
Der afghanischen Hauptstadt Kabul mangelt es wahrlich nicht an existenziellen Bedrohungen. Das jetzt drohende Ausbleiben des Wassers dürfte allerdings eine neue Form der Eskalation darstellen. Während für viele Menschen in der afghanischen Hauptstadt das Leben unerträglich wird, können andere mit Macht und Geld sogar noch daran verdienen: mit dem Verkauf von Wasser. (Lesezeit ca. 4 Minuten/ Beitrag # 911)
Eine Studie der Mercy Corps, einer internationalen humanitären Organisation, mit dem Titel „Kabul’s Water Crisis: An Inflection Point for Action“ zeigt wie nahe die afghanische Hauptstadt dem Wasserkollaps ist. Und warum jetzt gehandelt werden muss – schnell und gemeinsam.
Ich habe die geschäftlichen Hintergründe und Interessen im Zusammenhang mit dem drohenden Kollaps recherchiert und den Bericht über die Studie erweitert. Die Einsichten sind erschreckend und sicher kein Einzelfall. Wasser hat Knappheitspreise – nur können die Ärmsten diese nicht bezahlen.
Wasser aus den Bergen schwindet
Kabul liegt in einem Tal, weit entfernt von großen Seen oder Flüssen. Der größte Teil des Trinkwassers kommt aus dem Grundwasser – gespeist durch Schmelzwasser aus den Bergen des Hindukush. Doch was über Jahrhunderte die lebensnotwendige Quelle von Stadt und Region war, verliert jetzt ihren Zufluss.
Die Gründe sind vielfältig: Klimawandel, Bevölkerungswachstum, kaputte Infrastruktur – aber der Kern des Problems ist simpel: Kabul pumpt deutlich mehr Wasser aus dem Boden, als nachkommt. Dahinter steht nicht nur der Überlebenswille von Menschen, sondern auch das wirtschaftliche Interesse einiger krimineller Akteure.
Die Einwohnerzahl Kabuls ist seit 2001 von etwa einer Million auf über sechs Millionen gestiegen, wodurch der Wasserbedarf massiv gestiegen ist. Mehr als 80 % des Wassers in Afghanistan stammen aus der Schneeschmelze, doch der Rückgang der Schneedecke stellt eine große Bedrohung für die Wasserressourcen des Landes dar. Etwa die Hälfte des Rückganges des Wasserdargebots erklärt sich damit, ein Großteil des restlichen Rückgangs ist auf nicht nachhaltige Grundwasserentnahmepraktiken zurückzuführen (Quelle siehe 4.).
- Der Grundwasserspiegel ist in den letzten 10 Jahren um bis zu 30 Meter gesunken.
- Jedes Jahr werden 44 Millionen Kubikmeter zu viel entnommen.
- Fast die Hälfte aller Bohrbrunnen ist schon versiegt.
- Wenn sich nichts ändert, könnten bis 2030 drei Millionen Menschen ihre Heimatstadt verlassen müssen – wegen Wassermangel.
- Das dürfte Migrantenströme in Gang setzen, die sich auch nach Europa bewegen könnten.

Bohrbrunnen boomen – und trocknen Kabul aus
Die Wasserknappheit in der Stadt bedroht das Leben der Bevölkerung. Seit Jahren graben die Menschen Brunnen – sie werden immer moderner und tiefer. Früher mit Handpumpen, dann mit Dieselgeneratoren, jetzt mit Solarpumpen. Das klingt erstmal gut: günstig, unabhängig, klimafreundlich. Nach aktuellen Schätzungen existieren allein in Kabul rund 120.000 unbeaufsichtigte und nicht genehmigte Brunnen.
Aber es gibt ein Problem: Ohne Regulierung wird gnadenlos übernutzt. Manche Haushalte pumpen 24/7 – nicht weil sie das Wasser brauchen, sondern weil sie es können. Und während einige Familien sauberes Wasser in Tanks lagern, kippt es bei anderen in alten Kanistern in der Sonne um.
Wasser aus Tanklastern: Rettung oder das Problem?
In vielen Stadtteilen Kabuls ist der Wasserhahn längst versiegt – und früher sprudelnde Brunnen sind mittlerweile leer gepumpt oder verunreinigt. Was bleibt, sind private Wassertanker: riesige Laster, die durch staubige Straßen fahren und Wasser direkt an die Haushalte liefern. Für viele Menschen sind sie zur letzten Rettung geworden. Doch was als Notlösung begann, hat sich zu einem Problem mit Nebenwirkungen entwickelt.

