
Genehmigungsverfahren sind ein zunehmend kritischeres Nadelöhr für die Modernisierung und Sicherung der Wasserinfrastruktur. Immer häufiger beklagen wasserwirtschaftliche Unternehmen bürokratische Barrieren, die von Genehmigungsverfahren ausgehen. Die Enquete-Kommission „Wasser in Zeiten der Klimakrise“ des NRW-Landtages hat zu dem Thema „Genehmigungsverfahren“ elf Sachverständige für die anstehende Sitzung am 5. September (wird online übertragen) eingeladen und diese gebeten, die Antworten auf die gestellten Fragen im Vorfeld zu beantworten. Ich habe mir die bis zum 31. August vorliegenden Stellungnahmen einmal genauer angeschaut. (Lesezeit ca. 6 Minuten / Beitrag # 918)
Investitionen, Versorgungssicherheit und die Umsetzung von Klimaanpassungsmaßnahmen hängen oft von bürokratischen Prozessen ab, die sich über Jahre hinziehen und viele Akteure vor gleichermaßen große Herausforderungen stellen. Kaum ein Gespräch mit Vertretern der wasserwirtschaftlichen Unternehmen, in dem nicht die schleppende Bearbeitung von Genehmigungen und der stockende Ablauf der Projekte zu Klagen führt. Und dennoch sind nicht wenige Probleme der Wasserwirtschaft „hausgemacht“. Aber das ist ein anderes Thema.
Für diesen Beitrag habe ich die wichtigsten Problemdarstellungen aus den mit am 31. August bereits vorliegenden Sachverständigen-Stellungnahmen beleuchtet und gegenübergestellt. Zudem zeige ich auf, welche konkreten Reformvorschläge und Innovationsimpulse aus Sicht der Sachverständigen nötig wären, um Projekte in der Wasserver- und Abwasserentsorgung in NRW schneller, effizienter und zukunftsfest umzusetzen.
Weitgehende Einigkeit bei der Bewertung der Probleme
Problem: Genehmigungsverfahren als Engpass
Über alle Stellungnahmen hinweg wird die Dauer und Komplexität der Verfahren als wesentliches Hemmnis und Engpass für Investitionen und Anpassungen der Wasserinfrastruktur in Zeiten des Klimawandels benannt.
Tim aus der Beek vom IWW begründet den Engpass mit einer Verdopplung der Bearbeitungszeiten auf Seiten der Unternehmen und der Behörden und führt aus: „Insbesondere auf Seiten der Antragsteller ergäben sich Verzögerungen durch neue Anforderungen in Folge rechtlicher Änderungen wie „Wasserversorgungskonzepte“, „Trinkwassereinzugsgebiete-Verordnung“ u.ä..“
Problem: Personalmangel und Überkomplexität
Mangelnde Kapazitäten in den Behörden, Personalmangel und eine überbordende Regulierungs- und Vorgabenvielfalt werden als Hauptverzögerungsgründe identifiziert.
Mechthild Semrau (Emschergenossenschaft/Lippeverband) kritisiert „die einzureichenden Genehmigungsunterlagen werden immer umfangreicher. Zur eigentlichen Fachplanung der Maßnahme kommen Fachgutachten zur Hydrologie/Hydraulik, zum Bodenmanagement, eine Umweltverträglichkeitsstudie, ein Landschaftspflegerischer Begleitplan, ggf. Lärm, Verkehrsgutachten, etc. hinzu. Alle diese Gutachten müssen erarbeitet werden. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens sind diese dann von den Beteiligten zu prüfen. Dies und die ggf. erforderlichen Ergänzungen benötigen Zeit.“
Bernd Heinz, Sprecher der Geschäftsführung Wasserwerke Westfalen, beklagt, dass aus „immer feingliedrigeren Regelungen, Klagerisiken und neuen Regelungstatbeständen – die einzeln durchaus nachvollziehbar sind -, eine extrem kumulierte Belastungs- und Komplexitätswirkung entstanden“ sei. „Diese können Antragsteller und Genehmigungsbehörden nur unter starken Ressourcen- und Zeiteinsatz bewältigen. Diese mehrfachen Normenschichten sind maßgeblich für das Umsetzungsdefizit in der Wasserwirtschaft verantwortlich.“
Problem: Vielzahl beteiligter Behörden
Die hohe Anzahl an beteiligten Fachbehörden, Abstimmungsbedarf und unterschiedliche Prüfstandards werden von fast allen Sachverständigen als verzögerungsrelevant und als Ursache unnötiger Komplexität benannt.
