„Bürgerwarnsystem“ für Unwetter – 25square kündigt straßengenau 60 Minuten vorher an

Gastbeitrag von Tobias Kestin und Henning Oppel

Nach den katastrophalen Folgen der Starkregenereignisse der vergangenen Tagen werden präzise Warnsysteme immer wichtiger. Stellen Sie sich vor, von Unwettern betroffene Bürger hätten 60 Minuten Zeit, ihre Kostbarkeiten aus den Kellern zu retten. Noch ist das nicht möglich. Das Bochumer Forschungsprojekt “25square” will das ändern. Mit einem günstigen, engmaschigen und KI-basierten Sensornetzwerk, das die Stärke und die präzise Zugrichtung von Starkregenzellen bestimmt.

Unwettervorhersagen sind derzeit ungenau: Bürger erhalten lediglich eine Warnung, die für ein paar Stunden oder den ganzen Tag in einer ganzen Stadt gelten. Das im Rahmen des BMVI-Programms mFUND geförderte Forschungsprojekt “25square” will diese “Es kann passieren”-Vorhersage durch eine straßengenaue Warnung ersetzen. “Bisher können wir alle nur auf Starkregen reagieren, wir wollen den Menschen mehr Zeit verschaffen”, sagt Benjamin Mewes vom Projektmitglied Okeanos Consulting. 60 Minuten, um das Wichtigste aus den Kellern zu retten, 60 Minuten, um U-Bahnhöfe zu räumen und andere kritische Infrastruktur zu sichern.

Das Problem: Starkregen wirkt sich schon auf wenigen Quadratmetern äußerst unterschiedlich aus

Studien aus New York haben gezeigt, dass sich Starkregen schon auf wenigen Quadratmetern sehr unterschiedlich auswirken kann. Während es an einer Stelle zum Jahrhundertunwetter kommt, kann es nebenan fast trocken bleiben. Erste Messungen des Projektteams haben die Beobachtungen in New York Anfang Juli in Bochum untermauert: Während die 25square-Regensensoren hochgerechnet 105 Liter Regen pro Quadratmeter gemessen haben, zeigen andere öffentliche Daten lediglich 60 Liter/qm. Die Lösung: Starkregen muss an vielen Stellen gleichzeitig gemessen werden – das ist derzeit noch nicht möglich, da vorhandene Technik zu teuer ist. 25square will das ändern.

Engmaschiges Sensornetzwerk sammelt alle 500 Meter Regendaten

“25square” ist ein engmaschiges Sensornetzwerk, das in der Lage ist, Daten zu sammeln und gebündelt zur Verfügung zu stellen. Herzstück ist ein Berechnungsmodell des Projektpartners Okeanos Consulting. Augen und Ohren sind die Sensoren, die Tabea Röthemeyer, Projektleiterin bei Auto Intern, mit ihrem Team gebaut hat. “Wichtig ist uns, dass unsere Regensensoren günstig zu produzieren, leicht zu installieren und robust genug für den Außeneinsatz sind”, sagt Tabea Röthemeyer. Der Sensor besteht daher nur aus drei Komponenten: Einem Messaufnehmer, einer Digitalisierungseinheit und dem Datenübertragungsmodul, das die Daten mit Zeitstempel in die Cloud sendet.

“Bisher können wir alle nur auf Starkregen reagieren, wir wollen den Menschen mehr Zeit verschaffen”

Benjamin Mewes, Okeanos Consulting

Das Herzstück ist ein Prellteller, der live aufzeichnet, wo wie viel Regen vom Himmel fällt. Im ersten Schritt lässt sich so die Regenmenge bestimmen, im Verbund mit weiteren Sensoren lässt sich die Flugrichtung ebenso bestimmen wie die Information, ob es stärker oder schwächer regnet. „Damit können wir kurzfristige Starkregen-Prognosen ermöglichen“, sagt Tabea Röthemeyer.

Die Software sammelt die Regendaten zentral und wertet diese durch eine Künstliche Intelligenz aus, die derzeit in Bochum trainiert wird. Durch das engmaschige Sensornetz kann die Software den präzisen Verlauf und die Intensität einer Regenwolke analysieren und vorhersagen – so entsteht ein Flugplan für Regenwolken. In Kombination mit der Stadtkarte kann das Forschungsteam auch die Bebauung der Stadt in die Berechnung einbeziehen. Das Team hofft auf Antworten auf Fragen wie “Beeinflussen versiegelte Flächen wie Parkplätze oder Gebäude die Regenintensität?”, “Wo regnen Wolken eher ab?” und viele mehr. Neben der Projektstadt Bochum, in der bereits die ersten Sensoren stehen, haben weitere Städte wie Bielefeld und Frankfurt (Main) Interesse an dem System bekundet. Der Plan des 25square-Teams ist zudem, das gesamte Ruhrgebiet bis 2023 flächendeckend mit Sensoren auszustatten.

25square Team – Okeanos – AI-Gruppe (Q: AI)

Feuerwehr erhofft sich effizientere Einsatzplanung durch 25square, Kommunen eine bessere Steuerung der Abwassersysteme

Neben Bürgern, die rechtzeitig Fenster schließen und ihr Hab und Gut retten können, erhoffen sich Städte, Feuerwehren und Stadtwerke große Vorteile durch das neuartige Messsystem. “Wenn sich eine Starkregenzelle über einer U-Bahn-Station oder einer Tiefgarage ankündigt, kann diese rechtzeitig und ohne Panik evakuiert werden”, beschreibt Benjamin Mewes einen Einsatzzweck.

