Wasserpreise in NRW haben stärker als in den vergangenen Jahren auf die Preisentwicklung reagiert. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Untersuchung der Wassertarifentwicklungen in 30 NRW-Großstädten zum 1. Juli 2024 im Vergleich zu den vorangegangenen zwölf Monaten bzw. Vorjahren. In 16 dieser untersuchten Städte (siehe Abbildung 2) wurden seit Jahresbeginn 2024 die Entgelte angepasst – und das Jahr ist noch nicht rum. Das ist die höchste Anzahl an Wasserpreisanpassungen innerhalb eines Jahres seit Beginn meiner Auswertungen der großstädtischen Entgelte im Jahre 2010. Um rund drei Prozent sind die Wasserentgelte zwischen dem 1. Juli 2024 und dem 1. Juli 2023 im Mittel über alle 30 Städte angestiegen. Im Mittel rund sechs Prozent über all jene Städte, in denen Anpassungen stattgefunden haben. Aber es gibt noch eine ganze Reihe weiterer spannender Entwicklungen, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen.
Preisstabilität zugunsten der Erhaltung der Leistungsfähigkeit aufgegeben
Der Handlungsdruck und die Preisdynamik in der Wasserversorgung bei den NRW-Großstädten werden auch durch die folgenden Detailbetrachtungen deutlich:
- Im Ergebnis zahlen die Haushalte in den untersuchten NRW-Großstädte im Durchschnitt über jene Städte, in denen in den vergangenen 12 Monaten Preiserhöhungen stattgefunden haben, am 1. Juli 2024 rund sechs Prozent mehr für ihr Trinkwasser und die Leistungen ihres Versorgers als am 1. Juli 2023. Dabei reicht die Spannbreite von einer Preissenkung in Höhe von – 1 Prozent bis zu Steigerungen um fast 17 Prozent bezogen auf typische Verbräuche in Einfamilienhäusern. Im Durchschnitt über alle 30 Großstädte sind die Wasserentgelte um rund drei Prozent gestiegen (siehe Abbildung 1).
- In keinem Jahr seit 2010 wurden in so vielen NRW-Großstädten die Wasserentgelte verändert. In 16 von 30 NRW-Großstädten müssen sich die Haushalte zwischen seit dem 1. Januar 2024 an neue Wasserentgelte gewöhnen – und das Jahr ist noch nicht rum.
- Während in der Vergangenheit bei Wasser die Preisstabilität einen wichtigen Stellenwert zu haben schien, können die Versorger angesichts der starken Kostensteigerungen der vergangenen Jahre ihre Entgelte nicht mehr unverändert halten. Es gab bis vor kurzem noch Versorger, die zehn Jahre und mehr Jahre keine Preissteigerungen vorgenommen hatten. Auch diese haben in diesem Jahr an der Preisschraube gedreht. So wurden sogar in einer Großstadt erstmalig nach 19 Jahren die Wasserpreise erhöht – so stieg der Grundpreis um stattliche 50 Prozent.
- Ein Umdenken scheint auch bei der Periodizität der Preisanpassungen stattzufinden, wie ich von immer mehr Versorgern höre. Angesichts des Kostendrucks der vergangenen Jahre wollen sie die Belastungen kurzfristiger an ihre Kunden weitergeben. Das zeigt sich bereits in der Entwicklung der Abstände zwischen den einzelnen Anpassungen. Diese sind von im Mittel 4 Jahre bis zur nächsten Preiserhöhung in 2021, auf nunmehr 3,4 Jahre gesunken. Getrieben auch durch die inflationsbedingt überproportional hohen Kostenanstiege haben 18 Versorger in den vergangenen drei Jahren mindestens einmal die Preise angepasst.
- Bisher fanden die Preisanpassungen vorwiegend zum Jahreswechsel statt. Seit dem Jahr 2013 nimmt die Anzahl der unterjährigen Maßnahmen zu. Damit reagieren die Versorger insbesondere auf eine in Folge des zurückliegenden Jahresabschlusses aktuellere Planungsgrundlage für die Preiskalkulation. Vereinzelt wird so auch auf Vergleichswerte anderer Städte reagiert.
Preissystem-Umstellungen als Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen
Die Wasserversorger reagieren nicht allein mittels Preiserhöhungen auf die sich ändernden Rahmenbedingungen. Immer öfter wird der strategische Fokus auf das Preis- bzw. Abrechnungssystem gerichtet und eine Anpassung oder Umstellung vollzogen. Diese Feststellung kann mit den folgenden Ergebnisse untermauert werden:
- Während früher in den NRW-Großstädten die „klassische“ lineare Kombination von zählerbezogenem jährlich festem Grundpreis und variablem Mengenpreis die Wasserrechnungen dominierte, stießen insbesondere mit der Einführung des Systempreismodells durch die RWW u.a. in Mülheim/R. im Jahr 2012 neue Preissysteme auf großes Interesse. So fand das wohneinheitenbezogene Systempreismodell auch deshalb so viel Anklang, weil damit unter anderem mehr Verursachungsgerechtigkeit und dank höherem Grundpreisanteil eine höhere Erlösstabilität verbunden waren. Mittlerweile werden in sechs der NRW-Großstädte derartige Systempreise erhoben. Auch Staffelpreise haben ihre Anhänger gefunden. Seit Jahresbeginn gilt ein solcher Mengenstaffel-Grundpreis beispielsweise in Hagen. Dort ergab sich eine Verschiebung zugunsten der bisher eher benachteiligten Einfamilienhäuser. Vielfach wird den Staffelpreisen auch eine Anreizwirkung zum Wassersparen beigemessen. Eine Erwartungshaltung die sich aus einer Reihe von Gründen zunehmend als Irrtum herausstellt. Darauf werde ich in einem späteren Beitrag eingehen.
