Eine Lösung für das Wasserdilemma. Wie die EU die Gebrauchtwasser-Nutzung forcieren will

Der Zeitpunkt könnte kaum besser gewählt sein. Europaweit wird nach Alternativen zum Frischwasser gesucht. Von Natur aus ist der Wasserhaushalt ein Kreislauf. Die Einleitung des Abflusswassers aus der Kläranlage in den Fluss läßt wichtige Potenziale ungenutzt. EU-weit und international zielen zahlreiche Projekte auf die Gebrauchtwassernutzung ab. Ganz oben auf der Agenda stehen Landwirtschaft und Industrie. Um das Thema zu forcieren, hat die EU-Kommission in der vergangenen Woche sogenannte Leitlinien zur sicheren Verwendung von Gebrauchtwasser in der Landwirtschaft veröffentlicht. Unterstützung kommt auch von der Europäischen Umweltagentur, sie weist der Abwasserbehandlung eine wichtige Rolle für die schadstofffreie Zukunft der EU zu. Unklar ist aber immer noch die Finanzierung derartiger Projekte jenseits der öffentlichen Förderung.

Leitlinien zur Wiederverwendung von Wasser – Lebensmittelsicherheit und öffentliche Akzeptanz

Am vergangenen Mittwoch hat die EU-Kommission Leitlinien zur Verwendung von geklärten Abwässern in der Landwirtschaft veröffentlicht. Sie sollen helfen, den sicheren Verkehr von Lebensmitteln, die mit aufbereitetem Wasser angebaut werden, in der gesamten EU sicherzustellen, so die Brüsseler Behörde. Die Verordnung war 2020 auf den Weg gebracht worden, die Leitlinien sollen nun bei der Umsetzung unterstützen. Die in 2020 erlassenen neuen Vorschriften enthalten harmonisierte Mindestanforderungen an die Wasserqualität und deren Überwachung sowie Transparenzvorschriften für die sichere Wiederverwendung von behandeltem kommunalem Abwasser in der landwirtschaftlichen Bewässerung. Damit soll sowohl etwas gegen Wasserverschwendung und für die Anpassung an den Klimawandel als auch für die Sicherheit von Lebensmitteln und die Umwelt getan werden.

Die Wiederverwendung von Wasser könne Oberflächengewässer und Grundwasser entlasten. Darüber hinaus soll eine effizientere Bewirtschaftung der Wasserressourcen durch die Mehrfachnutzung von Wasser innerhalb des städtischen Wasserkreislaufs im Einklang mit den Zielen der EU im Rahmen des europäischen Green Deals gefördert werden, so die EU-Kommission.

Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedsstaaten, die die Wasserwiederverwendung für die landwirtschaftliche Bewässerung praktizieren, allgemeine Sensibilisierungskampagnen zu organisieren, die die Förderung der Vorteile einer sicheren Wasserwiederverwendung umfassen könnten. Dabei soll es den Mitgliedstaaten überlassen sein, den Umfang und den Ton solcher Kampagnen an ihre spezifischen Umstände anzupassen. So sollen sie auch spezifische Informationskampagnen für Endverbraucher durchführen können, um gegebenenfalls die Verwendung von aufbereitetem Wasser als sichere und nachhaltige Alternative zur Bewässerung zu fördern und seine optimale und sichere Verwendung zu gewährleisten. Dadurch werde ein hohes Maß an Schutz für die Umwelt und den Menschen erreicht und für die Tiergesundheit. Die EU-Kommission schätzt solche Informationskampagnen als nützlich ein, um mögliche öffentliche Bedenken hinsichtlich der Wasserwiederverwendung auszuräumen. Die Informationen sollen dazu beitragen können, eine breite Unterstützung für die Einrichtung eines Wasserwiederverwendungssystems sicherzustellen. Um Vertrauen und Akzeptanz zu schaffen, empfehle es sich, Stakeholder frühzeitig einzubeziehen und Botschaften sorgfältig zuzuschneiden, persönliche Erfahrungen zu nutzen und standortspezifische Herausforderungen anzugehen. Bewährte Verfahren deuteten darauf hin, dass mehrere Ebenen der Beteiligung von Öffentlichkeit und Interessenvertretern effektiv sein können, um ein breites Publikum zu erreichen, angefangen von gezielten Sensibilisierungskampagnen bis hin zu Bürgerbefragungen und einer stärkeren Beteiligung von Interessengruppen an der Planung und Entscheidungsfindung.

