Schmutzige Geschäfte: Wie Englands Wasserwirtschaft mit Greenwashing ihre Umweltverschmutzung verschleiert

Die Wasserwirtschaft in England hat einen schlechten Ruf. Statt mit Transparenz und Dialogbereitschaft um Vertrauen zu werben, setzt sie auf Verschleierung. Das zeigt eine aktuelle Untersuchung. Sie zeigt auf, mit welchen Methoden die Branche Zweifel an ihrer Verantwortung für verursachte Umweltschäden sät, Schuld abwehrt und sich einer wirksamen Regulierung entziehen will. Dieses Vorgehen zeigt frappierende Parallelen zu Konzernen aus der Tabak- oder fossilen Energiebranche auf. (Lesezeit: 5 Minuten / Beitrag # 907)

Die Situation der Flüsse und Küstengewässer in England hat sich zuletzt dramatisch verschlechtert – nicht etwa wegen fehlender Technik oder unvorhersehbarer Naturereignisse, sondern durch Misswirtschaft und bewusste Irreführung durch die großen privaten Wasserkonzerne. Auch mit gezielter Kommunikation versuchen die Unternehmen, eine verschärften Regulierung zu verhindern und der Strafverfolgung zu entgehen.

Die Studie mit dem Titel „Water industry strategies to manufacture doubt and deflect blame for sewage pollution in England“ legt die Täuschungsmanöver und Greenwashings der englischen Wasserwirtschaft nach ihren zahlreichen Umweltverstößen der vergangenen Jahre offen.

Bürger und Touristen werden animiert, Wasserverunreinigungen in der Nähe einer Schmutzwasser-Pumpstation von WESSEX Water zu melden
(Foto: Gendries, Lulworth Coast, Dorset)

13 Millionen Stunden ungeklärtes Abwasser in die Umwelt gelangt

Zwischen 2019 und Ende 2023 wurden in England fast 13 Millionen Stunden lang ungeklärtes Abwasser in Flüsse und Meere eingeleitet. Viele dieser Einleitungen verstoßen gegen Umweltauflagen – und dennoch sind die Konsequenzen für die Verursacher gering. Stattdessen erlebt die englische Öffentlichkeit nach Einschätzung der Studienautoren eine perfekte PR-Inszenierung: Die Unternehmen präsentieren sich als „Teil der Lösung“, sprechen von „Wasserrecyclingzentren“ statt Kläranlagen und preisen Naturprojekte als Beleg ihrer Umweltfreundlichkeit. Dabei beziehen die Unternehmen sie Bürger öffentlichkeitswirksam in die Präventionsarbeit ein (siehe Foto oben) oder machen sie zum Teil des Problems.

22 Taktiken der Vernebelung

Die Autoren haben in ihrer Studie untersucht, inwieweit in der englischen Wasserwirtschaft die 28 Taktiken des sogenannten „Disinformation Playbook“ zur Anwendung gelangt sind.

Die Untersuchung zeigt: Die neun großen Wasser- und Abwasserunternehmen (WaSCs) in England bedienen sich mindestens 22 gezielter Taktiken, um Öffentlichkeit und Politik zu täuschen. Dazu zählen unter anderem:

  • Verzögerung oder Verweigerung von Auskunftsanfragen
  • Verharmlosungen durch Begrifflichkeiten wie „verdünntes Regenwasser“ statt „Fäkalienhaltiges Abwasser“, Umbenennung einer „Stormwater Task Force“ in „Clean Rivers and Sees Task Force“
  • Verharmlosung der Auswirkungen von Havarien z. B. „Generell stormwater overflows have an extremly small impact on rivers“
  • Diskreditierung unabhängiger Wissenschaftler
  • Dramatisierung der wirtschaftlichen Folgen für die Wasserpreise
  • Irreführende Kommunikation über angeblich minimale ökologische Auswirkungen
  • Ablenkung durch Schuldzuweisungen an Landwirtschaft oder Verbraucher („Wet Wipes“)
  • Verschleierung und Beschönigung von Daten zur Umweltbeeinträchtigung

„Die finanzielle Ausbeutung der Wasserressourcen in England, zusammen mit der langfristigen Verschlechterung der Infrastruktur und ineffektiver Regulierung, wirft global bedeutsame Fragen zu Wassersicherheit, Ethik und Umweltverantwortung auf. Es ist eine deutlich stärkere Überprüfung sowohl der Leistung als auch der Kommunikation der englischen Wasserwirtschaft erforderlich“, heißt es in dem Papier.