Dr. Carsten Schmidt (RheinEnergie) präzisiert die Probleme: „Besonders hinderlich ist die Praxis, immer mehr Behörden einzubinden, ohne klare Fristen für deren Stellungnahmen zu setzen. Hinzu kommen Doppelprüfungen, die Prozesse unnötig verlängern. Insgesamt sind die Genehmigungsbehörden wenig entscheidungsfreudig und stimmen sich nicht miteinander ab, mit der Tendenz jeweils maximale Anforderungen zu stellen. Auch externe Faktoren wie Kampfmittelbeseitigung, Denkmalschutz oder Auflagen zu Bäumen und Grünflächen verzögern Projekte erheblich.“
Problem: Fehlende Standardisierung und Digitalisierung
Viele Stellungnahmen kritisieren fehlende Standardisierung von Unterlagen, Prozessen und Digitalisierungsdefizite. Sie fordern eine durchgängige, medienbruchfreie Digitalisierung und zentrale Datenhaltung.
Dr. Schmidt schlägt daher vor, „für Routinevorhaben (z.B. Leitungserneuerungen) sollte es am besten in ganz NRW ein einheitliches (elektronisches) Verfahren mit vereinheitlichten Prüfmaßstäben geben. Dort könnten Bearbeitungszeiten standardisiert und Baustandards festgelegt werden. Heute erhalten wir in Genehmigungen oft Auflagen, die ohnehin dem Stand der Technik entsprechen.“
Professor Dr. Mark Oelmann (Hochschule Ruhr-West) hält die vollständige Digitalisierung der Genehmigungsprozesse für zielführend.
Problem: Risikoaversion und fehlende Entscheidungsbereitschaft bei Behörden
Gerade bei neuen Mitarbeitenden sorgen Angst vor Fehlern und Prozessen mit Maximalsicherheit für zusätzliche Prüfungen und Nachforderungen, die unnötig Zeit kosten. Dr. Schmidt bringt es wie folgt auf den Punkt: „Die zentrale Herausforderung im wasserwirtschaftlichen Kontext ist weniger technischer Natur als psychologisch und politisch: Es herrscht eine tief verwurzelte Vorsicht in Behörden und Öffentlichkeit, die von einer einseitigen Wahrnehmung des Klimawandels geprägt ist. Dieser wird primär mit Wasserknappheit, Dürre und Hitze assoziiert – weniger mit einer Zunahme komplexer Extremwetterereignisse. Das Ergebnis ist eine Absicherungsmentalität, die auf maximale Risikovermeidung statt auf intelligentes Risikomanagement setzt. Risiken werden nicht aktiv bewertet, sondern pauschal ausgeschlossen. Dabei fehlt es nicht an Wissen, sondern an Vertrauen in die eigene Steuerungsfähigkeit.„
Zwischenfrage: Werden Naturschutzbelange bei der Beschleunigung berücksichtigt?
