Mexiko City‘s drohender „Day Zero“ und die Präsidentschaftswahlen am 2. Juni

Das Zusammentreffen von ungeregeltem urbanen Wachstum, von Klimawandel und vernachlässigter Infrastruktur hat Mexiko-Stadt in eine schwere Wasserkrise gestürzt. Einige Wasser-Reservoirs sind so tief gesunken, dass sie nicht mehr für die Wasserversorgung genutzt werden können. Wegen schwindender Grundwasserstände sinkt die Stadt zudem immer weiter ab. Über eine Million Haushalte verfügen über keine geregelte Trinkwasserversorgung und sind auf Tankfahrzeuge und Flaschenwasser angewiesen. Das vergangene Jahr war das heißeste und trockenste in Mexiko seit mindestens 70 Jahren. Jetzt droht der Stadt in diesem Sommer der Day-Zero, der Tag Null, wenn die Pegel so weiter sinken. Ob das auch etwas mit den Präsidentschaftswahlen zu tun hat? Jedenfalls ist eine aussichtsreiche Kandidatin nicht nur Mitglied des Weltklimarats gewesen, sondern auch die Bürgermeisterin von Mexico-City. Für Spannung ist gesorgt.

Sinkende Metropole steht kurz vor dem Day Zero

Die dicht besiedelte Mexiko-Stadt erstreckt sich auf einem ehemaligem Seebett auf über 2.200 Meter über dem Meeresspiegel. Die Azteken errichteten die Stadt auf einer Insel in einem Seebett, das mit der wachsenden Bevölkerung immer mehr trockengelegt wurde. Die wasserwirtschaftlichen Bedingungen waren zu den Zeiten der Azteken deutlich besser. Heute erhält Mexiko-Stadt etwa ein Viertel seines Wassers aus dem Cutzamala-System, einer Reihe von Stauseen, Wasseraufbereitungsanlagen und langen Kanälen und Tunneln. Infolge der historischen Dürre trocknen sie aus. Damit droht der „Day Zero“. Erwartet wird er bis zum 26. Juni 2024. Dann wäre das System nicht mehr in der Lage, Wasser zu liefern.

Einige Wissenschaftler beruhigen, Regenfälle könnten diese Katastrophe abwenden. Und dennoch: seit dem 21. Mai liegt das Cutzamala-System bei 28 Prozent seiner Kapazität, so die Basin Agency for the Valley of Mexico. Damit ist ein historisches Tief erreicht. Was das Cutzamala-Stausystem nicht liefern kann, steuern 2.000 Pumpen aus dem Untergrund bei. Aber die 22 Millionen-Einwohner-Metropole wurde auf lehmreichem Boden gebaut. Daher werden die schwindenden Grundwassermassen ein Problem. Die Metropole sinkt jährlich um 25 Zentimeter. Wie die Autoren der Studie “ Over a Century of Sinking in Mexico City“ berichten, ereignen sich die Senkungen ausgerechnet in jenen Stadtvierteln, in denen sozial schwache Bevölkerungsschichten leben. Diese Absenkungen führen zu Schäden an Gebäuden und Infrastruktur. „Es ist vielleicht einer der letzten Orte, an denen sich heute jemand mit Vernunft für den Bau einer Megastadt entscheiden würde„, so die Autoren in einem bezeichneten Fazit.

Obwohl Regen dazu beitragen würde, die Belastung des Systems langfristig zu lindern, könnte es auch „ein falsches Gefühl der Sicherheit“ in einer Stadt verursachen, die weniger Wasser verbrauchen und eine bessere Infrastruktur schaffen muss, um Regenfälle zu nutzen, sagte Christina Boyes, Professorin für internationale Studien am Center for Economic Research and Teaching in Mexiko-Stadt gegenüber der Washington Post. Der Kern der Probleme liegt deutlich tiefer und hat viel mit politischem Missmanagement zu tun.

Der Dürremonitor in Mexiko zeigt zahlreiche Regionen mit „ausserordentlicher Dürre“

Wasserkrise überschattet Präsidentschaftswahlkampf

Die Wasserkrise trifft nicht nur die Metropole. Missmanagement und unzureichende Investitionen sind ein landesweites Problem. Der drohende Day Zero in Mexiko-Stadt beeinflusst auch die Präsidentschaftswahlen. Am 2. Juni wird ein neuer Präsident gewählt – besser Präsidentin, denn am ausichtsreichsten sind zwei Kandidatinnen. Eine davon ist die frühere Bürgermeisterin von Mexiko-City, Claudia Sheinbaum, eine renommierte Umweltwissenschaftlerin, die unter anderem den mit dem Nobelpreis ausgezeichneten IPPC-Report 2007 mit verfasst hat. Sie wird deshalb von den politischen Gegnern für ihre Untätigkeit bei der Bewältigung der Wasserkrise verantwortlich gemacht. Sheinbaum werden große Chancen eingeräumt, als erste Frau das mexikanische Präsidentenamt zu übernehmen.

Dass eine Wasserkrise auch Thema in den Präsidentschaftswahlen wird und diese wahlkampftaktisch instrumentalisiert werden könnte, haben wir jüngst in Südafrika erlebt. Darüber hatte mein Kollege Prof. Mark Oelmann jüngst in diesem Blog in seinem „Brief aus Kapstadt“ berichtet.

