Informationsfreiheit zu Pestizideinsätzen beschäftigt in Baden-Württemberg die Gerichte

Trotz des Rechts auf Transparenz erhalten die Landeswasserversorgung und der NABU keine Daten über Pestizideinsätze

Wie es um die Transparenz bei Umweltinformationen steht, lässt sich mit wachsendem Staunen in Baden-Württemberg beobachten. Naturschützer und Wasserversorger wollten wissen, wo Landwirte Pestizide einsetzen, wieviel und wo. Die Landesregierung macht diese Daten aber trotz dreier Gerichtsurteile nicht zugänglich.

Was ist Informationsfreiheit wert, wenn Daten zurückgehalten werden?

Der Zweckverband Landeswasserversorgung und der NABU hatten die Landwirtschaftsverwaltung des Landes aufgefordert, die nach Maßgabe des Pflanzenschutzgesetzes (§ 11 PflSchG) ohnehin erfassten Aufzeichnungen der landwirtschaftlichen Betriebe über ausgebrachte Pflanzenschutzmittel anonymisiert weiterzugeben. Wissen wollten sie, welche Pestizide wann und wo, in welchen Mengen und auf welcher Kulturpflanze ausgebracht worden sind – und zwar in sämtlichen Naturschutzgebieten des Regierungspräsidiums (RP) Freiburg, im Wasserschutzgebiet Egautal und im Naturschutzgebiet Kalkofen (Enzkreis) in einem Zeitraum von drei Jahren. Bislang wiesen die Behörden jegliches Informationsrecht zurück.

Gerichte stärken bestehendes Recht auf Informationsfreiheit beim Pestizideinsatz

Der NABU Baden-Württemberg und der Zweckverband Landeswasserversorgung hatten in insgesamt sechs unterschiedlichen Verfahren geklagt. Zu drei Verfahren der Verwaltungsgerichte Karlsruhe, Stuttgart und Freiburg liegen nun erstinstanzliche Urteile vor. Die Gerichte gaben den beiden Verbänden nun in allen Punkten ihrer jeweiligen Klagen recht. Das Informationsrecht sei ein Jedermannsrecht, die Landesverwaltung stütze sich auf einen europarechtswidrigen Paragraphen im Bundespflanzenschutzgesetz und handle damit selbst europarechtswidrig, so der Tenor der drei Gerichte.

Die Urteile haben Signalwirkung für drei weitere Verfahren, die noch in den Regierungsbezirken Stuttgart, Tübingen und Karlsruhe anhängig sind. Sie besitzen Bedeutung für andere Bundesländer und sogar für die gesamte EU, da der Entscheidung der Gerichte Richtlinien und Verordnungen der EU zugrunde liegen.

Laut SWR ist das Land – vertreten durch die Regierungspräsidien Stuttgart, Karlsruhe und Freiburg – gegen alle Urteile in Berufung gegangen. Die Verwaltung trage keine Daten für eine Gesamtstatistik zusammen, die veröffentlicht werden könnten, hieß es aus dem zuständigen Agrarministerium. Die geforderten Daten lägen der Verwaltung schlichtweg nicht vor.

Wasserversorger benötigen die Transparenz für mehr Sicherheit

„Liegen die Daten vor, können Wasseruntersuchungen deutlich wirtschaftlicher und effizienter gestaltet werden. Unser aller Trinkwasser kann so besser geschützt werden,“ begründet Prof. Dr. Frieder Haakh, Geschäftsführer des Zweckverbands Landeswasserversorgung, den Informationsbedarf des Wasserversorgers. „Nicht nur der Naturschutz, auch wir Wasserversorger sehen den Einsatz von Pestiziden in Natur- und Wasserschutzgebieten schon lange kritisch. Wir fordern das Land seit Jahren zu umfassender Transparenz im Umgang mit Stoffen auf, die das Trinkwasser gefährden können – bislang erfolglos. Nach diesen klaren Urteilen erwarten wir nun einen Kurswechsel und die Offenlegung der Daten. Ohne diese Informationen suchen wir quasi nach der Nadel im Heuhaufen.“ Von 285 Wirkstoffen, die in Deutschland in Pflanzenschutzmitteln erlaubt seien, untersuche man aus Kostengründen derzeit nur rund 120. „Wenn ich weiß, was angewendet wird, kann ich gezielt danach suchen“, so Haakh gegenüber dem SWR.

