Gebirgs-Tsunamis: Zerstörungen durch Gletscherseen-Ausbrüche häufen sich

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15 Millionen Menschen sind weltweit der Gefahr von Gletschersee-Ausbrüchen ausgesetzt. Die ausgelösten Geröll-Lawinen könnten ganze Orte unter sich begraben. Der Beitrag beschreibt, wie Frühwarnsysteme, Prognosen und Sensibilisierungsmaßnahmen in den bedrohten Regionen Menschenleben retten können.

Es ist schwierig, Gletscherseen-Ausbrüche vorherzusagen

Ein Drittel der Eismasse in den Gletschern der asiatischen Hochgebirgsregionen wird durch den Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts abgeschmolzen sein. Auch kleinere Gletscher in den europäischen Alpen, Skandinavien und British Columbia könnten bereits bis zum Ende des 21. Jahrhunderts größtenteils eisfrei werden. Das Schmelzwasser aus den Gletschern fließt aber nicht langsam ab, es staut sich zumeist in Gletscherseen gemeinsam mit Niederschlägen auf. Im Laufe der Zeit oder durch Störungen können diese instabil werden und aufbrechen. Diese Dammbrüche setzen das aufgestaute Wasser frei, das dann in Gletschersee-Ausbrüchen in katastrophalen Überschwemmungen münden kann.

Nicht nur allein die Wassermassen stellen eine große Bedrohung dar. Wenn diese sich in Bewegung setzen, reißen sie Steine, Geröll und Eisbrocken mit sich. Die Folgen sind verheerende Schäden an Gebäuden, Infrastruktur und landwirtschaftlichen Flächen, aber auch Verletzte und Tote. Schon Erdbeben wie in Marokko im Jahr 2023 oder in der Türkei legen die Schwachstellen bei Frühwarnsystemen offen. Ähnlich wie bei den Erdbeben, ist es schwierig, die Gletscherseen-Ausbrüche vorherzusagen.

Rhône Gletscher (Foto: Sabrina Eickhoff Pixabay)

15 Millionen Menschen sind weltweit der Gefahr möglicher Gletschersee-Ausbrüche ausgesetzt

Durch den Klimawandel hat die Zahl der Gletscherseen seit 1990 rapide zugenommen. Am Ende von Gletscherzungen bilden sich häufig Seen, die mit Schmelzwasser gefüllt sind. Mit den steigenden Temperaturen im Zuge des Klimawandels nimmt die Anzahl dieser Gewässer zu. Jetzt haben Wissenschaftler erstmals die Veränderung der Gletscherseen global abgeschätzt, wie sie in der Fachzeitschrift „Nature Climate Change” berichten. Den Untersuchungen zufolge hat im Zeitraum zwischen 1990 und 2018 die Zahl der Gletscherseen weltweit um 53 Prozent zugenommen.

Auch die Zahl der Menschen, die in der Nähe solcher Seen leben, ist deutlich angestiegen. Ein Team der Newcastle University in Großbritannien hat in einer Studie erhoben, wie hoch das Risiko für Gletschersee-Sturzfluten weltweit ist. Die Forschenden untersuchten 1.089 Gletscherseebecken weltweit auf ihr Bedrohungspotenzial. Die im Umkreis von 50 Kilometern um die Gletscher-Seen lebenden Menschen wurde ebenso erfasst, wie das Entwicklungsniveau und weitere gesellschaftliche Faktoren wie die bedrohte Wirtschaftskraft. Ziel war es, zu analysieren wie gut potenziell betroffenen Regionen auf einen Gletschersee-Ausbruch reagieren könnten.