Eine Frage betraf die Wahrung der Naturschutzinteressen bei der Beschleunigung der Genehmigungsprozesse. Hierbei sieht der BDEW in seiner Stellungnahme das Potenzial, das Verfahren behördlicherseits zu beschleunigen und effizienter zu gestalten, „indem der Vorhabenträger frühzeitig auf die erforderlichen Unterlagen (Umfang und Detailtiefe) hingewiesen und das Verfahren stringent führt und offene Punkte frühzeitig benennt sowie ggf. Gespräche zwischen dem Vorhabenträger und Betroffenen/anderen Behörden/Naturschutzverbänden moderiert wird.“ Die Mechthild Semrau (Emschergenossenschaft/Lippeverband) fordert bei Konflikten eine „Entscheidung der Genehmigungsbehörde „Kraft Amtes“ welches Schutzgut höher gewichtet werden muss.“
Ähnlich ausgerichtet ist die Frage nach dem Umgang mit Zielkonflikten zwischen konkurrierenden Rechtsbereichen und Aufgaben der Daseinsvorsorge und der erforderlichen Abwägung. Bernd Heinz (Wasserwerke Westfalen) fordert die „Priorisierung von sicherer Trinkwasserversorgung als KRITIS-Bereich und Extremwetterschutz vor anderen Interessen – die Verhältnismäßigkeitskriterien sind neu zu gewichten. Weitgehende Verfahrenseingriffsrechte von z.B. Naturschutzverbänden bei KRITIS-Anlagen sind zurücknehmen. Unterscheidung bei temporären Natureingriffen, z.B. Bauphase Fernwasserleitung mit anschließender Naturwiederherstellung ggü. dauerhaften Veränderungsprojekten wie ein neues Wasserwerk.“ Zudem fordert Heinz, „Höhere Bagatellschwellen für Natur- und Artenschutz (zu setzen) um Projektverzögerungen zu vermeiden“ und einen Verzicht auf überobligatorische Schutzziele im Verhältnis zu den Vorgaben der EU.
Tim aus der Beek (IWW) schlägt eine Differenzierung der Verfahren nach Eingriffsintensität und entsprechende Beschleunigung von weniger Umwelt- und Gewässerschutzintensiven Verfahren vor. Das gelte insbesondere in Gebieten, in denen keine oder kaum wassersensible Schutzgebiete vorhanden sind.

Vorschläge zur Beschleunigung
Die bis zum 31. August 2025 vorliegenden Stellungnahmen bieten bereits eine zielführende Orientierung für die Beschleunigung der Genehmigungsprozesse, die ich ohne Anspruch auf Vollständigkeit wie folgt zusammenfasse:
Vorschlag: Digitale und standardisierte Verfahren einführen
ES sollten einheitliche, weitgehend digitale Plattformen und Templates für die Antragstellung und Kommunikation zwischen den Akteuren aufgebaut und verbindlich zur Nutzung vorgegeben werden. Dazu sollten zentrale Plattformen bereitgestellt werden, die prozessdurchgängig genutzt werden müssen („Once-only“-Prinzip, digitale Akte), Schnittstellen sollten der Vermeidung von Doppelarbeiten und der schnelleren Kommunikation dienen.
Vorschlag: Klare Fristen und Genehmigungsfiktion
Die Fristen sollten nicht nur formalrechtlich, sondern auch faktisch verbindlich für die behördliche Bearbeitung festgelegt werden. Eine Überschreitung der Genehmigung könnte als erteilt gelten („Genehmigungsfiktion“), was insbesondere bei wiederkehrenden, bei Routine- oder wenig umweltrelevanten Vorhaben. Dabei sollte das Vorgehen nicht zum Nachteil anderer schutzwürdiger Güter wie dem Naturschutz werden.
Reduzierung behördlicher Ansprüche bei Wasserrechtsverlängerungen
Bei der bei Verlängerung von auslaufenden oder bestehenden Wasserrechten könnten die Verfahrensdauer durch stark reduzierte behördliche Ansprüche verringert werden.
Vorschlag: Zentralisierung/Spezialisierung und zentrale Datenhaltung
Besonders komplexe oder kritische Projekte sollten in spezialisierten Kompetenzzentren bearbeitet werden. Bei versorgungsrelevanten Projekten sollte sollte die Infrastruktur i.S.v. KRITIS priorisiert werden.
Datenhaltung bietet Potenzial zur Beschleunigung. Einmalige Erhebungen von Daten reduzieren Ineffizienzen durch Doppelarbeiten und Inkonsistenzen der Datenstände. Transparente Statusanzeigen im Verfahrensprozess stärken die Vertrauensbasis und vermeiden Widersprüche.
Vorschlag: Transparente Kommunikation
Transparenz in der Kommunikation dient der Akzeptanzsteigerung bei widerspruchsgefährdeten Projekten. Vorverlagerte, strukturierte Stakeholder-Beteiligung bei frühzeitiger Einbindung von Fachbehörden und Öffentlichkeit tragen dazu bei. Die Nationale Wasserstrategie dient als Vorbild, d.h. ein moderierter Austausch zwischen den Stakeholdergruppen.
