Anhörung zur Rettung von „Bienen und Bauern“ im Europäischen Parlament. Ist das der Wendepunkt für den Natur- und Gewässerschutz?

Weltweit sind mehr als vierzig Prozent der Insektenarten vom Aussterben bedroht. Eine Europäische Bürgerinitiative zum Schutz der bedrohten Bienen und Entlastung der Bauern, die sich naturfreundlich verhalten, wird am Dienstag, den 24.1.2023, im Europäischen Parlament angehört. Die Wasserwirtschaft schaut mit Sorge auf die weitere Diskussion. Denn, obwohl die EU-Kommission bereits einen Vorschlag in die Richtung nachhaltigere Landwirtschaft und Regulierung von Pestiziden gemacht hat, haben Lobby-Verbände der Agrarchemie mit ihren Einwänden gegen die Pestizidbeschränkungen Gehör gefunden.

Landwirtschaft muss nachhaltiger werden – und Pestizid-frei.

Die Landwirtschaft in Europa befindet sich in der Sackgasse und gerät immer stärker unter den Druck der gesellschaftlichen Ansprüche an gesunde Lebensmittel und die Erhaltung der natürlichen Umwelt. Der Unmut in der Gesellschaft richtet sich aber zumeist auf die landwirtschaftlichen Betriebe, die konventionell arbeiten und auf chemisch-synthetische Agrarchemikalien angewiesen sind. Daher verkörpern sie das Symbol für eine Agrarpolitik, die einseitig auf Ertragssteigerung durch Agrochemikalien ausgerichtet ist. Durch die industrielle Landwirtschaft und den Klimawandel verlieren immer mehr Insekten ihren Lebensraum oder werden als „Nichtzielorganismen“ Opfer von Pestiziden. Das hat Folgen für die Gesundheit der Menschen und die Reinheit der Gewässer. Die biologische Vielfalt ist nicht nur essentiell für die Natur, sondern auch für das Ernährungssystem und mithin für das Überleben der Menschen. Die Zukunft von Lebensmittelversorgung, Gesundheit und Umwelt sind ernsthaft gefährdet, beispielsweise wenn Bestäubungsabläufe abbrechen. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage bezeichneten 65 Prozent der EU-Bürger die Zerstörung natürlicher Lebensräume oder den Verlust von Tier- oder Pflanzenarten als ein unmittelbares und dringendes Problem für die ländlichen Gebiete, ist in einem Arbeitspapier der EU zu lesen.

Europäische Bürgerinitiative für „Bienen und Bauern“ wird zur Anhörung in Brüssel eingeladen

Im Jahr 2019 hatte sich eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) mit der Forderung „Keine Pestizide mehr in der europäischen Landwirtschaft“ gegründet. Das Anliegen der Europäischen Bürgerinitiative musste somit auch das Anliegen der Konsumenten in Europa sein.

Die Bürgerinitiative will

  • den Einsatz synthetischer Pestizide in der Landwirtschaft der EU, beginnend mit den gefährlichsten Stoffen, bis 2030 um 80 % verringern, damit sie bis 2035 frei von synthetischen Pestiziden wird;
  • die Ökosysteme auf landwirtschaftlichen Flächen wiederherstellen, damit die Landwirtschaft zur Triebkraft für die Erholung der Biodiversität wird;
  • die Landwirtschaft reformieren, indem die vielfältigen und nachhaltigen Kleinbetriebe Priorität erhalten, die rasche Zunahme der ökologischen und biologischen landwirtschaftlichen Verfahren gefördert wird und eine unabhängige, von Landwirten ausgehende Schulung und Forschung zur pestizid- und GVO-freien Landwirtschaft gefördert wird.

Dank der Unterstützung von 1,2 Millionen Bürgern, hat sie das notwendige Ziel erreicht, um die EU-Kommission offiziell zur Vorlage einer entsprechenden Gesetzesinitiative aufzufordern.

Am Dienstag, den 24.1.2023 erhält sie Gelegenheit im Europäischen Parlament und gegenüber der Kommission ihre Forderungen vorzustellen. Die Anhörung wird im Livestream online übertragen.

