Mikroplastik auf deutschen Straßen. Was die Kanalisation beim Reifenabrieb leisten muss.

Rund 48,5 Mio. PKW-Reifen wurden im vergangenen Jahr in Deutschland „abgefahren“. Von deren Hinterlassenschaft, dem Reifenabrieb, fallen jährlich bis zu 100.000 Tonnen und mehr an. Das sind umgerechnet 1,2 Kilogramm pro BürgerIn – verursacherbezogen sind es 1,7 Kilogramm je KFZ. Rund 20 Prozent davon landen in Gewässern, wie eine aktuelle Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) belegt. Die restlichen 80 Prozent gelangen in die Boden. Was viele nicht wissen: Reifenabrieb ist beim Eintrag in die Umwelt die größte Mikroplastikfraktion. Forscher und Wirtschaft suchen daher nach Lösungen. In der Stadt ist die Kanalisation die wichtigste Barriere – aber die allein reicht nicht aus.

Außer- oder Innerorts: Auf den Ort des Abriebs kommt es an

Wenn Autofahrer Gas geben oder bremsen, denken sie an Treibhausgase – oder aber auch nicht. Reifenabriebe spielen auch beim Umweltbundesamt als „Emissionen des Verkehrs“ keine Rolle. Dabei sind eise aus dem Blickwinkel des Mikroplastik von größter Bedeutung – wichtiger noch als Kosmetika oder fasern aus Waschmaschinen. Die Fahrzeugreifen als Quelle bestehen etwa zur Hälfte aus vulkanisiertem Naturkautschuk oder synthetischem Gummi. Sie enthalten zudem eine Vielzahl von Füllmitteln und andere chemische Zusatzstoffe. Der Problemstoff Reifenabrieb bildet sich an den Laufflächen von Fahrzeugreifen, vor allem bei Beschleunigungs- und Bremsvorgängen. Dabei entstehen Partikel, die sich aus der Mischung von Gummi und Straßenabrieb bilden. Prof. Matthias Barjenbruch berichtet aus dem Forschungsprojekt RAU – Reifenabrieb in der Umwelt -, das die TU Berlin mit mehreren Praxispartnern im Verbund umgesetzt hat. „Die wichtigsten Hotspots für die Entstehung von Reifenabrieb sind Ampelanlagen, Kreisverkehre und Kurven“, beschreibt er die Entstehung der Rückstandes.

Reifenabrieb ist der bedeutendste Eintragspfad von Mikroplastik in die Umwelt (Fraunhofer UMSICHT, 2018)

Das Problem nimmt gravierende Ausmaße an. Nach Berechnungen der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BASt) und der Bundesanstalt für Straßenwesen (BfG) gelangen jährlich 60.000 bis 70.000 Tonnen Reifenabrieb in den Boden und 8.700 bis 20.000 Tonnen in Oberflächengewässer. Die Forschungsarbeiten zeigen, dass es maßgeblich darauf ankommt, wo der Reifenabrieb entsteht: Auf Straßen in Ortschaften und Städten spült Regen den Reifenabrieb über kurz oder lang in die Kanalisation. Handelt es sich um ein sogenanntes Mischwassersystem mit Kläranlage, werden mehr als 95 Prozent des Reifenabriebs zurückgehalten. An Straßen außerorts findet die Versickerung der Straßenabflüsse in der Regel über Bankett und Böschung statt. Der größte Teil des Reifenabriebs wird so in den straßennahen Boden eingetragen und von der oberen bewachsenen Bodenzone zurückgehalten. Ca. 12 bis 20 Prozent des Reifenabriebs können in Oberflächengewässern landen. Dort wird ein Teil der Partikel abgebaut beziehungsweise lagert sich im Sediment ab – die genauen Anteile sind allerdings noch nicht bestimmbar. Damit sie sedimentieren, müssen sie allerdings vorher durch das Verklumpen an Gewicht gewinnen, ansonsten ist der Reifenabrieb zu leicht, wie eine Untersuchung der Fachhochschule Südwestfalen zeigt.