Die Liste der 28 Taktiken des „Disinformation Playbooks“, die dem Vergleich mit der englischen Wasserwirtschaft zugrunde lag

Profitabilität statt Umweltschutz

Seit der Privatisierung 1989 ist die englische Wasserwirtschaft fest in der Hand internationaler Investoren – 70 % der Anteile liegen bei Private-Equity-Firmen, Pensionsfonds oder Briefkastenfirmen. Während über 76 Milliarden Pfund an Dividenden ausgeschüttet wurden, betrugen die Schulden über 56 Milliarden – ohne deutliche Verbesserungen der Infrastruktur. Die Folge: marode Klärwerke, Lecks, Überläufe. Die Branche steht unter starken Druck von Medien, Politik und der Öffentlichkeit. Imagepflege, so die Autoren, scheint den Unternehmen daher wichtiger zu sein, als die Beseitigung der Ursachen für die verschuldeten Umweltfolgen.

Die gängige Rechtfertigung lautet: Ohne Notüberläufe (an Kläranlagen) würden Keller überfluten, Schulen absaufen und Krankenhäuser unter Wasser stehen. Klingt dramatisch – ist aber eine emotionale Erpressung. Tatsächlich ist die Überforderung des Systems hausgemacht, Folge von Investitionsstau und chronischer Unterkapazität. Und die Alternativen? Die gibt es – sie würden aber kurzfristig Gewinne schmälern oder die Wasserpreise noch unerschwinglicher machen. Das aber würde die Politik auf den Plan rufen, die schon mehrmals über eine Verstaatlichung der Wasserwirtschaft oder zumindest einiger Unternehmen – allem voran Thames Water – nachgedacht hat. Eine Verstaatlichung eines Unternehmen mit internationalen Investoren könnte aber die Attraktivität und Vertrauenswürdigkeit Englands auf den internationalen Finanzmärkten beeinträchtigen. Das scheint die Politik zu fürchten.

Die englische Politik schaut (noch) weg

Aber mittlerweile stehen nicht nur die Unternehmen in der Kritik, sondern auch die Behörden: Die Umweltagentur EA, die Aufsichtsbehörde Ofwat sowie das Umweltministerium DEFRA sind derzeit Gegenstand mehrerer Ermittlungen. Das neu geschaffene „Office for Environmental Protection“ hat „mögliche Rechtsverstöße“ erkannt. Die Untätigkeit der Politik in den vergangenen Jahren – gleich welcher Partei – lässt den Verdacht aufkommen: Der Einfluss der Lobby war stärker als der Wille zur Veränderung, mutmaßen die Autoren.

Dieser Fall ist ein Lehrstück dafür, wie wirtschaftliche Interessen mit gezielter Kommunikation Umweltvergehen normalisieren. Wenn Unternehmen Informationen kontrollieren, Sprache manipulieren und Kritik systematisch untergraben, dann geht es nicht mehr nur um PR – sondern um Umweltschutz und Transparenz. Die Studienautoren schlagen daher vor, dass auch die Kommunikation der Industrie reguliert wird, damit Anzeichen für gezielt gestreute Zweifel, Fehlinformationen und Verdrehungen von Fakten hinterfragt und veröffentlicht werden können.

Umweltüberwachung in der Wasserwirtschaft: Deutschland vs. England

Die Umweltüberwachung in der Wasserwirtschaft unterscheidet sich in Deutschland und England deutlich – mit Folgen für den Gewässerschutz. In Deutschland ist die Überwachung staatlich organisiert und stark reguliert. Länderbehörden kontrollieren regelmäßig Grundwasser, Oberflächengewässer und Einleitungen. Die Daten sind grundsätzlich öffentlich zugänglich, Umweltverstöße werden konsequent verfolgt. Die Betriebe und Unternehmen der Wasserwirtschaft unterliegen einer Aufsicht und Kontrolle durch die demokratisch legitimierten kommunalen Gremien. In Deutschland bleibt die öffentliche Hand in der Verantwortung – was dem Vorsorgeprinzip eher gerecht wird.

In England hingegen ist die Wasserversorgung seit den 1980ern Jahren der Thatcher-Ära privatisiert. Die Umweltüberwachung liegt bei der zentralen staatlichen „Environment Agency“ (EA), deren Mittel jedoch stark gekürzt wurden. Statt regelmäßiger Kontrollen setzen Behörden zunehmend auf Selbstüberwachung durch private Wasserversorger – mit teils gravierenden Folgen. Wiederholt kam es zu illegalen Abwassereinleitungen in Flüsse, ohne ausreichende Kontrolle oder Sanktionierung, wie der Artikel eingehend beschreibt. Besonders in England wird die Lücke in der Umweltüberwachung inzwischen von Bürgerinitiativen und NGOs aufgefüllt. „Citizen Science“-Projekte versuchen, die Überwachungslücken zu schließen.

Eine starke, unabhängige Umweltkontrolle ist entscheidend für einen wirksamen Gewässerschutz – und darf nicht wirtschaftlichen Interessen geopfert werden.

Quelle

Ford, A.T., Singer, A.C., Hammond, P. et al. Water industry strategies to manufacture doubt and deflect blame for sewage pollution in EnglandNat Water 3, 231–243 (2025). https://doi.org/10.1038/s44221-024-00370-y

Beitragsfoto: Siegfried Gendries (Bucht von Lulworth, Dorset, UK)

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