- Während im Jahr 2010 in 25 der 30 Großstädte die „klassischen“ Preissysteme galten, geht der Trend zu Preissystemen, die deutlich differenzierter die lokalen strukturellen Rahmenbedingungen berücksichtigen und ausgewogenere Kostenverteilungen ermöglichen. Daher sind die „klassischen“ Preissysteme vierzehn Jahre später nur noch in 15 Großstädten vorzufinden.
- Der Wandel bei den Preissystemen drückt sich auch in einer anderen Entwicklung aus: Wasserversorger sind bekanntlich mit hohen Fixkosten konfrontiert, gleichzeitig sind die Erlöse im hohen Maße variabel, da sie vom Wasserverbrauch der Kunden abhängen. Das führt trotz steigender Preisen zu wirtschaftlichen Unsicherheiten bei schwankenden oder gar rückläufigen Absatzmengen. Im Hinblick eine erforderliche höhere Planungssicherheit, stellen Versorger auf Preissysteme mit höheren Grundpreis- bzw. Systempreisanteilen um oder erhöhen schrittweise ihre Grundpreisanteileum, um die Erlösabhängigkeit vom Wasserabsatz zu reduzieren. Noch vor 15 Jahren lag in den NRW-Großstädten der feste Grund- oder Systempreisanteil für typische Einfamilienhäuser bei durchschnittlich 32 Prozent, mittlerweile sind es 39 Prozent. Davon profitieren letztendlich auch die Wasserkunden, wenn die Preise ungeachtet einer sich verändernden Wassernachfrage stabil bleiben können.
- Auch bei den Preissteigerungen stehen die Grundpreise zunehmend im Vordergrund. So sind diese im Vergleich zum Vorjahresmonat bei Einfamilienhäusern in 16 Städten (trotz einer Senkung) um durchschnittlich 10,4 Prozent angestiegen, während der Anstieg bei den Mengenpreisen in 12 Städten (einschl. einer umstellungsbedingten Mengenpreis-Senkung) nur 5,5 Prozent betrug.
Ein „gewagter“ Ausblick
Wie die Beispiele zeigen, ist Bewegung in die Wasserpreislandschaft in NRW gekommen. Das gilt nicht nur für die hier beschriebenen 30 Großstädte. Da in NRW die Stadtwerke als Mehrspartenunternehmen in den Städten mehrheitlich die Wasserversorgung betreiben, wirkt sich der Wettbewerbs- und Ergebnisdruck aus den energiewirtschaftlichen Sparten zwangsläufig auf den Wasserbereich aus. Hinzu kommt, dass die kommunalen Gesellschafter auf Dividendenzahlungen nicht verzichten wollen. Die infolge der Inflation stark gestiegenen Beschaffungspreise und die erforderlichen Investitionen für mehr Klimaresilienz und Cybersicherheit konnten die Wasserversorger auch trotz größter Anstrengungen nicht kompensieren. Diese Entwicklung musste zwangsläufig in Preis- und Gebührensteigerungen münden. Das wird aber nicht das Ende der Fahnenstange sein. So hat NRW‘s Umweltminister Olaf Krischer zum Auftakt der Landeswasserstrategie die Wasserversorger in NRW ermuntert, stärker in ihre Netzinfrastruktur zu investieren und ihre Systeme klimaresilienter zu gestalten.
Auch strukturelle Entwicklungen bei den Wasserentgelten sind absehbar. So hat der niedersächsische Umweltminister Christian Meyer für die Erarbeitung des „Masterplan Wasser“ sogenannte „dynamische Wasserpreise“ ins Spiel gebracht, um die Nachfragespitzen in den Sommermonaten mit höheren Preisen möglichst zu dämpfen. Auch andere Bundesländer denken in diese Richtung. Das wäre ein weiterer wichtiger Entwicklungsschritt bei der verursachungsgerechten und kostendeckenden Gestaltung der Wasserentgelte. Die Voraussetzung hierfür sind fernauslesbare Funkwasserzähler. Der Blick auf die Energiewirtschaft zeigt, wie schwer und lang der Weg hin zu diesem Entwicklungsschritt noch sein könnte. Wenn die Politik die richtigen Leitplanken bietet, bleibt das Niveau der Wasserversorgung auf hohem Niveau und die Wassertarife kostendeckend und fair.
Methodik
Seit mehr als zehn Jahren erfasse und untersuche ich Wasserentgelte und deren Veränderungen und Dynamiken sowie die zugrundeliegenden Treiberfaktoren. Die Erkenntnisse fließen ein unsere gemeinsamen Wasserpreis-Beratungsprojekte mit der Unternehmensberatung MOcons.
In NRW erfolgt die Analyse maßgeblich bei 30 Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern (Stand 2018) zu jeweils drei Stichtagen im Jahr. Bei den vorstehend genannten Verbrauchsfällen handelt es sich um ein Einfamilienhaus-Haushalt mit 150 Kubikmetern und um einen Haushalt in einem Dreifamilienhaus mit 120 Kubikmetern jährlicher Wasserabnahme, zwei der branchenüblichen sogenannten „Typfälle“. In der Analyse werden auch zwei Städte berücksichtigt, die Gebühren anstelle von Preisen erheben.
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