Vorschlag: Abbau von Überregulierung, Mikromanagement und Bagatellprüfungen
Prüfungs- und Nachweisumfang auf das notwendige Maß begrenzen, Routinegenehmigungen sollten vereinfacht werden, Bagatellgrenzen sollten angehoben und Nachforderungen reduziert werden. Es sollte eine Differenzierung nach Eingriffsintensität erfolgen: Vereinfachte Verfahren und Prüfungen für Standard- und Erneuerungsmaßnahmen, stärkere Anwendung von Branchenstandards und Leitfäden, weniger Einzelfallprüfungen bei Routinefällen.
Vorschlag: Behördliche Personalkapazitäten gezielt stärken
Hier bestand die größten Übereinstimmung: Mehr Personal, bessere Ausbildung, regelmäßige Weiterbildung und Fachfortbildungen, insbesondere im Bereich digitale Verwaltung und pragmatischer Entscheidungsfindung. Ausbau von Fachkompetenz, kontinuierliche Weiterbildung (auch in Digitalisierung und pragmatischer Risikoeinschätzung), flexiblere Personalsteuerung bei Engpässen.

Mein Blick auf dieses Thema
Mit diesen Ansätzen sollten die Behörden die Unternehmen der Wasserwirtschaft in NRW bei der Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels besser und schneller unterstützen können – ohne auf Umwelt- oder Rechtssicherheit zu verzichten.
Meines Erachtens drängt die Zeit. Der finale Bericht der Enquetekommission sollte daher nicht abgewartet werden. Die Dringlichkeit des Handelns bei der Verwaltungsbeschleunigung und Effizienzsteigerung der Verfahren ist sehr deutlich geworden. Die Landespolitik sollte die Hinweise der Sachverständigen zum Anlass nehmen, möglichst umgehend zu handeln.
Es ist übrigens bemerkenswert, dass zumindest bis heute, dem 2. September, keine Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände, dem Städte- und Gemeindebund NRW, dem Deutschen Städtetag NRW und dem Landkreistag NRW vorliegen. Das kann sich ja bis zum Freitag noch ändern.
Aus den Umweltverbänden ist zu hören, dass die vermeintlichen Verzögerungen durch Widersprüche nicht den Einwendungen geschuldet sind, sondern nicht selten auch den Ineffizienzen auf Seiten der Behörden, wodurch die Bearbeitungszeiten und Fristen für die Stakeholdergruppen unnötig verkürzt und die Verfahrensverzögerungen diesen angelastet werden. Leider gibt es dazu (noch) keine belastbaren Untersuchungen, weshalb diese Aussage nur auf der anekdotischen Evidenz fusst. Vielleicht ringt sich ja die Kommission dazu durch, diesen Sachverhalt einmal untersuchen zu lassen.
Ungeachtet der offenen Kritik der Sachverständigen und der Klagen aus den Behörden, ist auf Seiten der Landesregierung eine starke Zurückhaltung bei der Neubesetzung frei werdender Stellen festzustellen. So hört man hinter vorgehaltener Hand sogar von Besetzungssperren. Das läuft in die falsche Richtung.
Auch profiliert sich die Spitze des Umweltministeriums in letzter Zeit nicht mit Transparenz. Viel zu oft hört man aus verschiedenen Kreisen kritische Stimmen über die Offenheit der Behördenspitze. Damit geht wichtiges Vertrauen in die Zuverlässigkeit des politischen Handelns verloren. Die Verschlankung und Beschleunigung von behördlichen Prozessen in der Wasserwirtschaft wird nur dann ohne negative Folgen bleiben, wenn keine der beteiligten Gruppen eine Benachteiligung der von ihnen vertretenen Interessen fürchten muss.
Quelle
- Tagesordnung und eingeladene Sachverständige https://www.landtag.nrw.de/home/der-landtag/tagesordnungen/WP18/1300/E18-1389.html
- Link zum Live-Video
- „Wasser in Zeiten der Klimakrise“- Interview mit der Vorsitzenden der neuen NRW-Enquete-Kommission Astrid Vogelheim, LebensraumWasser, 2.4.2024
Beitragsfoto: Gino Crescoli / Pixabay
Hinterlasse jetzt einen Kommentar