Wo der Reifenabrieb landet (Q. BASt)

Was getan werden müsste, um Böden und Wasser vor Reifenabrieb zu schützen

Offensichtlich gibt es noch Wissenslücken bei der Schädlichkeit der Rückstände für die bodenbewohnende Organismen und für die Wasserorganismen. In einer Modellstudie für das Einzugsgebiet der Seine und der Schelde fanden andere Autoren heraus, dass etwa zwei Prozent der ursprünglich freigesetzten Reifenabriebmenge in das Meer transportiert wird. Für Flüsse in Deutschland liegen noch keine Modellrechnungen vor. Hier besteht also Forschungsbedarf. Auch bevor die Ergebnisse vorliegen, ist der Handlungsbedarf unübersehbar. Es muss also das Vorsorgeprinzip greifen. Es gibt bereits zahlreiche Vorschläge und Projekte die zeigen, wie Umweltbelastung reduziert werden kann. Die Forschungsinstitute und die Wasserwirtschaft geben Empfehlungen. Hier ein Auszug (ganz sicher ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

  • Wasserwirtschaftliche Maßnahmen / Regenwassermanagement: Die Optimierung der wasserwirtschaftlichen Maßnahmen steht oben, um die Einträge in Gewässer zu mindern. Hierzu zählt die Verbesserung der Reinigung von Straßenabflusswasser und die gute Unterhaltung der Behandlungsanlagen genauso wie neue Transport- und Verkehrskonzepte. Der Wasserwirtschaftsverband DWA fordert in seinem soeben veröffentlichten Politikmemorandum 2021, „die Bundesregierung sollte sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, zukünftig Regenwassermanagementpläne einzufordern, die dann auch einen Beitrag zur Reduzierung von Gewässereinträgen mit Mikroplastik z. B. in Form von Reifenabrieb leisten sollten.“
  • Kläranlagen und Filtersysteme: In den Städten könnten Filtersysteme in die Straßenabflusssysteme eingebaut werden, Pilotprojekte belegten die Wirksamkeit, allerdings gibt es hier einen hohen Wartungsaufwand. Insoweit sind Kläranlagen eine wichtige Barriere. Wo Reifenabrieb aus Mischsystemen mit dem Oberflächenwasser in die kommunalen Kläranlagen gelangen, werden mindestens 95 Prozent der Mikropartikel zurückgehalten. Dieser Wert ließe sich durch die 4. Reinigungsstufe in Kläranlagen mit Membranen noch weiter steigern. Dort wo die Kanalisation und damit die Kläranlage fehlt, Während Autobahnen und Landstraßen über Rückhaltesysteme verfügen, gelangen die Abrieb-Rückstände von allen anderen außerörtlichen Straßen in die Böden und Randstreifen. Von dort nehmen sie den verhängnisvollen Weg bis in die Flüsse und letztendlich ins Meer. Insoweit werden hier weitere Schutzmaßnahmen erforderlich.
  • Städtische Straßenreinigung: In den Städten sind die Reinigungsfahrzeuge eine wichtige Barriere vor dem Eindringen der Partikel in die Kanalisation. Das macht auch Professor Barjenbruch deutlich, „in Berlin hat die BSR mit ihren Straßenreinigungsfahrzeugen einen Großteil der Partikel aufnehmen können. Wenn diese noch mit Regenwarnsystemen gekoppelt würden, könnte der Reifenabrieb vor dem Eindringen in die Kanalisation aufgefangen werden.“ Gleichwohl räumte der Experte ein, dass diese Standby-Reserve an Fahrzeugen kaum möglich sein wird.
  • Reifenqualität: Die Reifenhersteller müssten langlebigere abriebarme Reifen entwickeln und anbieten. Sie sehen aber einen Zielkonflikt zwischen Fahrsicherheit und Umweltschutz: „Eine gute Haftung ist die Hauptfunktion des Reifens. Daher werden wir Reifenabrieb zwar in gewissem Maße optimieren, aber nicht verhindern können“, erklärte eine Sprecherin des Reifenherstellers Continental.
  • Leichtere Kraftfahrzeuge: Leichtere Fahrzeuge wäre eine auch aus der gesamten Emissionsperspektive wichtige Entwicklung. Dies würde sich auch beim Reifenabrieb positiv niederschlagen. Je leichter die Fahrzeuge, umso geringer der Abrieb. Allerdings hat laut Zulassungsstatistik das Durchschnittsgewicht der seit 2005 zugelassenen PKW um 10 Prozent zugenommen.
  • Fahrverhalten: Ein ruhiges Fahrverhalten könnte einen entscheidenden Beitrag zu weniger Reifenabrieb leisten. In diese Sichtweise stimmt auch Professor Barjenbruch ein: „Die Autofahrer können durch zurückhaltenderes Fahrverhalten das Aufkommen an Reifenabrieb beeinflussen„. Der an Kurven und an Ampeln entstehende Reifenabrieb könnte so reduziert werden.

Quellen / Weiterführendes:

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  2. Wasser-Info-Team Bayern e.V.

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