Die Feuerwehren, die durch die jüngsten Unwettereinsätze an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit gedrängt wurden, können mit 25square Einsätze effizienter planen. “Im Idealfall steht die Feuerwehr schon am Unglücksort bereit”, sagt Benjamin Mewes. Die Einsatzteams können dann Sandsack-Dämme dort bauen, wo sie garantiert benötigt werden. In Bochum ist die Feuerwehr bereits überzeugt und stellt die Wachen im Stadtgebiet als Sensoren-Standort zur Verfügung.

Für die Stadtentwässerung bedeutet 25square eine Optimierung des Wasserablaufs. “Wasser sollte am besten weg vom Regenverlauf gepumpt werden”, sagt Stephan Bökelmann von Auto Intern. Das geschieht heute schon, jedoch oft nicht datenbasiert. Wenn die Techniker den genauen Verlauf einer Starkregenzelle kennen, kennen sie die optimalen Pumpeneinstellungen, um die Regenmassen aus dem Ort zu bekommen.

Daten stehen Bürgern kostenlos zur Verfügung

Von den Regendaten des vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur geförderten Projektes sollen nicht nur Behörden und Institutionen profitieren, sondern auch die Bürger. “Wir planen, die Ergebnisse als Open Data zu veröffentlichen”, sagt Tabea Röthemeyer. Denkbar sei auch, die Sensoren im Rahmen des Open-Hardware-Ansatzes zur Verfügung zu stellen. Dann kann sich jeder Bürger seinen eigenen 25square-Regensensoren in den Garten stellen und so dazu beitragen, die Sensorendichte in einer Stadt noch weiter zu erhöhen.

Der nächste Schritt: Hageldaten soll Landwirte unterstützen

Der Einsatz von “25square” beschränkt sich nicht nur auf (Stark-)Regen, sondern kann erweitert werden. Im nächsten Schritt sollen die Sensoren auch Hagel erfassen können. Von diesen Informationen sollen vor allen Dingen Landwirte und Versicherungen profitieren, sagt Henning Oppel von Okeanos Consulting: “Das kann wichtige Erkenntnisse bei Versicherungsschäden liefern.”

Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ermöglicht 25square mit dem Fördertopf “mFUND – Das Startkapital für die Mobilität 4.0”

25square wird ermöglicht durch das Förderprogramm “mFUND – Das Startkapital für die Mobilität 4.0”. Das Programm des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) unterstützt die Entwicklung digitaler Geschäftsideen. die auf Mobilitäts-, Geo- und Wetterdaten basiert. Das Ministerium zählt unter anderem neue Navigationsdienste, innovative Sharing-Plattformen, intelligente Reiseplaner und hochpräzise Wetter-Apps zu den förderwürdigen Projekten.

Über die 25square-Partner:

Okeanos Consulting

Okeanos Consulting ist bei 25square für die Entwicklung der auswertenden Software verantwortlich und trainiert die Künstliche Intelligenz, die die Vorhersage ermöglicht. Okeanos ist eine junge Ausgründung aus der Ruhr-Universität Bochum, die sich auf die Digitalisierung der Wasserwirtschaft spezialisiert hat. Die Gründer, Dr. Henning Oppel und Dr. Benjamin Mewes, haben sich in der Wissenschaft mit innovativen Publikationen in der Wasserwirtschaft und der Hydrologie international profiliert. Mit ihren Arbeiten bringt Okeanos Techniken des maschinellen Lernens, des Data-Minings und der Data Fusion in den Wassersektor und löst so praktische Probleme in der Versorgung und Aufbereitung von Wasser.

Auto-Intern

Auto-Intern entwickelt die Sensoren und die aufnehmenden Software bei 25square. Das Bochumer Unternehmen entwickelt und produziert bereits seit über 20 Jahren Diagnose-Elektronik. Unter der Leitung von Odin Holmes und Stephan Bökelmann hat sich das Unternehmen in den vergangenen sechs Jahren von einem reinen Kfz-Diagnoseunternehmen hin zu einem Dienstleister für Auftragsforschung und – Entwicklung gewandelt. Im Zentrum der Forschungs- und Entwicklungsarbeit der Auto-Intern steht die Anbindung von Messgeräten an Online-Datenbank-Infrastrukturen (Clouds), sowie die Auswahl geeigneter Messumformer zur Digitalisierung mittels FPGA und Mikrocontrollerschaltungen.

Bochumer Institut für Technologie BO-I-T

Das Bochumer Institut für Technologie stellt die Serverinfrastruktur zur Datenannahme und Bereitstellung zur Verfügung. BO-I-T wurde gemeinsam von Unternehmen, Hochschulen und der Stadt Bochum gegründet, um wissenschaftliche Erkenntnisse der Region vermehrt für wirtschaftliche Wertschöpfung zu nutzen. In einem interdisziplinären Team werden die passenden Partner zusammengebracht, Forschungs- und Entwicklungsprojekte initiiert und konkret umgesetzt. Somit arbeitet das Institut an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft und moderiert zwischen diesen Bereichen. Übergeordnetes Ziel ist dabei, die vielfältigen Potenziale für technologische Entwicklungen der Region Ruhrgebiet zu nutzen und die Innovationsfähigkeit zu steigern.

Kontakt

Tobias Kestin – Executive Director PR, Auto Intern Geschäftsführer, Tel. 0176 / 617 83 244, tobias@gruppe.ai
Henning Oppel – Okeanos Consulting, Tel. 0234 / 966 41 24 7 henning.oppel@okeanos.ai


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