Wie Bürger bei der Feststellung der starken Nitratbelastung von Fließgewässern im Weser-Ems-Gebiet unterstützen

Citizen Science – Bürgerwissenschaft – ist ein neuer Trend in Umweltmonitoring und Wissenschaftsdidaktik. Hierbei kooperieren WissenschaftlerInnen und Bürgerschaft, um für Problemlagen zu sensibilisieren und Unzulänglichkeiten aufzudecken. Ich werde in Zukunft einige dieser Projekte vorstellen, auch um die Bürgerschaft bei diesen Projekten zum Mitmachen anzuregen. Den Anfang macht ein Projekt zur Nitratbelastung von Fließgewässern im Weser-Ems-Gebiet in Niedersachsen.

8.754 Gewässerproben liefern stichhaltiges Bild zum Nitratgehalt der Fließgewässer

Von September 2019 bis März 2021 koordinierten die Universitäten Oldenburg und Osnabrück ein Bürgerwissenschaftsprojekt. Genau 8.754 Gewässerproben sammelten die 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. An mehr als 540 Standorten in den Landkreisen Osnabrück, Vechta, Emsland und Cloppenburg sowie der Stadt Osnabrück untersuchten die Freiwilligen mit bereitgestellten speziellen Teststäbchen Brunnenwasser, Quellenwasser, Fließgewässer, Standgewässer und Regenwasser, um anhand von Farbschattierungen einen Überblick über den Nitratgehalt zu bekommen. Ein großer Teil der beprobten Fließgewässer weist den Ergebnissen zufolge zu hohe Nitratbelastungen auf, berichtete das Projektteam am 22. März 2022 auf einer Veranstaltung in der Katholischen Akademie Stapelfeld in Cloppenburg. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Osnabrück stuften drei Viertel der beprobten Fließgewässer als hoch oder sehr hoch belastet ein und bestätigten damit Ergebnisse früherer Untersuchungen. Eine interaktive Online-Karte mit Messstandorten und Messwerten findet sich auf der Webseite www.nitrat.uos.de.

Eine hohe Nitratbelastung ist sowohl für die Gewässerökologie als auch für die menschliche Gesundheit bedenklich“, sagt Melanie Vogelpohl, Referentin für Umweltinformationsvermittlung bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). „Die Problematik ist durch das hohe Engagement von Bürgerinnen und Bürger stärker ins Bewusstsein gerückt.

Interessierte konnten innerhalb des Weser-Ems-Projekts nicht nur Messwerte beisteuern, sondern auch weitere Angebote wie beispielsweise Schülerlabore, eine Online-Ausstellung oder eine von der Universität Oldenburg konzipierte Stickstoffbox mit Experimenten nutzen, um Einblicke in das Thema Stickstoffbelastung zu erlangen. In einer Begleitstudie untersucht die Universität Osnabrück aktuell, inwieweit die Teilnahme an dem Citizen Science-Projekt Einstellungen und Kenntnisse zum Thema Gewässerschutz verändert. Hier ist zu vermuten, dass die Tatsache, dass die BürgerInnen selber an den Erhebungen teilnehmen, ihre Sensibilität steigt und die Bereitschaft an Veränderungen teilzunehmen ebenfalls zunimmt. Insoweit dürfte sich ihr Engagement neben der Tatsache, dass derart große Datenmengen erhoben worden sind, auch darüber hinaus als sehr vorteilhaft erweisen.

Citizen-Science-Daten decken sich mit anderen Erhebungen

Die Messergebnisse im Citizen-Science-Projekt zeigten eine hohe Übereinstimmung mit den Resultaten anderer Messinitiativen wie beispielsweise den Brunnenwassermessungen des Umweltvereins VSR-Gewässerschutz. Die Wissenschaftler zeigen sich dem Vernehmen nach mit der Qualität der Ergebnisse zufrieden. Die verwendeten Teststäbchen seien zuverlässig genug, um einen Überblick über die Nitratbelastung zu gewinnen und räumliche und zeitliche Entwicklungen zu verfolgen. Um in weiteren Projekten genauere Messungen durchzuführen, werde aktuell eine Messmethode mit einem Farbsensor und Elementen aus dem 3D-Drucker entwickelt.

