Am Ende von Kriegen hoffen die Menschen, dass die Erinnerungen bald verblassen. Aber der Bombenfund in der Berliner Spree macht es schmerzlich bewusst: Die Vergangenheit von Kriegen ist auch nach Jahrzehnten nicht verstummt. Sie schlummert in den Lebensadern, auf dem Grund unserer Flüsse – in Form von Munition, zerstörten Ökosystemen und unsichtbaren Wunden. Im transdisziplinären Projekt PEACES so far suchen Künstler:innen und Forschende nach Wegen, diese kriegerische Vergangenheit und Gegenwart an Flüssen zu reflektieren. (Lesezeit 4 Minuten, Beitrag # 923)
Doch wie werden Flüsse zu Zeugen und Opfern? Und was können wir aus ihren Geschichten lernen? Das IGB und Künstlerinnen haben sich als Beitrag im Rahmen des Art & Science Forums der Berlin Science Week mit dieser Frage aus wissenschaftlicher und aus künstlerischer Sicht auseinandergesetzt. Die Geschichte dahinter ist spannend und verspricht einen positiven Ausgang.
Denn wie Flüsse zwar zur Waffe und Kriegslinie werden – aber auch Gemeinschaft schaffen können, darum geht es in dieser Zusammenarbeit des IGB (Leibniz-Institut für Gewässerökologie und
Binnenfischerei) und dem Künstlerkollektiv FrauVonDa//.

Flüsse als Archive des Krieges
Die Spuren sind oft versteckt, aber allgegenwärtig. An der Oder müssen auch heute noch Kampfmittel geräumt werden, bevor Bauarbeiten möglich sind. In der Ostsee werden größere Bergungen von Weltkriegsmunition vorbereitet. In der Ukraine sind die Wunden noch frisch – und es werden immer mehr. Die eigentliche Gefahr geht von den im Wasser verrottenden Munitionsbehältern aus, aus denen giftige Substanzen wie Schwermetalle und Sprengstoffreste austreten.
Oleksandra Shumilova, die die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine erforscht, betont, dass Flüsse die Kriegsvergangenheit besonders lang bewahren. Gesunkene Minen können wandern und auch Jahre später noch zur Gefahr werden. Ein erschreckendes Beispiel für die aktuelle Nutzung von Flüssen als Waffe ist die Zerstörung des Kachowka-Staudamms 2023 – eine Taktik, die es bereits im Zweiten Weltkrieg am Dnipro gab.
Die toxische Erbe: Wenn der „Giftschwamm“ freigelegt wird
Mit der Zerstörung eines Bauwerks wie einen Staudamm, dessen Errichtung einem Eingriff in den Naturhaushalt geschuldet ist, wird auch die Hoffnung verbunden, dass der ursprüngliche natürliche Lebensraum wiederherstellen kann. Diese Zuversicht ist das Positive, das mit Zerstörung des Kachowka-Damms verstanden wird, da sich das Ökosystem schnell erholt. Doch Shumilova warnt: Auf dem freigelegten Grund des Stausees lagern Tausende Tonnen Schwermetalle, ein zurückgelassener „Giftschwamm“. Diese Giftstoffe können mobilisiert werden, in die Nahrungskette gelangen und langfristig Mensch und Umwelt schädigen.
Zerstörung als Chance für die Regeneration?
Trotz der verheerenden Folgen sehen die Fachleute auch Möglichkeiten für einen Neuanfang. Wo kriegszerstörte Infrastruktur ökologisch schädlich war – wie begradigte Ufer und Buhnen –, kann der Fluss sich beim Wiederaufbau neues, natürlicheres Terrain zurückerobern. Der Lebensraum Wasser erhält eine neue Chance.
Daher plädiert Christian Wolter im Hinblick auf die Oder dafür, ihr mehr Raum zu geben: Sie würde sich verbreitern, Sandbänke bilden und so neuen, artenreichen Lebensraum schaffen. Die scheinbar ökonomisch notwendige Begradigung von Flüssen ist oft das eigentliche Problem, da sie die Landschaft austrocknet und die Biodiversität zerstört. Diese Fehler aus der Vergangenheit werden zwar vielerorts durch Renaturierungsprojekte geheilt, dennoch verbleiben noch die Wehre und behindern die natürlichen Wanderungsbewegungen vieler Flussbewohner.
Kunst als Brücke zwischen Wissenschaft und Gefühl
Das Künstlerkollektiv FrauVonDa// (Claudia van Hasselt und Nicolas Wiese) übersetzt diese unsichtbaren Phänomene in sinnliche Erfahrungen. Sie nehmen Geräusche von Insekten in belasteten Gewässern auf, die durch den Salzgehalt verzerrt werden, oder visualisieren die trübe, „versehrte“ Qualität des Wassers. In Installationen tauchen sie das Publikum klanglich und visuell unter die Wasseroberfläche, um so eine emotionale Verbindung zum Ökosystem Fluss herzustellen.
Ein besonders eindrückliches Beispiel ist die künstlerische Darstellung einer Bombenexplosion im Wasser: Der Einschlag erzeugt für einen Sekundenbruchteil eine Zone absoluter Stille, in der kein Schall übertragen werden kann. Diese Stille macht die Gewalt und ihre Auswirkungen auf die Lebewesen im Fluss auf unmittelbare Weise spürbar.
Die universelle Sprache des Krieges und die Suche nach Gemeinschaft
Van Hasselt hat historische und moderne Kriegsberichte analysiert und eine beunruhigende Konstante festgestellt: Befreit man die Texte von konkreten Orten und Daten, ist die Wortwahl und die darin transportierte existenzielle Angst nahezu identisch. „Wir entwickeln uns nicht, lernen nicht dazu“, so ihr Fazit. Kriegerische Sprache forme ein kriegerisches Bewusstsein und mobilisiere zu Gewalt.
Umso wichtiger ist die aktive Arbeit an grenzüberschreitender Gemeinschaft. An der Oder, so van Hasselt, gibt es auffallend wenig Austausch, was auch eine Spätfolge des Zweiten Weltkriegs sein könnte. Das Projekt PEACES so far versucht, eine transnationale „Oder-Community“ aufzubauen, um die vereinzelten Initiativen zu vernetzen und den Fluss als verbindendes Element zu etablieren.
Die Geschichte der Flüsse ist auch unsere Geschichte. Sie lehrt uns, dass ein Krieg nie wirklich endet – aber auch, dass in der gemeinsamen Sorge um diese empfindlichen Ökosysteme der Keim für Verständigung und Frieden liegen kann.



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