Für Haushalte ohne Brunnen oder Anschluss an das städtische Netz sind Tankwagen die einzige Wasserquelle. Doch der Preis ist hoch – buchstäblich:
- Knappheit treibt die Preise: Wasser aus Tankwagen kostet bis zu 12-mal mehr als zu früheren Zeiten.
- Anteil der Wasserkosten steigt: Viele Familien zahlen heute 15–30 Prozent ihres Einkommens allein für Wasser.
- Wasser wird zur Überlebensfrage: In manchen Vierteln sind die Kosten für Wasser bereits höher als die für Lebensmittel.
Viele der Tankwasser-Anbieter agieren ohne staatliche Kontrolle, das Wasser stammt oft aus illegalen oder übernutzten Brunnen. Auch die Qualität wird nicht überprüft – viele Menschen trinken verunreinigtes Wasser, ohne es zu wissen. Häufig stammen die Hintermänner des Geschäfts mit dem Wasser aus einflussreichen Clans.
Einem Bericht von Al Jazeera zufolge werden die ohnehin knappen Wasserressourcen Kabuls von mehr als 500 Getränke- und Mineralwasserunternehmen in der Hauptstadt ausgebeutet, die alle das Grundwasser der Stadt nutzen. Allein der internationale Getränkehersteller Alokozay, so wird geschätzt, fördert jährlich rund eine Milliarde Liter Wasser – oder 2.5 Millionen Liter pro Tag aus den Brunnen der Hauptstadt (Quelle siehe 5.).
Wer Geld hat, bekommt Wasser. Wer nicht zahlen kann, bleibt auf dem Trockenen. Besonders hart trifft es ärmste Familien, ältere Menschen und Geflüchtete. Die Lage sorgt zunehmend für Spannungen in der Nachbarschaft. Trinkwasser wird zum Luxus – und zu einem wachsenden Auslöser für Konflikte zwischen Nachbarn.
Hilfsgelder eingefroren, Projekte gestoppt
Die politische Lage tut ihr Übriges. Seit der Machtübernahme durch die Taliban 2021 sind Milliarden an Hilfsgeldern blockiert. Wichtige Projekte liegen auf Eis, Organisationen ziehen sich zurück. Staudämme werden nicht gebaut, die Wassernetze nicht saniert und mit den Nachbarn insbesondere Indien gibt es Streit um das Wasser.
Dramatisch wirkt sich auch der Rückzug der USAID nach der Entscheidung von Präsident Trump aus, Hilfsgelder einzufrieren.Viele kleinere NGOs versuchen zwar, mit wenig Mitteln viel zu bewirken – aber ohne Koordination und Finanzierung bleibt der große Wurf aus (Quelle siehe 4.).
Was müsste passieren – und wer könnte helfen?
Die Autoren der Studie „Kabul’s Water Crisis: An Inflection Point for Action“ fordern konsequentes Handeln und schnelle, koordinierte Maßnahmen:
- Kurzfristig: Wasserfilter, Aufklärung, kleinere dezentrale Wassernetze – das alles funktioniert schon, braucht aber Skalierung.
- Mittelfristig: Die Stadt braucht ein zentrales Wassersystem, das zuverlässig funktioniert – und Regeln, die auch durchgesetzt werden.
- Langfristig: Großprojekte wie der Shahtoot-Damm oder die Panjshir-Pipeline könnten Millionen Menschen versorgen – wenn sie denn endlich gebaut würden.
Solange diese Probleme nicht angegangen werden, sprudeln die Geschäfte der Wasserhändler in der Hauptstadt Kabul ungehindert weiter. Es gibt Stimmen, die meinen, dass diese Situation gezielt herbeigeführt wird, denn solange die zentrale Wasserversorgung nicht funktioniert, die Brunnen übernutzt werden, steigen die Preise für das Wasser. Cui bono?…
Quellen
- Kabul’s Water Crisis: An Inflection Point for Action
- Afghanistan: The alarming effects of climate change, UN
- Assessing long-term water storage dynamics in Afghanistan: An integrated approach using machine learning, hydrological models, and remote sensing, Azizi, A.H., Akhtar, F., Tischbein, B., Borgemeister, C., and Wang, Q. (2024), Journal of Environmental Management, 370, 122901
- Scheitert mit Trumps Stopp der US-Auslandshilfen die Wasserdiplomatie im Nahen Osten? Ein Blick nach Jordanien, LebensraumWasser, 17/03/2025
- ‘End is near’: Will Kabul become first big city without water by 2030?, Al Jazeerah, 07.2025
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