Es sollte der große Wurf werden: die EU-Trinkwasserrichtlinie. Der Kommissionsentwurf für die lange überfällige Novellierung wurde Anfang Februar in Brüssel vorgestellt. Viele Punkte darin könnten die Qualität des Trinkwassers auch in bisher benachteiligten Regionen Europas verbessern und die Informationen darüber transparenter machen. Aber nicht überall stösst der Vorschlag aus Brüssel auf Begeisterung. Die Nationalstaaten fühlen sich in ihren Zuständigkeiten beschnitten und lehnen einen Großteil der Vorschläge ab. Soeben ist die Ratspräsidentschaft von Bulgarien auf Österreich übergegangen, damit nehmen die Alpennachbarn in den nächsten sechs Monaten eine Schlüsselrolle ein. Es lohnt ein Blick dorthin.
EU-Kommission will den Zugang und die Qualität des Trinkwassers in Europa verbessern
Bei der Novelle zur EU-Trinkwasserrichtlinie waren vorgeblich auch die Forderungen von right2water aufgenommen worden, zumindest soweit es um den Zugang zu Trinkwasser ging – auch wenn deren Initiatoren etwas anderes im Sinn hatten. So sollen öffentlich zugänglich Trinkbrunnen die Plastikflaschen ersetzen. Zudem möchte die EU-Kommission die Verbraucherinformation zu Wasser verbessern sowie die Qualität des wichtigsten Lebensmittels durch eine neue risikobasierte Bewertung der Sauberkeit des Wassers sichern. Fünf Monate später kommt die Ernüchterung. Zunächst an 25.6.2018 im EU-Umweltrat. Dort haben die EU-UmweltministerInnen mehrere Kritikpunkte am neuen Vorschlag zur Trinkwasserrichtlinie der EU-Kommission geäußert. So wurden Vorschläge für Trinkwasserbrunnen in öffentlichen Gebäuden mehrheitlich abgelehnt. Grund: Das sei Sache der Nationalstaaten. Zudem ging es um eine vorgeschlagene Erweiterung der Liste von Schadstoffen, deren Gehalt im Trinkwasser überwacht werden muss, sowie um die Verschmutzung des Trinkwassers durch Kontaktmaterialien, also Stoffen, die beispielsweise in Rohren für Wasserleitungen oder Armaturen verwendet werden. Die EU-Kommission wollte dies über die Bauprodukteverordnung regeln. Das missfiel einige EU-MinisterInnen. Sie plädierten für einen Anhang, in dem die Stoffe gelistet sind, die mit Trinkwasser in Kontakt kommen dürften.(hier geht es zum Protokoll). Bundesumweltministerin Svenja Schulze betonte die Notwendigkeit der Verzahnung mit der Wasserrahmenrichtlinie und begrüßte den risikobasierten Ansatz, auch wenn sie noch Verbesserungsbedarf erkannte. (siehe Videoprotokoll in deutscher Sprache).
Aber nicht alles wurde abschliessend erörtert. Schwergewichtsthemen wie Wasserwiederverwendung und Kommunikation werden unter österreichischer Präsidentschaft geregelt.
Österreicher fürchten Privatisierung und höhere Wasserpreise
Deswegen lohnt jetzt ein Blick nach Österreich. Dort formt sich bereits Widerstand gegen Teile der EU-Trinkwasserrichtlinie, und dieser bekommt durch die Wiener Ratspräsidentschaft ein stärkeres Gewicht. So wendet sich der für Konsumentenschutz zuständige niederösterreichische Landeshauptmann von der SPÖ, Franz Schnabel, gegen die geplante Überregulierung bei der Qualitätssicherung des Trinkwassers. „Wir sind in Niederösterreich in der glücklichen Lage, über qualitativ hochwertiges Trinkwasser in ausreichender Menge zu verfügen. Es haben sich effiziente Strukturen – wie etwa die Wasserleitungsverbände – etabliert, um die uns andere Länder beneiden. Diese wollen wir erhalten und stärken, damit es zu keiner Liberalisierung des Wassersektors kommen kann“.
Die von der EU vorgeschlagenen Maßnahmen zur Qualitätssicherung gehen aus Schnabl’s Sicht zu weit, würden unnötige Kosten verursachen und wären ein Einfallstor für private Unternehmen. Diesen unterstellt er Gewinnmaximierung als alleiniges Ziel. „Wesentlich sind die engmaschigen Überprüfungen, um mögliche Verunreinigungen sofort erkennen und beheben zu können – so ist es möglich, einwandfreie hygienische Trinkwasserqualität in den Ortsnetzen zu erreichen“, berichtet Schnabl und belegt dies mit Zahlen. „Insgesamt sind knapp 3.000 Wasserversorgungsanlagen in Niederösterreich in Betrieb. An die 1.000 Kontrollen, Proben und Anordnungen nach dem Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz und jährlich etwa 13.000 Befundungen gemäß §5 Trinkwasserverordnung garantieren die hohe Güte unseres Trinkwassers.“
„Wäre die Richtlinie laut Entwurf in Kraft getreten, hätten sich die Kosten für Trinkwasser massiv verteuert – aufgrund einer immensen Ausweitung der Wasseruntersuchungen, die für Gemeinden nahezu unfinanzierbar wären“, erklärt Schnabl. So würden sich für kleine Gemeinden die Überprüfungskosten mit der EU-Richtlinie verzehnfachen. Da fürchtet er den Zugriff der Privaten. Große industrielle Betriebe hätten eigene Labors – Untersuchungen wären leichter durchzuführen. Kleinere Versorger könnten in größere Einheiten gedrängt werden und es würde der Liberalisierung der Trinkwasserversorgung über das Mäntelchen „Hygiene und Untersuchungen“ Tür und Tor geöffnet.
