von Seegraswiesen sinnvoll ist, hängt letztlich vom Standort ab.
Die CO2-Reduktion erfolgt bekanntlich durch die im Wasser durch Karbonate, die durch Gesteinsverwitterung ins Meer gelangen. Im warmen Wasser der Tropen führen die Stoffwechselprozesse der Seegraspflanzen dazu, dass das gelöste Karbonat zu Kalk umgewandelt wird, der dann zu Boden rieselt. Damit geht das Karbonat verloren, das sonst Kohlendioxid binden würde.
Bedeutung für Biodiversität und Küstenschutz
Über die Klimawirkung hinaus sind Seegraswiesen Hotspots der Biodiversität, bieten Lebensraum für zahllose marine Tiere und sorgen für Sedimentstabilisierung. Sie schützen den Küstenbereich vor Erosion, filtern Nährstoffe aus dem Wasser und verbessern damit die Wasserqualität in der Ostsee.
Seegräser werden oft mit Großalgen verwechselt. Im Gegensatz zu Zuckertang (Laminaria saccharina) und anderen Braun- und Rotalgen sind Seegräser mit ihren langen, grasähnlichen Blatthalmen echte Pflanzen und verwandt mit Landbewohnern wie Wiesengräser, Palmen und Schwertlilien.
Wie diese bilden Seegräser Blüten, Samen sowie ein dichtes Wurzelwerk aus, mit dem sie sich fest im Meeresboden verankern und über welches sie Nährstoffe und Wasser aus dem Untergrund aufnehmen. Außerdem nutzen Seegräser wie Bäume, Blumen und Sträucher das Sonnenlicht, um Photosynthese zu betreiben und Energie zu gewinnen, indem sie Kohlendioxid und Wasser in Zucker und Sauerstoff umwandeln. Ausreichend Tageslicht ist für Seegräser deshalb ein ebenso entscheidender Standortfaktor wie für lichthungrige Landpflanzen.
Neuanpflanzung und Schutzprojekte in der Lübecker Bucht
Da der Bestand an Seegras in der Ostsee in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen ist – hauptsächlich wegen Nährstoffeinträgen, Küstenbau und Sedimentveränderungen – laufen derzeit umfangreiche Projekte zur Wiederansiedlung. Die Lübecker Bucht und angrenzende Regionen sind dabei im Fokus aktueller Forschung und Pflanzinitiativen, etwa im Rahmen des SeaStore-Projekts. Dort werden Standorte systematisch kartiert, Wiederansiedlungsmethoden getestet und der Einfluss von Umweltfaktoren wie Mikrobiomen analysiert.
Das Anpflanzen neuer Seegraswiesen ist allerdings aufwendig: In Pilotvorhaben werden einzelne Halme und Samen von Tauchern manuell gepflanzt. Die Ergebnisse werden wissenschaftlich begleitet, um Erfolgsfaktoren für eine stabile Entwicklung neuer Seegrasbestände zu identifizieren.
Angeschwemmtes Seegras: Ein natürliches Phänomen
Die großen Mengen an angeschwemmtem Seegras am Ostseestrand, wie auf dem Foto, können zunächst als störend empfunden werden, sind aber ein ganz normales und ökologisch wertvolles Naturphänomen. Seegras wird durch Wellen, Strömungen und Stürme vom Meeresboden gelöst und landet am Ufer. Dort schützt es den Sandstrand vor Erosion und bildet zeitweise einen wichtigen Lebensraum für zahlreiche Strandbewohner wie Flohkrebse und Insektenlarven. Möwen und Stockenten wissen das Angebot zu schätzen.
Im Unterschied zu Algen bilden sich bei der Zersetzung von Seegras kaum Gerüche – Seegras verrottet vergleichsweise geruchlos. Aber das ist – wie in der vergangenen Woche in der Lübecker Bucht – bei hohen Temperaturen und langen Sonneneinstrahlungen nicht immer so.

Neben seinem Strandschutz-Effekt kann gesammeltes Seegras auch als natürlicher Dünger, Baumaterial oder sogar zur Füllung von Kissen genutzt werden, was es zu einer facettenreichen und nachhaltigen Ressource macht.
Die Ostsee-Strände bieten aktuell ein lehrreiches Naturschauspiel, welches die immense Bedeutung von Seegras verdeutlicht: Was vielen als störende Braunmasse erscheint, ist tatsächlich ein Symbol für gesunde Küstenökosysteme und ein Baustein für den Klimaschutz der Zukunft.
Quellen
- SeaStore – Schutz und die Wiederansiedlung von Seegraswiesen in der südlichen Ostsee, BMUK Bundesumweltministerium, Fördermaßnahmen im ANK | Meeresschutz
- SEEGRAS-WISSEN – Hilfe für die blühenden Wiesen am Meeresgrund, SeaStore
- Seegras in der Ostsee, Klimastiftung Mecklenburg Vorpommern
- Einfach Natur oder Belästigung? Faulgase aus Algen Der Reporter, Pelzerhaken
- Seegraswiesen für den Klimaschutz, Universität Hannover
- Seegras nimmt weniger Kohlendioxid auf als bisher gedacht, gwf, 06.01.22



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