(K)ein Buch zur Entspannung: „Der Lange Weg zum Wasser“

In den vergangenen Wochen haben viele von uns Zeit und Muße gefunden, den Bücherschrank oder die digitale Bibliothek zu durchforsten. Mein literarisches Highlight hatte „natürlich“ etwas mit Wasser zu tun. Obwohl ich am Ufer eines kleinen „Fließ“ im Spreewald die Natur und deren Unberührtheit genießen konnte, wollte angesichts der Tragik meines Buches die Entspannung nicht wirklich aufkommen. Ich möchte „Der Lange Weg zum Wasser“ empfehlen, weil das Buch in erdrückender Weise zwar, aber dennoch optimistisch vom Schicksal der Menschen in ihrem täglichen Kampf um das Überleben und die Bildungsungerechtigkeit wegen der fehlenden Wasserressourcen berichtet. Die Geschichte der zwei Protagonisten mündet in einer Lösung, an man sich nicht nur durch aufkommende Betroffenheit, sondern mit konkreter Hilfe zur Selbsthilfe beteiligen kann.

Die wahre Geschichte über Wasser im Südsudan

»Was glaubst du, bauen wir hier?«, fragte Nyas Vater und lächelte. »Ein Haus?«, riet Nya. »Oder eine Scheune?« Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Etwas Besseres«, sagte er. »Eine Schule.« Nya bekam große Augen. Die nächste Schule war einen halben Tagesmarsch von ihrem Haus entfernt. (…) »Eine Schule?«, wiederholte sie. »Ja«, entgegnete ihr Vater. »Wenn wir hier erst einmal den Brunnen haben, wird niemand mehr zur Wasserstelle laufen müssen. Also werden die Kinder auch zur Schule gehen können.« Nya starrte ihren Vater an. Ihr Mund öffnete sich, aber keine Worte kamen heraus. Als sie endlich wieder sprechen konnte, war es nur ein Flüstern: »Alle Kinder, Papa? Auch die Mädchen?« Das Lächeln ihres Vaters wurde breiter. »Ja, Nya. Auch die Mädchen«, sagte er. »Und nun lauf und hol uns Wasser.« Und damit fuhr er fort, das lange Gras mit der Sense zu mähen. Nya ging zurück und hob den Plastikkanister auf. Sie kam sich vor, als würde sie fliegen. Eine Schule! Sie würde lesen und schreiben lernen!

„Der lange Weg zum Wasser“. Park, Linda Sue, arsEdition. Kindle-Version.

Das Buch „Der lange Weg zum Wasser“ von Linda Sue Park beruht auf den Erzählungen wahrer Begebenheiten im Süd Sudan in den 90er Jahren und später 2008. Die elfjährige Nye lebt mit ihrer Familie in einem südsudanesischen Dorf, einen mehrstündigen Fußmarsch entfernt von der nächsten Wasserquelle. Ihre Geschichte spielt im Jahre 2008.

»Nya füllte den Kanister bis zum Rand. Dann band sie die Kalebasse wieder fest und holte den wulstigen Stoffring aus ihrer Tasche. Den setzte sie sich zuerst auf den Kopf und hob dann den schweren Wasserbehälter darauf, den sie mit einer Hand festhielt. Nya wusste genau: Mit dem Wasser, das sie auf ihrem Kopf balancierte, und ihrem Fuß, der von dem Dorn noch immer brannte, würde der Heimweg weit länger dauern als der Weg hierher. Aber vielleicht, wenn alles gut lief, war sie bis zum Mittag zu Hause.

„Der lange Weg zum Wasser“. Park, Linda Sue, arsEdition. Kindle-Version.

Im Jahr 1985 beginnt die Geschichte von Salva. Auch seine Familie lebt im Süd-Sudan. Als Junge darf der Elfjährige eine Schule besuchen. An einem solchen Schultag beginnt seine Odyssee als Flüchtling quer durch Ostafrika.. Die Region befindet sich im Bürgerkrieg und das Dorf wird von Milizen angegriffen. Der Lehrer drängt die Jungen, aus dem Dorf zu flüchten, um sie vor dem sicheren Tod als Kindersoldaten zu bewahren. Salva gelingt die Flucht. Das Buch schildert in ergreifenden Worten wie er über mehrere Jahre das Schicksal eines elternlosen, verstörten Kindes erlebt, das von den Flüchtlingsströmen mitgerissen wird und unerträgliches Leid erfährt. Schließlich endet seine Reise als „Lost Boy“, so wurden die unbegleiteten Kinderflüchtlinge in den USA genannt, glücklich im Haus einer US-amerikanischen Familie. Dank eines Hilfsprogramms der Vereinten Nationen und des Internationalen Roten Kreuz wurde ihm das Leben gerettet und ein sicheres Zuhause geboten. Salva Dut hat Glück, er genießt das amerikanische Bildungssystem und kann studieren.

In Dankbarkeit und um einen Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation seines Volkes im Südsudan leisten zu können, startet Salva eine Initiative zum Bau von Wasserbrunnen in seiner afrikanischen Heimat, die „Water for South Sudan“. Mit Vorträgen über seine Geschichte und die Idee, Brunnen zu bauen, zog er durch Schulen in den USA und sammelte auf diesem Weg Hilfsgelder. Eines seiner ersten Projekte wurde im Dorf der kleinen Nye umgesetzt. Damit mündet auch für die kleine Nya die Geschichte in einem Happy End. Den Grund dafür erklärte ihr Onkel.