Handlungsbedarf bei Trinkwasserqualität unübersehbar
Dass Hygienestandards hoch sind, mag für Niederösterreich und für viele anderen Alpen-Regionen und in Skandinavien mit den qualitativ hochwertigen Wasserressourcen durchaus gelten. Die EU-Kommission hat es aber auf Versorgungsregionen in Osteuropa abgesehen. Dort verbietet sich angesichts des Zustandes von Ressourcen und Leitungsnetzen das Wassertrinken.
So hat der Europäische Rechnungshof in einem Gutachten 2017 festgestellt, das sich in den osteuropäischen EU-Staaten Bulgarien, Rumänien und Ungarn die Qualität des Trinkwassers, zu dem Verbraucher in haben, in den letzten Jahren dank der EU-Förderung zwar verbessert habe, doch müssen noch in erheblichem Umfang weitere Mittel investiert werden. Insgesamt würden diese drei Mitgliedstaaten bis Ende 2020 mehr als 6 Mrd. Euro aus dem Budget der EU benötigen, um ihren Bedarf zu decken. Die Prüfer empfehlen der Europäischen Kommission,
- „Lücken in der Überwachung der Mitgliedstaaten nachzuverfolgen und die Trinkwasserrichtlinie durchzusetzen;
- die Richtlinie abzuändern, um sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten die Kommission über Abweichungen für kleine Wasserversorgungsgebiete in Kenntnis setzen; eine regelmäßige und rechtzeitige Berichterstattung zu fordern und diese Berichtspflicht auf kleine Wasserversorgungsgebiete auszuweiten; die Anforderungen hinsichtlich der Bereitstellung von geeignetem und aktuellem Informationsmaterial über die Qualität von Trinkwasser für die Verbraucher zu verbessern; die Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen, Maßnahmen zur Reduzierung von Wasserverlusten zu fördern.
Eben diese Maßnahme sind jetzt von der EU-Kommission im Entwurf der Trinkwasserrichtlinie aufgenommen worden. Sollten die dahinter stehenden Ziele mit nationalstaatlichen Gesetzen erreicht werden, mag dieser Weg ja vorzugswürdig sein, Zweifel scheinen aber durchaus angebracht.
Es gibt viele Fragen, die sich beim Betrachten der Beratungen zur Novelle der Trinkwasserrichtlinie stellen. Vielleicht schießt die EU-Kommission mit ihren Vorschlägen über die Ziele hinaus, die anstehenden Beratungen werden aber zeigen, ob es bessere Vorschläge gibt. Allerdings ist dieses Werk schon 10 Jahre überfällig. Man wollte den osteuropäischen Beitrittsstaaten nicht unerreichbare Ziele setzen. Wenn es jetzt nicht bald passiert, fliessen weitere Milliardenhilfen ohne dass sich viel ändert. Jetzt bloß nicht endlos debattieren und Scheingefechte führen.
Ergänzung: Siehe auch unten Kommentar von Christian Hasenleithner ENERGIE AG Öberösterreich vom 9.7.2018
Weiterführendes:
- FAQ zum Vorschlag der Europäischen Kommission für die Novelle der Trinkwasserrichtlinie (Stand 1.2.2018)
- Umweltbezogene Vorhaben der Österreichischen EU-Präsidentschaft (Stand 25.6.2018)
- Videoaufzeichnung der Debatte im EU-Umweltministerrat
- Pressemitteilung des Europäischen Rechnungshofes zur Trinkwasserqualität in Bulgarien, Rumänien und Ungarn (Stand 12.9.2017)
- Pressemitteilung SPÖ NÖ „EU-Richtlinie würde Wasser verteuern“
- Eureau Blog „Environment Council DWD policy debate“ (26.6.2018)
Es stimmt, die Aufregung (in Österreich) ist groß. ABER: man gewinnt den Eindruck, dass die (österreichischen) Kritiker den RL Entwurf nicht gelesen, (noch schlimmer) nicht verstanden haben oder mit ihrer Kritik einfach die gelebte Praxis absichern wollen. Und da ist es immer gut, die „Regelungswut“ der EU zu kritisieren und das Privatisierungsgespenst an die Wand zu malen
Meine Meinung: der Entwurf folgt einem klaren risikobasierten Ansatz, der besonders in CEE – Staaten bereits zur Anwendung kommt. Er erstreckt die Qualitäts- und Risikobetrachtung richtigerweise bis zum Wasserhahn (was die Wasserversorger nicht trifft). Und er würde bei der Zusammensetzung der Gebühren zu Transparenz und Öffentlichkeit führen – ein Faktum, dass in Ländern mit einem klaren Regulierungsschema eine Selbstverständlichkeit, im deutschsprachigen Raum aber eher ein Fremdwort ist. Darüber hinaus bietet der Entwurf genügend Ansätze für den lokalen Gesetzgeber, um bei der Umsetzung in nationales Recht, die bestehende Qualitäts- und Risikosituation entsprechend zu berücksichtigen und die Analysekosten im Rahmen zu halten. Weniger Theaterdonner und mehr Sachlichkeit wäre angebracht.