Die Liste der Ursachen für die Krise ist lang

Raúl Rodríguez Márquez, Präsident des gemeinnützigen Wasserbeirats, Consejo Consultivo del Agua, glaubt nicht, dass die Stadt in diesem Jahr einen Tag Null erreichen wird – aber das setze voraus, dass strukturelle Änderungen umgehend eingeleitet werden. So warf er der Bundesregierung vor, die Haushaltsmittel für Wasserwirtschaft in Mexiko trotz der sich seit langem abzeichnenden Krise gekürzt zu haben. Vielerorts werden die Wasserentnahmen nicht erfasst und somit werden auch keine Wasserpreise bezahlt. Dort, wo für Trinkwasser gezahlt werden muss, seien die Preise nicht kostendeckend. Die Unterfinanzierung macht die Infrastruktur abhängig von öffentlichen Mitteln. Aber die erfüllen bei weitem nicht die Anforderungen.

Ein weiteres Problem seien Wasserleckagen. So gehen bis zur Hälfte des Wassers durch undichte Leitungen verloren. Das dürfte ein Grund dafür sein, dass in Mexiko pro Einwohner und Tag etwa 360 Liter Wasser verbraucht werden. Und dass, obwohl viele Haushalte noch gar nicht an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen sind. Allein in der Metropolregion Mexico-City haben mehr als 1,1 Millionen Häuser keinen Zugang zu sauberem Wasser und über eine halbe Million keinen Zugang zu angemessenen sanitären Einrichtungen (2). Diese Menschen sind auf teure Wassertanklieferungen oder Flaschen angewiesen sind. „Mexiko ist der größte Markt der Welt für Wasser in Flaschen“, sagte Roberto Constantino Toto, der die Wasserforschung der Metropolitan Autonomous University in Mexiko-Stadt leitet. „Es ist ein Spiegelbild“, fügte er hinzu, „des Scheiterns unserer Wasserpolitik“.

Künftige Präsidentin wird Wasserpolitik zum Top-Thema machen müssen

Consejo Consultivo del Agua hat anlässlich der Präsidentschaftswahlen einen 10-Punkte-Plan aufgestellt, der zur Bewältigung der Krise beitragen könnte. Ganz oben auf der Agenda steht die Forderung nach einer stärkeren Finanzierung der Wasserinfrastruktur. Die Haushaltsmittel des Bundes für Wasser waren erst kürzlich gekürzt worden. Zudem sollen kostendeckende Wassertarife eingeführt werden, bei denen sozial Schwächere durch Subventionen entlastet würden.

Tatsächlich würde eine Präsidentin Sheinbaum dort eingreifen. Wie das Nachrichtenmagazin Reuters berichtet, zielt sie darauf ab, das Wassermanagement des Agrarsektor mit einer Investition von 20 Milliarden Pesos (1,2 Milliarden Dollar) pro Jahr zu modernisieren. Der Agrarsektor braucht 77 Prozent des Wassers. Julio Berdegue, einem Mitglied von Sheinbaums Wahlkampfteam, zufolge solle der Sechsjahresplan darauf abzielen, bestehende Wasserkonzessionen zu überprüfen, gegen illegale Nutzung von Wasser vorgehen, die Bewässerungstechnologie aktualisieren und die nationale Wasseragentur CONAGUA zu reorganisieren.

Mexikos Wasserrisiken sieht der Finanzmarkt zunehmend kritischer

Mexikos Wasserknappheit und unzureichende Infrastruktur haben auch die Rating-Agenturen in ihren Analysen im Blick. Standard & Poors bezeichnet in ihrer jüngsten Analyse aus April 2024 acht der 32 Bundesstaaten des Landes als von extremer bis mäßiger Dürre betroffen. S&P Global Ratings geht davon aus, dass sich dieser Trend angesichts der zunehmenden Dürreereignisse, unzureichender Investitionen in Wasserinfrastruktur sowie begrenzter Wasserressourcen bereits in diesem Jahrzehnt verschlechtern könnte. Infolgedessen erwartet S&P, dass die Anzahl der Bundesstaaten mit Wasserstress bis zum Jahr 2050 von aktuell 9 auf dann 20 von insgesamt 32 Bundesstaaten mehr als verdoppeln wird. Damit sind aus Sicht der Agentur gravierende Risiken für die Wirtschaft und Finanzen verbunden.

Zu diesen Risiken erklärt Standard & Poors: „Wenn die finanziellen Auswirkungen der hohen Wasserknappheit auf die mexikanischen Bundesstaaten deutlich werden – beispielsweise wenn erhebliche Kapitalausgaben für die Wasserinfrastruktur die Budgets belasten –, berücksichtigen wir diese Risiken in unserer Kreditanalyse. Da die Belastung der Wasserressourcen zunimmt, bestehen die Risiken einer Verschlechterung des Wirtschaftswachstums und der öffentlichen Finanzen sowie in Störungen der Wasserversorgung der Bevölkerung, die zu sozialen Unruhen oder Auswanderung führen könnten. Diese Faktoren könnten die Bundes- und Kommunalregierungen dazu zwingen, kostspielige Notfallmaßnahmen zu ergreifen, was ihre finanzielle Leistungsfähigkeit schwächt.“ Das sind für die neue Präsidentschaft sicher nicht die einzigen Herausforderungen, aber ganz sicher nicht die einfachsten.

Stürmische Zeiten stehen bevor

Viele Pläne liegen in den Schubladen. Es mangelt womöglich nicht an gutem Willen, ganz sicher aber an den Finanzen. Es wird noch dauern, bis die Unzulänglichkeiten angegangen werden können. In der Zwischenzeit müssen die Bewohner einen Weg finden, sich an die Wasserknappheit anzupassen – und es ist unklar, wie lange. Die Meteorologen haben für die ersten Juni-Tage starke Regenschauer und Gewitter prognostiziert. Unruhig dürfte es nicht nur wegen des Wetters werden, nach den Wahlen werden stürmische Zeiten auf die neue Regierung in Mexiko zukommen.

Überflutung im mexikanischen Yucatan im Februar 2024
(Foto: Leonie Gendries)

Quellen

Beitragsfoto: Kasper Christensen / flickr

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