Zweiter Brief aus Kapstadt – Preisliche Anreize balancierten vielfältige Ziele aus

Mein langjähriger Begleiter bei wasserwirtschaftlichen Fragen, Prof. Dr. Mark Oelmann, hält sich zur Zeit in Kapstadt auf. Ein Ziel seiner dreimonatigen Mission nach Südafrika ist der fachliche Austausch zu Erfahrungen und Konzepten zur Wassernachfragelenkung bei Wasserstress. Diesen erlebten die Kapstädter bekanntlich in den Jahren 2017/18 als der „Day Zero“ drohte – der Tag ohne Wasser. In seinem „Brief aus Kapstadt“ beschreibt er seine gewonnene Erkenntnisse.

„In meinem letzten Brief habe ich die Bedrohungslage Kapstadts in Folge ausbleibender Niederschläge beschrieben. Zwischen 2014 und 2017 regnete es weit unterdurchschnittlich, gleichzeitig schaffte man es nicht hinreichend schnell, ausreichend alternative Wasserquellen zu erschließen. Nachfrageseitig musste etwas geschehen: Mit einer Kombination aus Information, positiver Motivation, der öffentlichen Bekanntmachung von Wasserverschwendern, Druckverminderung in den Netzen,  innovativen Preismodellen, Monitoring und Sanktionen schaffte man es tatsächlich, die Nachfrage um gut 55% zu verringern. Ein tatsächlich beeindruckender Wert! Und dennoch blieb es bis zum Schluss spannend, ob der sog. „Day Zero“ Mitte April 2018 nicht doch eintrat. Dann nämlich wäre die Versorgung über die kommunalen Netze ausgesetzt worden und Bürger hätten sich mittels Kanistern 25l pro Person und Tag an 200 Ausgabestellen im Stadtgebiet abholen müssen. Im Ergebnis wurde alles gut: Niederschläge fielen wieder und die Pegel der Talsperren, aus denen zu dieser Zeit über 90% des Trinkwassers gewonnen wurde, stiegen. Binnen der nächsten 10 Jahre werden folgerichtig nun die Gewinnungsquellen diversifiziert (Meerwasserentsalzung, Water Reuse, Grundwasserförderung…). Dies soll uns nun aber aktuell hier weniger interessieren.

Meinen Fokus will ich auf das Instrument der preislichen Anreize legen, die genutzt wurden, um Wassernachfrage zu vermindern. Ich möchte Sie und Euch mit hineinnehmen in die Überlegungen, wettstreitenden Interessen und final notwendigen politischen Entscheidungen.

1. Kapstadt hat ein immenses Armutsproblem – Wasser blieb für Bedürftige kostenfrei

Der sog. GIni-Koeffizient ist das Maß, mit Hilfe dessen Länder hinsichtlich ihrer Einkommens- oder Vermögensverteilung verglichen werden. Der Wert kann dabei zwischen 0 (absolute Gleichverteilung) und 1 (absolute Ungleichverteilung) liegen. In diesem Ranking weist die Slowakei mit 0,23 die größte Gleichverteilung aller Länder auf, für Deutschland wird ein Wert von 0,31 ausgewiesen und Südafrika bildet das weltweite Schlusslicht mit 0,63. Hinzu kommt eine Erwerbslosenquote von gut 28% und eine Jugendarbeitslosigkeit von nahezu 50% (2022, destatis).

Nun hat Südafrika zwei „Arten von Armen“. Die Einen leben in informellen Siedlungen – nicht selten noch ein Relikt aus der Zeit der Apartheid. Hier werden die Menschen über kommunale Zapfstellen versorgt. Die Abgabe wurde mengenmäßig beschränkt, blieb aber über die gesamte Zeit der Wasserkrise hindurch kostenfrei. Gleiches galt für die zweite Gruppe: Wurde jemand als bedürftig anerkannt (Monatseinkommen von unter 3500 Rand (ca. 238 € [Wechselkurs per März 2018]), erhielt dieser Anschluss 10,5 m³ pro Monat (dies entspricht 50 l pro Person und Tag bei einer unterstellten Haushaltsgröße von 7 Personen [Durchschnittsgebrauch D: rd. 125 l]) ebenfalls umsonst. Über diese Menge hinaus mussten auch bedürftige Haushalte die normalen Wasserpreise zahlen.   

