Wählen Sie Ihren Wasserlieferanten! England öffnet mit Open Water den Wettbewerb um den Wasserkunden.

Nicht die Augen reiben! Es stimmt! England schafft Wettbewerb im Wassermarkt. Für viele undenkbar, aber ab April 2017 wird es Realität. Open Water heisst die Öffnung des Wassermarktes für die Geschäftskunden auf der Insel. Diese können ihren Dienstleister für Trinkwasser und Abwasserreinigung dann frei wählen. Doch bevor die Skepsis das Weiterlesen bremst, die 1,2 Millionen Unternehmen, öffentlichen oder gemeinnützigen Einrichtungen erhalten ihr Wasser wie bisher über dieselben Rohrnetze. Dieselben Kanäle nehmen das Abwasser auf. Auch beim Betreiber der Anlagen ändert sich nichts. Dienstleister kann aber ein anderer sein. Dieser kann die Leistungen bündeln, eigene Preise kalkulieren und Zusatzleistungen erbringen. Auch wenn die Margen durch den Wassermarktregulierer OFWAT limitiert sind, das Potenzial für Effizienzen und für Zusatzleistungen macht den Umbruch des englischen Wassermarktes für viele attraktiv. Der Retailer bezieht die Wasserlieferung vom Wholesaler, konfektioniert sie mit anderen Leistungen, entwickelt ggf. ein eigenes Preismodell und bietet das Leistungsbündel dem Abnehmer an. Der Betreiber der Anlagen bleibt aussen vor.

10 Prozent Einsparungen werden erwartet 

Betriebe mit mehreren Standorten sog. Multi-Sites-Customer — auch über eine Region hinausgehend – müssen nur noch eine einzige Rechnung verarbeiten, sie werden nur noch einen einzigen Abrechnungszyklus erwarten. Auch der Kundendialog wird nur noch bilateral sein. Vorbei die Zeiten, wo für jeden Standort ein Versorger als Ansprechpartner galt. Es werden „Value Added Services“ möglich. Dazu können Zählermanagement, intelligente Zählersysteme, Leckagewarnsysteme, Data Management, Effizienzberatung usw. zählen. Die genehmigte Retailmarge soll bei 2,5 Prozent (netto) bzw. 6 Prozent (brutto) starten. Insgesamt werden von Open Water Ersparnisse für die Kunden in einer Größenordnung von 200 Mio. £ erwartet, das sind etwa 10 Prozent des Umsatzvolumens im Wassermarkt.

Die anfängliche Skepsis scheint überwunden. Etwa 65% der Großkunden erwägen die Beauftragung eines Retailers. Aber es scheint noch viel Unkenntnis zu herrschen. Bei einer Befragung kleinerer Kunden durch den Consumer Council zeigten sich 92% noch unwissend. Eine Befragung der Großenergieabnehmer (s.u.) zeigt zwar großes Interesse, aber auch noch einige offene Fragen, allem voran der Preis.

Wer auf der offiziellen Website open-water.org.uk nach Informationen sucht, stößt vier Monate vor dem Start auf viele Baustellen. Medienvertreter gehen leer aus und müssen sich an eine kommissarische Pressereferentin des Regulierer OFWAT wenden. Interessierte, die unter den FAQ Antworten suchen, finden nur ein verschämtes OOPS!. Aber Hilfe naht mit einer Informationskampagne im Januar, wenn man der Ankündigung auf Twitter Glauben schenken darf (siehe Tweet unten). Experten können sich zudem auf den Websites des IT-Systembetreibers MOSL, beim Regulierer OFWAT sowie beim Umweltministerium DEFRA kundig machen.

Schottland hat schon lange einen offenen Markt

Die Schotten waren schneller als ihre großen Inselnachbarn. Schon 2008 wurde dort der weltweit erste Wettbewerb für Nichthaushalte im Trink- und Abwassersektor geöffnet. 130.000 Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und gemeinnützige Einrichtungen wechselten seitdem ihren Dienstleister. Scottish Water ist weiterhin landesweit für Netze und Anlagen zuständig, als Vertragspartner wählten sich die Kunden aber einen von 19 Anbietern. Das soll nicht nur bessere Services, sondern auch niedrigere Entgelte mit sich gebracht haben. Nach trägem Anlaufen des Wechsels liegt die Quote bei mittlerweile 20 Prozent, was womöglich auch daran liegt, dass der Regulierer die Retail-Marge von 9 Prozent in 2008-09, auf 20 Prozent in 2013-14 angehoben hatte. 