Unter den Freiwilligen, die sich im Projekt engagierten, waren auch 200 Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit ihren Lehrkräften. „Ohne das großartige Engagement und so viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer hätten wir weder diese Datenmenge erheben noch das Projekt so erfolgreich durchführen können“, sagt Mientje Lüsse, von der Universität Oldenburg, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt. Der Citizen-Science-Ansatz könne eine innovative Rolle in der wissenschaftlichen Forschung spielen und gleichzeitig Bildung vermitteln.

Was bedeutet Citizen Science?

„Citizen Science umfasst die aktive Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern in verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses (…). Die Beteiligung reicht von der Generierung von Fragestellungen, der Entwicklung eines Forschungsprojekts über Datenerhebung und wissenschaftliche Auswertung bis hin zur Kommunikation der Forschungsergebnisse. Dabei kann sich die Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtungen und institutionell ungebundenen Personen sehr unterschiedlich gestalten, von völlig eigeninitiierten „freien“ Projekten (…) bis hin zur Anleitung durch wissenschaftliche Einrichtungen. Gemeinsames Ziel aller Citizen-Science-Projekte ist das Schaffen neuen Wissens. Hierbei wird an Forschungsfragen gearbeitet, deren Beantwortung einen Erkenntnisgewinn für die Wissenschaft sowie oft auch für Praxis und Politik mit sich bringt.“

Grünbuch – Citizen Science Strategie 2020 für Deutschland

Anhand der Daten untersuchte das Team, welche Faktoren die Nitratbelastung im Weser-Ems-Gebiet beeinflussen. „Die Messungen der Bürgerinnen und Bürger zeigen, dass schmale Bäche wie der Bornbach in der Nähe von Damme besonders gefährdet sind, da bereits ein geringer Nitrateintrag zu hohen Konzentrationen führt“, erläutert Projektmitarbeiterin und Doktorandin Frauke Brockhage von der Universität Osnabrück. Stehende Gewässer wie Seen weisen der Auswertung zufolge eine geringere Belastung auf als Fließgewässer, doch auch hier zeigten sich bei einem knappen Viertel der Messstellen hohe oder sehr hohe Nitratbelastungen. Unter den beprobten Brunnen überschritt etwa ein Sechstel den gesetzlichen Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter. Insbesondere die Zusammensetzung des Bodens spiele der Analyse zufolge bei der Belastung des Grundwassers eine große Rolle: So traten in Geestgebieten mit sandigen Böden besonders hohe Nitratkonzentrationen auf.

© Universität Osnabrück/ Frauke Brockhage 2022

Die Nitratbelastung der beprobten Fließgewässer ist, so Brockhage, in städtischen und landwirtschaftlich genutzten Flächen höher als in Wäldern und naturnahen Flächen. Über die konkreten Ursachen dafür können die Forschenden anhand der Daten jedoch keine Aussagen machen. Bekannt ist, dass Düngemittel aus der Landwirtschaft eine große Quelle von Nitrat in Gewässern sind. Hierzu müssen ortsunkundige wissen, dass die betrachtete Region zu den Hotspots der Viehzucht in Deutschland zählt, mithin lokal große Mengen Gülle anfallen, die vor Ort auf die Felder ausgebracht wird. Weser-Ems-Gebiet Aber auch Industrie, Verkehr und Abwässer tragen zur Belastung bei. Hohe Nitratwerte führen zu einer Überdüngung von Gewässern mit Algenblüten und Sauerstoffmangel und erhöhen die Kosten für die Trinkwassergewinnung und -aufbereitung. In Folgeprojekten will das Team die Frage nach den Ursachen genauer untersuchen.

Weitere Informationen:

Beitragfoto: CanstockPhoto

Wie findet Ihr diesen Beitrag?

Bewertung: 1 von 5.



1 Trackback / Pingback

  1. Wie Bürger bei der Feststellung der starken Nitratbelastung von Fließgewässern im Weser-Ems-Gebiet unterstützen | Ronny Blue

Was meinen Sie dazu?

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.