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zum EU-Public Hearing „Save bees and farmers!,
24.1.2023, 14.30 bis 18.30 Uhr

Pestizide sind eine Bedrohung für das (Trink-)Wasser

Pestizide können auf unterschiedliche Wege ins Wasser gelangen. Die Auswirkungen können sich in Wasserläufen oder im Grundwasser zeigen, das möglicherweise für den menschlichen Verzehr genutzt wird. In europäischen Ländern wurden in Flüssen und Seen zwischen 2013 und 2019 an 13 bis 30 % aller Überwachungsstellen für Oberflächengewässer jährlich ein oder mehrere Pestizide oberhalb ihrer Wirkungsschwelle nachgewiesen. Eine Studie an 101 Standorten kleiner Tieflandbäche in Deutschland ergab, dass 83 % der landwirtschaftlich genutzten Bäche die ökologischen Zielvorgaben für Pestizide nicht erfüllten. Im Grundwasser, aus dem das Trinkwasser in Deutschland überwiegend gewonnen wird, sind dagegen eher Pestizidabbauprodukte anzutreffen: Im Bericht zur „Groundwater Watch List“ stellte eine Arbeitsgruppe zur Wasserrahmenrichtlinie im Oktober 2021 nach aufwändigem Prüfverfahren offiziell fest, dass es genügend Beweise für ein europaweites Vorhandensein von Pestizidabbauprodukten (Metaboliten) im Grundwasser gebe. Fallstudien aus der Wasserwirtschaft verweisen auf Beispiele für zusätzliche Aktivkohlefiltration und Ozonierung aufgrund von Pestiziden in Trinkwasserressourcen, die ein Wasseraufbereitungsunternehmen im Zeitraum 2018 bis 2020 in Höhe von 50 Mio. EUR kosten werden. Eine französische Studie aus dem Jahr 2011 hat errechnet, dass sich die Aufbereitungskosten aufgrund von Nitrat und Pestiziden in Frankreich auf 54 Milliarden Euro jährlich belaufen. Zunehmend werden Pestizidabbauprodukte entdeckt, die sich nur mit enormen Zusatzkosten im Rahmen des enorm aufwändigen Umkehrosmose-Verfahrens entfernen lassen.

Die Wasserwirtschaft fordert daher seit Jahren einen wirksameren Schutz der Ressourcen. Vielerorts kooperiert sie mit den Landwirten in so genannten „Landwirtschaftlichen Kooperationen“, in denen durch Beratung und den Einsatz von Alternativen der Pestizid-Eintrag reduziert wird. Die Kosten tragen zu einem beachtlichen Teil die Wasserversorger, letztendlich die Wasserkunden. Allerdings haben viele Wasserversorger nicht die Ressourcen für derartige Kooperationen.

Daher will die Wasserwirtschaft die Wasserschutzgebiete stärker schützen – eigentlich ein überflüssig erscheinendes Bestreben, denn die Gebiete sollten ja geschützt sein. Da in der Wirklichkeit die Schutzregeln nicht ausreichen, soll hier angesetzt werden. Ökologischer Landbau soll nach Auffassung der Wasserwirtschaft weiterhin in Wasserschutzgebieten erlaubt sein.

Eine Reduzierung des Pestizideinsatzes würde auch maßgeblich dazu beitragen,

  • die in der EU-Wasserrahmenrichtlinie festgelegten Umweltqualitätsstandards zu erreichen (ebenso wie die in der künftigen Trinkwasser-Verordnung festgelegten Qualitätsniveaus),
  • Den Bedarf und damit die Kosten für die Trinkwasseraufbereitung erheblich zu senken bzw. den drastischen Anstieg der Aufbereitungskosten zu vermeiden und
  • die aquatischen Ökosystemleistungen zu schützen.

Dies steht im Einklang mit dem EU-Grundsatz, Verschmutzung an deren Quelle zu beseitigen, sowie dem Verursacherprinzip, das an die Kosten der Sanierung anknüpft, wenn Grund- oder Oberflächenwasser verschmutzt wurde und Wasser (z. B. für Trinkwasser) mit hohen Kosten aufbereitet werden muss.