Auch im kürzlich veröffentlichten Kommissionsvorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie über Industrieemissionen wird eine effizientere Wassernutzung in allen industriellen Prozessen, einschließlich der Wiederverwendung von Wasser, gefordert. Noch 2022 will die Kommission einen Vorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser vorlegen. 

Finanzierung eine wichtige Barriere

Die European Young Engineers (EYE), eine Non-Profit-Organisation, die mehr als 300.000 junge Ingenieure in 25 Staaten Europas repräsentiert, haben im Juli 2022 in einem Policy Paper eine der wesentlichen Barrieren bei der Realisierung von Wasserwiederverwendungsprojekten aufgezeigt: die Finanzierung. Beginnend bei der Forschung bis hin zur Ausführung, benötigen die Projekte ausreichende Finanzierung. Der Mangel an Finanzierungsmitteln könnte das Haupthindernis für die Durchführung von Wasserwiederverwendungsprojekten sein. Laut EYE gibt es viele Möglichkeiten, Projekte finanziell zu unterstützen. Insbesondere die Europäische Union, aber auch andere Institutionen, seien bei der Entwicklung zukünftiger Wasseraufbereitungspläne gefragt. Im Mittelpunkt stehe bei der EU das Programm „Horizon“. Aus dessen Gesamtfundus der Jahre 2021 bis 2027 mit rund 95,5 Milliarden Euro könnten laut EYE aus dem rund 9 Milliarden Euro schweren Teilprogramms „Bio-Ökonomie und natürliche Ressourcen“ auch Mittel für die Forschung und Entwicklung von Wasserwiederverwendungsprojekten in Europa bereitgestellt werden.

In Deutschland hat zur Entwicklung innovativer Technologien und Konzepte zur Wasserwiederverwendung und Entsalzung das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Februar 2021 die Fördermaßnahme „Wassertechnologien: Wiederverwendung“ (WavE II) gestartet. Sie baut auf der Fördermaßnahme WavE – Zukunftsfähige Technologien und Konzepte zur Erhöhung der Wasserverfügbarkeit durch Wasserwiederverwendung und Entsalzung auf, die 2016 gestartet worden war. Die Forschungsschwerpunkte liegen auf den Themenfeldern: Kreislaufführung von industriell genutztem Wasser, Aufbereitung von salzhaltigem Grund- und Oberflächenwasser und Wasserwiederverwendung durch Nutzung von behandeltem kommunalem Abwasser. Die BMBF Fördermaßnahme WavE II ist ein Teil des Bundesprogramms „Wasser-Forschung und Wasser-Innovationen für Nachhaltigkeit – Wasser:N“ innerhalb des Rahmenprogramms „Forschung für Nachhaltige Entwicklung“ (FONA). Vom 7. bis 8.02.2023 findet zur Fördermaßnahme „Wassertechnologien: Wiederverwendung“ in Frankfurt eine Statuskonferenz statt.

Abwasserbehandlung muss zirkulär erfolgen, die Linearität beläßt Ressourcen-Potenziale unausgeschöpft

Effizientere und kreislauffähige Kläranlagen in Europa könnten zur Erreichung der Nullverschmutzungsziele beitragen – darauf hat die Europäische Umweltagentur (EEA) Anfang Juli in dem Bericht „Beyond water quality – Sewage treatment in a circular economy“ hingewiesen. Die Behandlung von kommunalem Abwasser hat sich auf die Reinigung von Wasser konzentriert, um es in die Umwelt zurückzuführen – ein linearer Ansatz. Es gibt jedoch ein erhebliches Potenzial, ressourceneffizienter und viel zirkulärer zu werden, wie durch Innovationen für Wasserversorger in einigen Ländern demonstriert wird, um klimaneutrale Ziele für den Betrieb bis 2030 zu erreichen.

Kommunale Abwasserbehandlungsanlagen können aus Sicht der EEA als „Ressourcenknotenpunkte“ fungieren, die integraler Bestandteil der Ressourcenrückgewinnung sind, und nicht nur als eine Form der Abfallbewirtschaftung. Aufbereitetes Wasser, Energie, Nährstoffe und organische Materialien haben alle ein nachgewiesenes Potenzial für die Wiederverwendung, das Recycling und die Rückgewinnung.