15 Millionen Menschen sind demzufolge weltweit der Gefahr möglicher Gletschersee-Ausbrüche ausgesetzt. Am stärksten betroffene Regionen liegen in Asien und in den Anden. Aber auch in Europa, in den Alpen, hat das Forschungsteam rund eine Million gefährdete Menschen in Italien, der Schweiz, Frankreich und Österreich festgestellt. Dank des hohen Entwicklungsniveaus der Alpenstaaten wird die soziale Verwundbarkeit gegenüber Gletschersee-Ausbrüchen glacial lake outburst floodGLOF) also vergleichsweise gering eingeschätzt. „Die Hauptfaktoren, die die potenzielle Gefahr eines GLOF-Ereignisses bestimmen, sind die Anzahl der Menschen, ihre Nähe zu einem Gletschersee und vor allem ihre Fähigkeit, mit einem Hochwasser fertig zu werden“, resümiert das Team. Die Anzahl der Seen oder ihre Wachstumsgeschwindigkeit spielen demgegenüber eine weniger bedeutende Rolle.

Rhône Gletscher (Foto: Pixabay)

Dringender Bedarf an Frühwarnsystemen für Gletschersee-Ausbrüche

Angesichts der zunehmenden Bedrohungen empfehlen die Forschenden den Aufbau von Schutzmaßnahmen. Dazu zählen Stilllegungen von Staudämmen im Hochgebirge, künstliche Entwässerungen der Seen und den Bau von Überwachungs- und Frühwarnsystemen. Solche Frühwarnsysteme könnten eine rechtzeitige Evakuierung in der bedrohten Region weit flussabwärts ermöglichen. In den Anden leben häufig die Menschen nur 5 bis 10 Kilometer von den Gletscherseen entfernt. Diese benötigen genug Zeit, um sich vor dem Eintreffen der Wasser- und Geröll-Flut in Sicherheit zu bringen.

Ein Beispiel für ein Frühwarnsystem findet man im International Journal of Disaster Risk Reduction. Dort beschreiben Autoren einer Studie die Installation eines Systems in den peruanischen Anden. Frühere Ausbrüche des peruanischen Gletschersee mit dem Namen „513“ führten dort zur Einführung eines Frühwarnsystems, um künftige Katastrophen zu verhindern. Es ist das weltweit erste Eissee-Frühwarnsystem mit einem integrierten Service- und Kommunikationssystem. Schulungen der Bevölkerung zum Risikowissen mit der Gefahren- und Risikobewertung und Evakuierungsübungen werden kombiniert mit Überwachungs-, Warndienst- und Kommunikationssystemen für die Warnsignale.

Frühwarnsystem bei Cirenmaco. Das Projekt umfasst insgesamt neun verschiedene Dienste: (a) die Überwachung des Sees und seines Gletschers, (b) die Überwachung der Umwelt des Unterlaufs, (c) die Überwachung des Wasserstands des Gletschersees, (d) die Überwachung des Wasserstands des Unterlaufs und Flusses und (e) die dynamische Überwachung des Moränendamms (Foto: Weicai Wang e.a.).

Es kommt auf die zielgerichtete Kommunikation der Warnungen an

Allerdings müssen sich diese Frühwarnsysteme auf umfangreiche Prognose-Instrumentarien stützen und benötigen ein aktives Kommunikationssystem. Der Erfolg hängt auch davon ab, dass die Menschen die an sie gerichteten Warnhinweise verstehen und frühzeitig genug erhalten. Nicht selten sind es nur wenige Stunden, bis die Geröllmassen auf die bewohnten Regionen treffen. In Hochgebirgslagen wie im Himalaya oder in den Anden sind die Zeiträume für Warnungen und Evakuierung sogar noch weniger. Häufig ist das zu wenig Zeit, um Leben und Hab und Gut zu retten. Daher sind Langzeit-Prognosen für die Einschätzung der Risikolagen von großer Bedeutung.

Wenn der Klimawandel die Rückgänge der Gletscher beschleunigen wird, sind die beschriebenen Systeme für das Überleben der Menschen unterhalb der sich bildenden Gletscher-Seen unabdingbar. Dabei wird es nicht nur um Daten und Technik gehen, die Kommunikation und das Verständnis auf Seiten der Bevölkerung in der bedrohten Region kann Menschenleben retten.

Quellen:

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