EU-Kommission hat Regulierungsentwurf für Reduzierung des Pestizideinsatzes vorgelegt

Die EU-Kommission hat am 22. Juni 2022 einen Verordnungsvorschlag vorgelegt, um mittels Regulierung eine nachhaltige Nutzung von Pestiziden in den EU-Mitgliedsstaaten festzulegen (siehe Quellen). Dieser Vorschlag, der die Richtlinie über nachhaltige Nutzung von 2009 ersetzen würde, würde die Mitgliedstaaten verpflichten, gemeinsam zur Erreichung dieser EU-weiten Ziele beizutragen, indem sie verbindliche nationale Ziele annehmen und erreichen. Damit trägt die Kommission auch ihrer „Farm to Fork“-Strategie und dem „Green Deal“ Rechnung, die auf eine nachhaltigere Landwirtschaft in der EU abzielen.

Um die biologische Vielfalt und die Gesundheit der Bürger zu schützen, wäre die Verwendung aller Pflanzenschutzmittel in bestimmten, sensiblen Bereichen verboten – so auch in Wasserschutzgebieten und zukünftig abzugrenzenden Einzugsgebieten nach der neuen EU-Trinkwasserrichtlinie.

Die Interessengruppen waren verständlicherweise in den Konsultationen stark gespalten. Während Umweltorganisationen und die Wasserwirtschaft auf ambitioniertere Vorgaben drängen, war die Landwirtschaft besorgt über den vermeintlichen [WD1] Mangel an Alternativen für Landwirte, die breite Abdeckung sensibler Gebiete und die daraus resultierenden wirtschaftliche Folgen. Zudem haben sich die Interessenvertreter der Agrochemie mit ihren Einwänden Gehör verschafft – insbesondere bei den Landwirtschaftsministern vieler EU-Mitgliedstaaten. Damit steht die Regulierung erneut auf dem Prüfstand. Die EU-Kommission hat bereits angeboten, die existierenden Wasserschutzgebiete von der Regelung wieder auszunehmen und ein Pestizidverbot lediglich für die zukünftig abzugrendenden Einzugsgebiete nach der neuen EU-Trinkwasserrichtlinie vorzusehen. Doch deren Abgrenzung ist ungewiss – in Frankreich hat der Gesundheitsminister angekündigt, die Abgrenzung der Einzugsgebiete in besonderer Abstimmung mit der Landwirtschaft vorzunehmen: die Gebiete sollen verkleinert und die Schutzbestimmungen darin wieder eingeschränkt werden können. Im schlimmsten Fall bliebe damit alles beim Alten.

Im Europäischen Parlament sicherte sich der Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) die Federführung, musste jedoch im Nachgang nach heftigen Streitigkeiten wieder wichtige Teilkompetenzen an den Agararausschuss abtreten, der die Verordnung teils komplett ablehnt.


Apropos Alternativen: Ökolandbau zeigt, dass es ohne chemisch-synthetische Pestizide geht. Ökolandbau ist deutlich klimaresilienter und zeigt laut Thünen-Report eine um 137 % höhere Infiltration. Diese führt zu vermehrtem Bodenwasser (auch für Pflanzen, d.h. weniger Bewässerungsbedarf der Landwirtschaft) und höherer Grundwasserneubildung. Gleichzeitig wird Oberflächenabfluss (mit Bodenabtrag) und Hochwasser reduziert.


Europäische Bürgerinitiative kommt zum richtigen Zeitpunkt

Die Europäische Bürgerinitiative kommt also mit ihrer Initiative und der Rückendeckung von über einer Million EU-Bürger gerade noch rechtzeitig, um eine Richtungsentscheidung der EU-Kommission in der Frage der nachhaltigen Landwirtschaft, der Biodiversität und dem allgemeinen Schutz der Lebensgrundlagen einen weiteren Anschub zu geben.

Weiterführendes/ Quellen

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