Als Nya ganz vorn angekommen war, lächelte sie scheu ihrem Onkel zu, der einen Augenblick bei der Arbeit innehielt und zurück lächelte. Dann bediente er den Griff der Pumpe. Auf und nieder, auf und nieder … Ein Strom Wasser quoll aus der Öffnung der Pumpe. Nya hielt ihre Flasche darunter und sie füllte sich schnell. Anschließend trat sie zur Seite, damit der Nächste seine Flasche füllen konnte. Dann trank sie. Das Wasser war köstlich. Es war nicht warm und auch nicht so schlammig wie das aus der Wasserstelle. Es war kühl und klar.

„Der lange Weg zum Wasser“. Park, Linda Sue, arsEdition. Kindle-Version.

Water for South Sudan – nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?

Mehr als zehn Jahre nach dem Start hat die Initiative Water for South Sudan 452 Brunnen im Südsudan errichten können. Jährlich rund 1,5 Millionen US-Dollar umfasst das Budget, das aus Schulkampagnen und privaten Spenden stammt. Salva Dut reist weiterhin zu Vortragsveranstaltungen und berichtet über die Lebensumstände der Menschen im Südsudan. Die Hilfsinitiative rehabilitiert bestehende Brunnen und baut Sanitärsysteme auf. Besonders im Fokus stehen die Schulen. Die Kinder sollen nicht nur lernen können, sondern auch zur Toilette gehen und sich die Hände waschen können. Auch die Hygieneschulung gehört zum Bildungsprogramm. Sauberes Wasser aus Brunnen kann durch schlechte Hygienegewohnheiten kontaminiert werden. Das Hygieneausbildungsprogramm arbeitet mit den Dorfbewohnern zusammen, um verbesserungsbedürftige Hygienepraktiken zu vermitteln, so bleiben die Brunnen erhalten und das Wasser trinkbar.

Jeder Brunnen pumpt ungefähr 10.000 Liter Wasser pro Tag und versorgt 500 bis 1.000 Menschen. Jedes Jahr baut Water for South Sudan rund 40 bis 50 neue Brunnen, saniert ältere Brunnen. In jedem Dorf werden ein bis zwei Personen in der einfachen Wartung von Brunnen geschult. Damit beschädigte Brunnen nicht als Ersatzteillager für andere Zwecke ausgebeutet werden und verfallen.

Der Südsudan ist ein junger Staat mit brutaler Vergangenheit

Seit einem Referendum im Jahre 2011 ist der Südsudan unabhängig. Mittlerweile haben sich die Konflikte gelegt. Über 4 Millionen Menschen wurden zu Flucht gezwungen, fast zwei Millionen innerhalb und rund 2,2 Millionen außerhalb des Landes. Der Südsudan gilt mit seinem 11 Millionen Einwohnern als eines der ärmsten Länder der Welt: Die Hälfte der Einwohner lebt laut Weltbank unter dem Existenzminimum von umgerechnet knapp zwei Euro pro Tag. Im ganzen Land herrscht weiterhin extreme akute Ernährungsunsicherheit, berichtet die Weltbank, und die Zahl der Menschen, die 2019 humanitäre Hilfe benötigten, lag demnach bei sieben Millionen. Frauen und Kinder sind weiterhin am stärksten betroffen und leiden durch Verzicht auf Bildung unter den Bedingungen.

Infolge des jahrzehntelangen Bürgerkriegs ist die Wasserinfrastruktur unterentwickelt. Nur jeder zehnte Einwohner des Südsudans hat Zugang zu einfacher Sanitärversorgung. Selbst wenn sie es sich leisten könnten, die Infrastruktur ist nicht vorhanden. Investitionen bleiben aus und mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Trockenzeit zwingt jedes Jahr Millionen Südsudanesen, ihre Dorfhäuser auf der Suche nach Wasser zu verlassen. Frauen und Mädchen müssen jeden Tag kilometerweit wandern, um Wasser aus Teichen, Sümpfen, Gräben oder von Hand gegrabenen Brunnen zu sammeln, in denen das Wasser häufig mit Parasiten und Bakterien kontaminiert ist. Die Folge sind schwerwiegende Krankheiten bis zum Tod. Besonders betroffen sind Säuglinge und Kinder. Das Schicksal von Mädchen und Frauen ist eng mit dem Wasser verbunden – besser gesagt, mit dem Wasser holen. 40 Milliarden Stunden, so berichtet Water for South Sudan, verbringen Frauen in Afrika jedes Jahr, um sauberes Wasser zu holen.

Corona bedroht jetzt in dem ehedem schon von Krisen und Kriegen zerrütteten Land nicht nur die Gesundheit der Menschen, sondern auch die Fortsetzung der wichtigen Hilfsprojekte. Wir können etwas dazu beitragen, dass den Menschen im Südsudan weiterhin geholfen wird. Hier geht es zur Spendenseite von Water for South Sudan.

Quellen / Weiterführendes

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