2. Für Nicht-Bedürftige wurden die Freimengen gestrichen.

Vor der Krise erhielt jeder Haushalt, unabhängig von Einkommen oder Vermögen, 6 m³ pro Monat kostenfrei. Dies wurde 2017 für alle Haushalte, die eine Bedürftigkeit nicht nachweisen konnten, ersatzlos gestrichen. 

3. Preise veränderten sich in Abhängigkeit der Füllstände der Staudämme

Kapstadt bezog den Großteil seines Trinkwasser aus Rohwasser aus Staudämmen. Ausbleibender Regen führte wie beschrieben zu sinkenden Pegelständen, was die Wasserkrise hervorrief. Konsequenterweise wurden die Preise an die Pegelstände gekoppelt. Die unten stehende Abbildung zeigt, dass zum 1.1.2016 in Level 2, am 1.1.2016 in Level 3 gesprungen und auf 1.2.2018 Level 6 umgeschaltet wurde. 

Was heißt das konkret? Ein Haushalt bezahlte demnach nach dem 1.2.2018  ab dem 10,500 m³ (=kl) in einem Monat rd. 110 Rand (7,8 €) pro m³, ab dem 35. m³ pro Monat 68 €/m³ (zum Vergleich: rd. 10,5 m³ p.M verbraucht auch ein dt. Einfamilienhaus). In Kapstadt sprach man vom „punitive pricing“, der „bestrafenden Bepreisung“. Dieser massiven Nachfrage – etwa zur Poolbefüllung oder exzessiven Gartenbewässerung – sollte also maximal begegnet werden.  

Aber auch in den unteren Verbrauchsklassen waren die Belastungssprünge pro m³ beträchtlich. In Step 2 erhöhten sich die Preise pro m³ zwischen Level 1 und Level 6 um 525% auf umgerechnet 3,15 €/m³ und in Step 3 um nahezu 800% auf 6,85 €/m³. 

Abbildung 1: Wasserpreise für Haushaltkunden in Kapstadt (City of Capetown, 2018, mit eigenen Ergänzungen)

Und wie entwickelten sich die Preise für Industrie, Gewerbe, öffentliche Einrichtungen etc.? Hierzu gibt die folgende Abbildung eine Antwort. 

Abbildung 2: Wasserpreise für Industrie, Gewerbe, öffentl. Einrichtungen etc. in Kapstadt (City of Capetown, 2018, mit eigenen Ergänzungen)

Scheinbar sollten die Nicht-Haushaltskunden nicht „verprellt“ werden. Ihre Preise verdoppelten sich wohl auch zwischen Level 1 und Level 6 auf dann 3,06 €/m³ – ähnlich dem Level 6-Preis des Step 2 bei den Haushaltskunden mit 3,15 €/m³. Während man folglich in „Normaljahren“ der Idee der Increasing Block Tariffs folgt und Nicht-Haushaltskunden höher als Haushaltskunden in unteren Nachfragesegmenten belastet, schont man diese in diesen Notzeiten mehr. 

Und heute? Die Preise haben sich sowohl in Höhe als auch Struktur wieder in Richtung früherer Gegebenheiten zurückentwickelt. Die Preise für Nichthaushaltskunden liegen mit 38 Rand pro m³ (1,85 €) wieder signifikant über den 21 Rand pro m³ (1,02 €) für die unterste Nachfragemenge bei Haushaltskunden. 

Interessant ist Folgendes: Durch die zurückgehende Nachfrage verringerten sich die Einnahmen des Wasserversorgers. In Kombination mit dem anstehenden höheren Investitionsbedarf wurde das Ziel der Erlösstabilisierung bedeutsamer. In Folge dessen wurde Mitte Mai 2018 nur vier Wochen nach Erreichen des Höhepunkts der Versorgungskrise ein fixer System- oder Grundpreis als weitere Preismodellkomponente eingeführt. So anders sind die Diskussionen in Deutschland und Südafrika dann doch nicht…“

Prof. Dr. Mark Oelmann

Prof. für Wasser- und Energieökonomik an der Hochschule Ruhr West, Mülheim/Ruhr,
(Mit-) Geschäftsführer der MOcons GmbH & Co.KG
linkedin.com/in/prof-dr-mark-oelmann-b99994230/

Beitragsfoto: Theewaterskloof-Damm März 2024 (Oelmann)

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