Der englische Consumer Council hatte schottische Unternehmen befragt und leitet daraus folgendes für Open Water ab:

  • Es wurde zu wenig über die Öffnung des Marktes informiert. Gerade die kleineren Institutionen, für die Wasser in der Regel keine Rolle spielte, fehlten die Informationen, aber zuweilen auch die Aufmerksamkeit.
  • Die Kunden brauchen Entscheidungshilfen und Informationen von vertrauenswürdigen Organisationen und etablierten Plattformen (Regulierer, Kammern, Preisvergleichsplattformen u.ä.).
  • Der Wechsel wurde gar nicht die einzige Option angesehen, viele erwarten sich wettbewerbsbedingt bessere Konditionen und Leistungen von ihrem bisherigen Versorger.
  • Kundenschutzmechanismen sind unverzichtbar, weil eine Marktöffnung auch neue Vertragsbedingungen mit sich bringt, die zu Lasten der Kunden gehen könnten.
  • Die kleinen gewerblichen Kunden fürchten, zu unbedeutend für die regulatorischen Marktöffnungsmechanismen zu sein, während die großen Multi-Sites-Kunden diese nutzen können und daraus sogar Wettbewerbsvorteile erzielen könnten.
  • Viele hatten die Befürchtung, bei der Preisgestaltung benachteiligt zu werden und im Ergebnis zu viel bezahlen zu müssen.

Während der gegenwärtige englische Wasser- und Abwassersektor aus 29 Unternehmen besteht, sind vier Monate vor dem Start bereits 21 Open Water-Lizenzen vergeben worden. Der wohl erfahrenste Anbieter, Castle Water, ist nicht nur seit 2008 in Schottland aktiv, sondern wird die Geschäftskunden von Thames Water und Portsmouth Water betreuen. Auch Quereinsteiger, wie der Wasser-Consultant Waterscan, wollen mitmachen.

Ein Vorbild für den deutschen Wassermarkt?

Kann diese Marktöffnung in England auch für den deutschen Wassermarkt beispielhaft sein? Diese Frage wird mit Blick auf die nächsten Jahre zunächst einmal mit „nein“ zu beantworten sein. Die englische Regulierung wird hier auch mit dem Hinweis auf die strukturellen Unterschiede mindestens von der Mehrheit der Kenner der Branche als nicht erforderlich bezeichnet. In Deutschland sind Stadtwerke als Querverbundunternehmen anders als in England auch für Wasser zuständig und können dadurch Synergieeffekte erschliessen. Der hohe Fragmentierungsgrad mit 6.500 Wasserunternehmen dürfte die Prozessbündelung zunächst sehr aufwändig werden lassen. Aber mittelfristig könnten bei positiven Erfahrungen multinationaler Unternehmen mit dem englischen System auch in Deutschland Begehrlichkeiten aufkeimen. Der Verband der Energieabnehmer (VEA) und die IHKs, wie die in Hessen, schauen heute schon auf gewerbliche Wasserpreise und fordern geringere Entgeltniveaus sowie mehr Transparenz. Wasser 4.0 und Digitalisierung könnten neuen Anbietern mit innovativen Dienstleistungen einen Marktzugang gewähren, ohne dass die Etablierten schon darauf vorbereitet wären. Dabei könnten sich die Markteinsteiger mit einer Fokussierung auf Industriekunden die lukrativen Segmente aussuchen.

Von mir nach seiner Einschätzung befragt, zeigt sich Professor Justus Haucap „auf den ersten Blick skeptisch, dass im Retailing große Effizienzpotenziale schlummern, auch die extreme Kleinteiligkeit gerade im Süden Deutschlands scheint aus Effizienzsicht problematisch.“ Dem VKU drängen sich zu dem UK-Modell ebenfalls einige Fragen auf: „Wie soll ein Effizienz-Gewinn und damit eine Steigerung des Gesamtnutzens möglich sein, wenn mit dem „Retailer“ ein Esser mehr am Tisch sitzt, aber bei Wahrung der Kostendeckung der Kuchen nicht größer wird? Wird das Solidarsystem damit zulasten der Haushalts- und ‚Kleingewerbekunden‘ ausgehöhlt?“ Nachvollziehbare Fragen – Warten wir also ab, wie Open Water in England ankommt …. Lebensraumwasser wird berichten.

Weitere Quellen:
Open Water-Website

Lizenzbedingungen
für Supplier

3 Kommentare

  1. Stichwort Effizienzgewinne: Wenn Abrechnung, Zählermanagement und Co. zum Retailer wandern, fallen die (Personal-)Kosten dafür nicht mehr auf Seiten des Wholesalers bzw. Ver-/Entsorgers an. Und da der Retailer auf den – damit geringeren – Einkaufspreis für Wasser max. 2,5 % Marge schlagen darf, schlummern dann nicht genau hier die Effizienzpotenziale?

    • Auf den ersten Blick und rein theoretisch könnte das so sein. Einen wirklichen Vorteil brächte das für den Ver-/Entsorger jedoch nur dann, wenn er 100% seiner Kunden/Abnehmer zum Retailer gibt. Das wird jedoch kaum der Fall sein und somit ist die Kostenseite (wenn überhaupt) nur minimal entlastet und die Verantwortung für die Infrastruktur (+Kosten) bleibt ohnehin. Aus meiner Sicht liegt der eigentliche Gewinn beim Retailer und zwar im direkten Zugang zum Kunden/Abnehmer selbst sowie über intelligente Zähler zu dessen Abnahme-/ Verbrauchsverhalten (Achtung Datenschutz!). Mit dieser Fülle an Informationen lässt sich hervorragend Cross-Selling betreiben und hier liegt ungeahntes Potenzial und Marge. Denn mit 2,5% wird ein Investor kaum Spaß haben. Der Rest ist Mittel zum Zweck. Leider…

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