
Hilflos sind viele Länder des globalen Südens den wasserbezogenen Auswirkungen des Klimawandels ausgeliefert. Die Ursachen liegen in ihrer geografischen Lage und der Vulnerabilität ihrer Infrastrukturen, aber auch in begrenzten Ressourcen und Kompetenzen, um die Menschen zu schützen und zu unterstützen, sich den veränderten Gegebenheiten anzupassen. Um Ihre Lebensbedingungen abzusichern brauchen sie wissenschaftliche Forschung und natürlich finanzielle Mittel. Während das Augenmerk der Entwicklungshilfe vorrangig auf die finanzielle Unterstützung ausgerichtet ist, ist es um die Forschung weniger gut bestellt. Das zeigt eine aktuelle Studie. Demzufolge sind Forschungsbemühungen zu Hochwasser, Dürren und Erdrutschen global nicht gerecht verteilt. Zwar nimmt die Forschung in Gebieten, wo diese Katastrophen auftreten, global zu. Dennoch müssen in den am wenigsten entwickelten Ländern ca. 100 Mal so viele Personen von wasserbezogenen Naturgefahren betroffen sein, um ein vergleichbares Forschungsinteresse zu generieren wie in entwickelten Ländern. Das belegt ein im Journal „Earth’s Future“ veröffentlichter Artikel mit dem Titel „Wealth over Woe: global biases in hydro-hazard research“ von Forschenden der Universität Potsdam, IBM Research und GFZ, der auf diese Klima-Ungleichheit aufmerksam macht.
Wasserbezogene Naturgefahren wie Überschwemmungen, Dürren und Erdrutsche gefährden jedes Jahr Millionen von Menschen. Weltweit werden Wege erforscht, um ihre negativen Auswirkungen auf die lokalen Gesellschaften zu reduzieren. „Um beurteilen zu können, wie zielführend diese Forschungsanstrengungen sind, benötigen wir einen globalen Überblick darüber, wo diese Gefahren untersucht werden und ob betroffene Regionen berücksichtigt werden“, sagt Lina Stein, PhD, Erstautorin und Wissenschaftlerin an der Alexander von Humboldt-Professur für „Analyse hydrologischer Systeme“ an der Universität Potsdam.
Forschungsergebnisse für wohlhabendere Länder überwiegen
Eine globale Karte der Forschungsaktivitäten zu Hochwasser, Dürren und Erdrutschen zeigt, ob die veröffentlichten Forschungsergebnisse gleichmäßig verteilt sind. Dazu haben die Forschenden den zukunftsträchtigen methodischen Ansatz „text-as-data“ verwendet. In Kooperation mit IBM Research wurden rund 300.000 wissenschaftliche Kurzfassungen aufgegriffen und analysiert, um aussagekräftige Informationen und Muster zu extrahieren. „Wir stellten fest, dass in Regionen, in denen viele Menschen leben, in wohlhabenden Regionen und dort, wo sich in der Vergangenheit Katastrophen ereignet haben, mehr Forschung betrieben wird“, fasst Lina Stein zusammen. Obwohl in Ländern mit niedrigem Einkommen wesentlich mehr Menschen von Naturkatastrophen betroffen sind, gibt es deutlich mehr Forschungsergebnisse aus den wohlhabenden Ländern.
Die als „open access“ veröffentlichte Studie macht zum einen auf diese Ungleichheit nach dem Motto „Reichtum vor Notlage“ aufmerksam und schlägt zum anderen direkt vor, in welchen Gebieten mehr Forschungsgelder und -aktivitäten nötig sind, um eine faire Wissensverteilung anzustreben. „Wir müssen diese Verzerrungen in der Wissensbasis dringend abbauen und eine gerechte Verteilung der Forschung erreichen – und zwar durch eine gezielte Erforschung von Wassergefahren in stark betroffenen und zu wenig untersuchten Regionen“, fordert die Hydrologin. „Nur durch gerecht verteiltes, regionales Wissen, lassen sich zukünftige Katastrophen verhindern.“
Forschungsförderung zur Bewältigung der Klima-Ungerechtigkeit
Die Feststellungen zur Klima-Ungerechtigkeit führten für mich zwangsläufig zu der Frage, welche Institutionen die benötigten Forschungsaktivitäten in den benachteiligten Regionen anstossen und finanzieren müssen. Lina Stein erklärte mir in einem Telefonat, dass aus ihrer Sicht die Forschungsinstitutionen und die Politik, allem voran das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in einer idealen Position sind, um maßgeblich die Ausrichtung der Forschung zu wasserbezogenen Auswirkungen des Klimawandels in benachteiligten Ländern und deren Finanzierung zu fördern. Es helfe auch nicht nur, so Stein, Forschungsergebnisse zum Hochwasserschutz aus den Industriestaaten zu übertragen. Die Forschung müsse auch u.a. die besonderen kulturellen und existenziellen Bedingungen in den benachteiligten Regionen berücksichtigen. Deshalb müssten die Forschungsprojekte vor Ort ansetzen. Nur so sei Klimagerechtigkeit bei wasserbezogenen Auswirkungen zu erreichen.
Das BMZ hat diesen Aspekt eigentlich schon auf der Agenda. Denn auf der BMZ-Website „Folgen des Klimawandels“ ist die Feststellung zu finden, „Der Klimawandel gefährdet somit bereits erreichte entwicklungspolitische Erfolge der Vergangenheit und Zukunftsperspektiven.“ Dabei werden wasserbezogene Auswirkungen wie „ausbleibende Niederschläge“, „steigende Meeresspiegel“ und „Überschwemmungen“ als ursächlich bezeichnet. „Besonders den ärmsten Ländern fehlen die finanziellen, institutionellen und technischen Mittel, um klimapolitisch gegensteuern zu können. Als Hauptverursacher des Klimawandels stehen die Industriestaaten in der Verantwortung, mit gutem Beispiel voranzugehen und zu mehr Klimagerechtigkeit beizutragen.“ Angesichts der Verantwortung, die die Industrienationen bei der Verursachung des Klimawandels tragen, sollte die Erwartung nicht unberechtigt sein, dass sich die vom BMZ richtigerweise adressierte Klimagerechtigkeit auch in einer Intensivierung von Forschungsaktivitäten in den betroffenen Regionen niederschlägt. Die Globale Karte der Forschungsaktivitäten zeigt in dem Quadranten „Impact high / Research low“ wo der Bedarf besonders hoch ist und mag bei der lokalen Ausrichtung Hilfestellung bieten.

Quelle / Weiterführendes
- Wealth over Woe: global biases in hydro-hazard research, Earth’s Future, Lina Stein, S. Karthik Mukkavilli, Birgit M. Pfitzmann, Peter W. J. Staar, Ugur Ozturk, Cesar Berrospi, Thomas Brunschwiler, Thorsten Wagener, 2024
- HINTERGRUND Folgen des Klimawandels, BMZ (Abruf 9.10.2024)
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