Wirtschaftliche Anreize für das Recycling und günstigere gesetzliche Rahmenbedingungen sind erforderlich, so die EEA, um zirkuläre Ansätze für die Behandlung von kommunalem Abwasser auszuweiten, damit rückgewonnene Ressourcen auf den Markt gelangen können, während rechtliche Hindernisse, die die Nutzung solcher Ressourcen einschränken – zum Beispiel behandelter Klärschlamm – überprüft werden sollten.

Ein großes Hindernis für die Verwirklichung der Zirkularität sind die persistenten Schadstoffe, die sich schwer abbauen lassen, die in kommunales Abwasser eingeleitet oder abgeführt werden können, die dann aufwändig entfernt werden müssen und den Klärschlamm kontaminieren können. Es sind vorgelagerte Maßnahmen erforderlich, um diese durch Beschränkungen, Kontrollen an der Quelle und die Entwicklung nachhaltigerer Alternativen zu den derzeit verwendeten Schadstoffen aus dem Abwasser fernzuhalten, heißt es in dem EEA-Bericht.

Der Übergang zu einer auch das Abwasser umfassenden Kreislaufwirtschaft erfordere aber nicht nur einen Wandel in den rechtlichen und institutionellen Ansätzen, sondern auch in der Art und Weise, wie die Bürger*innen individuelle und kollektive Verantwortung für die Abwasserentsorgung wahrnehmen. Naturbasierte Lösungen, die Vorteile wie Grünflächen und Hochwasserschutz bieten – zum Beispiel Schilfbeete – könnten auf lokaler Ebene Unterstützung finden, so die EEA.

Zusammenfassend appelliert die EEA an alle Akteure. „Um die Ziele des europäischen Grünen Deals zu erreichen, ist eine grundlegende Überprüfung menschlicher Aktivitäten erforderlich, um Ansätze zu finden, die zu langfristiger Nachhaltigkeit führen können. Der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor Abwässern erfordert nicht unbedingt das große Infrastrukturprogramm, das wir bisher entwickelt haben. Dezentrale Ansätze, einschließlich naturbasierter Lösungen wie Schilfgürtel, ermöglichen eine effektive Abwasserbehandlung mit geringem Aufwand und erzeugen gleichzeitig lokale Umweltvorteile wie Grünflächen. Große UWWTPs können zu energieeffizienten Ressourcenzentren werden, die Wiederverwendung und Recycling fördern. Während die Behandlungslösung an einem bestimmten Ort die lokale Situation widerspiegeln muss, sind nachhaltigere Ansätze verfügbar und müssen ermöglicht werden.

Das Erreichen einer Kreislaufwirtschaft in der Abwasserbehandlung ist ein langfristiges Projekt und hängt von mehreren Mitwirkenden ab, viele davon außerhalb des Wassersektors. Zu den Interessenvertretern zählen neben Wassermanagern auch Bürger, der Chemiesektor und Stadtplaner, während Innovationen und entsprechende Gesetze auf allen Ebenen erforderlich sind, zusammen mit Bemühungen um die Schaffung tragfähiger Märkte für Recyclingprodukte. Das müssen wir tun, um zu dem vom Grünen Deal geforderten Nachhaltigkeitsniveau überzugehen“, so die Europäische Umweltagentur.

Finanzierung und Akzeptanz – die Barrieren sind hoch, aber überwindbar

Das Thema Wasserwiederverwendung wird auch in Deutschland unter den gegebenen Umständen eine zunehmende Bedeutung erlangen. Entscheidend wird es darauf ankommen, die dafür erforderlichen Finanzierungsmittel bereit zustellen oder geeignete Preissysteme zu entwickeln und die Akzeptanz in der Öffentlichkeit und bei den Wassernutzern zielgerichtet aufzubauen. Ein entscheidender Schlüssel zum Erfolg wird ohne Frage die Störstoffminderung im Abwasser sein, aus dem das Wasser zur Wiederverwendung „gewonnen“ werden soll. Je erfolgreicher die Vermeidung sein wird, desto geringer die Aufbereitungserfordernisse und umso geringer die Kosten. Verliert das Abwasser seinen „Schrecken“, dann steigt auch die Akzeptanz bei den potenziellen Nutzern des Gebrauchtwassers. So wäre es möglich, einen Beitrag dazu zu leisten, das sich in vielen deutschen Regionen verschärfende Wasserdilemma und die damit einhergehenden Nutzungskonkurrenzen zu bewältigend gleichzeitig den Aufbau einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft im Wassersektor zu forcieren.

Quellen / Weiterführendes

Beitragsfoto: Canstock

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