Unterstützung im Rechtsstreit kommt vom Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI), Dr. Stefan Brink: „Die Urteile sind ein klarer Auftrag an die Landesregierung, für mehr Transparenz im Umgang mit Pestiziden zu sorgen. Baden-Württemberg agiert bislang zu zögerlich in Sachen Informationsfreiheit. Hier gibt es nichts zu deuteln: Die Daten zur Pestizidausbringung müssen auf den Tisch, alles andere widerspräche der europarechtlichen Transparenzpflicht.“

Auf die Entscheidung des Landes, gegen die Gerichtsurteile Berufung einzulegen, reagieren NABU-Landeschef Enssle und LW-Geschäftsführer Haakh mit Stirnrunzeln. Man frage sich schon, wie viele Gerichtsurteile es brauche, damit das Landwirtschaftsministerium das Bürgerecht auf Informationsfreiheit in dieser Angelegenheit endlich respektiere. Dabei seien die jetzigen Urteile doch eigentlich eine gute Möglichkeit, um auf dem Weg der jüngst beschlossenen Pestizidreduktion voranzukommen und die Erfolge messbar zu machen. „Wir brauchen Transparenz und eine solide Faktengrundlage, um überprüfen zu können, ob die im Landtag beschlossenen Ziele zur Pestizidreduktion auch wirklich erreicht werden“, macht Enssle deutlich.

NABU und Landeswasserversorgung: „Zur Not ziehen wir durch alle Instanzen“

Enssle bedauert, dass NABU und Landeswasserversorgung erst klagen müssen, um diese grundsätzlichen Bürgerechte in Baden-Württemberg durchzusetzen. „Das sind doch unhaltbare Zustände“, findet Enssle. Dem NABU gehe es dabei nicht darum, einzelne Landwirte oder die Landwirtschaft im Allgemeinen an den Pranger zu stellen: „Wir haben die Daten anonymisiert angefordert, denn es geht uns nicht um Personen, sondern darum, den Einfluss der landwirtschaftlichen Pestizide auf unsere Umwelt besser zu verstehen.“ An die Landwirtschaft gerichtet, sagt Enssle deshalb: „Wer einen sachlichen Umgang mit dem Thema Pflanzenschutz verlangt, muss bereit sein, dafür Transparenz herzustellen.“

NABU und LW wollen im Interesse des Natur- und Gewässerschutzes weiterkämpfen. Schon 2018 hatte es einen Diskurs gegeben. Trotz Ankündigung schwieg der Minister seitdem. „Wir setzen weiterhin auf das Wort des Ministers und sind zu Gesprächen über die konkrete Umsetzung bereit. Im Kern der Sache bleiben wir hartnäckig. Zur Not ziehen wir durch alle Instanzen“, kündigen Enssle und Haakh an.

Vielleicht hat der Minister ein falsches Verständnis vom Verbraucherschutz

Die Urteile scheinen so eindeutig, dass man sich fragt, was die Offenlegung verhindern mag. „Dieser Anspruch auf Verschaffung des Zugangs zu Umweltinformationen ist soweit erforderlich – mittels Verwaltungsakt gegenüber dem Umweltinformationen bereithaltenden privaten Dritten zu vollziehen, wofür in Art. 67 Abs. 1 UAbs. 2 Satz I EU-Pflanzenschutz-VO die erforderliche Ermächtigungsgrundlage zu finden sein dürfte“, urteilten die Richter des Verwaltungsgerichts Freiburg.

Vielleicht liegt das Problem auch in der Zuständigkeit der Ministerien in Baden-Württemberg: anders als in vielen anderen Bundesländern sind die Fachgebiete Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Umwelt in Baden-Württemberg auf zwei Ministerien verteilt. Das wäre aber ganz sicher nur die halbe Wahrheit, denn selbst wenn Umwelt nicht zu Agrar gehört, der Verbraucherschutz tut es – und um die Verbraucher geht es doch letztendlich auch. Wie schrieb mir ein geschätzter Kollege, der mir den Tipp für dieses Thema gab, „Eine sicher auch für Wasserversorger in anderen Bundesländern und für die TrinkwassernutzerInnen interessante Nachricht: Was „versteckt“ die baden-württembergische Landesverwaltung vor ihren Bürgern?“ Vielleicht werden wir es bald erfahren…

Quellen/Weiterführendes

Hintergrundpapiere zum Informationsrecht im Pestizidstreit:

Hintergrundpapier von NABU und Landeswasserversorgung zu den Pestizidurteilen

Hintergrundpapier der Landeswasserversorgung zu den Pestizidurteilen

Gerichtsurteile zum Informationsrecht im Pestizidstreit:

Pestizidklage Wasserschutzgebiet Kalkofen, Verwaltungsgericht Karlsruhe vom 30.01.2020, Aktenzeichen 9 K 8441/18

Pestizidklage Wasserschutzgebiet Egautal, Verwaltungsgericht Stuttgart vom 10.06.2020, Aktenzeichen 14 K 9469/18

Pestizidklage Wasserschutzgebiete RP Freiburg, Verwaltungsgericht Freiburg vom 13.07.2020, Aktenzeichen AZ: 10 K 1230/19

Beitragsfoto: Gendries

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