Wasser als Waffe: Der IS und seine zerstörerische Macht

Tabqa Damm

Die militärische Expansion des Islamischen Staates (IS) hinterlässt eine Spur der Verwüstung. Es sind aber nicht nur Panzer und Granaten, mit denen der IS seinen Herrschaftsanspruch in Syrien Geltung verleiht. Auch Wasser wird als Waffe eingesetzt. Mit Talsperren, Staudämmen und Flüssen kontrolliert IS mittlerweile die lebensnotwendige Wasser-Infrastruktur zwischen Euphrat und Tigris. Damit verfügt über strategisch wichtige Wasserressourcen. Fast der gesamte syrische Teil des Euphrat-Beckens liegt in seinem Einflussgebiet. Seit 2014 beherrscht er auch irakische Gebiete, die von den beiden Flüssen durchzogen werden. Wie der IS das Wasser als Waffe und Bedrohung für die von ihm besetzten Regionen einsetzt, aber auch für Terrordrohungen in Stellung bringt, beschreibt Tobias von Lossow in einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Im IS-Gebiet befinden sich viele große Staudämme. Can&Able/SWP

Die strategische Waffe Wasser

Wenngleich Rohöl als Einnahmequelle große Bedeutung besitzt, das Wasser kann in den besetzten Gebieten als Waffe und Instrument der psychologischen Kriegsführung eingesetzt werden. Auch wenn die Staatengemeinschaft die militärische Antwort auf die Vormärsche in den Nahoststaaten und die Terroranschläge beschlossen hat, von außen lässt sich das Vorgehen des IS mit ihren fatalen Folgen kaum unterbinden. Obwohl der IS eine funktionierende Wasser- und Stromversorgung in den eroberten Gebieten in den besetzten Gebieten benötigt, um seinen Wandel von der Terrormiliz zum selbst verstandenen „Staat“ zu vollziehen, er kann die besetzten Staudämme und die Trinkwasseraufbereitung weiter als Terrorwaffen einsetzen. Von Lossow beschreibt in seiner gleichermassen aufschlussreichen wie beängstigenden Studie, wie der IS seine Macht über das Wasser gegen die Zivilbevölkerung und militärische Gegner einsetzt. Er zeigt die drei Wege des IS auf, Wasserressourcen als Waffe einzusetzen: indem dafür gesorgt wird, dass 1. zu wenig, 2. zu viel oder 3. Wasser in unzureichender Qualität bereitsteht. Der IS hat alle drei Varianten mehrfach angewendet und damit sowohl auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene Wirkung erzielt. So sind in der Vergangenheit Städte und Provinzen in Syrien und im Irak wiederholt von der Wasserversorgung abgeschnitten worden, in dem Trinkwasserrohre gekappt oder Wasser an Staudämmen zurückgehalten wurden. Gezielte Überflutungen werden eingesetzt, um vorrückende Gegner zu bremsen.

Der IS und die Wasser-Versorgungsinfrastruktur 

Mit dem Wasser hat sich der IS eine strategische Waffe angeeignet. Die Macht des IS über das Wasser resultiert aus der Sicht des Autors auch aus den Versäumnissen der Staatsregierungen. Wegen der unzureichenden staatlichen Versorgungsinfrastruktur könne der IS jetzt ein Vakuum füllen und in ihm wohl gesonnenen Regionen die Infrastruktur aufbauen und betreiben. In den Regionen, aus denen er die dort lebenden Volksgruppen vertreiben will, setzt er die Wasserzufuhr an den vorgelagerten Staudämmen aus. Zugleich könne der IS mit der Kontrolle über große Staudämme neue Anhänger gewinnen, schreibt Tobias von Lossow. Seit Februar 2013 hat der IS bereits einige wichtige Staudämme und -seen in seiner Gewalt. Dazu gehört auch der Tabqa-Damm, der größte Damm Syriens, in Folge dessen Errichtung der Assad See entstanden ist. Dieser See ist Syriens größtes Wasserreservoir, das 5 Millionen Menschen mit Wasser versorgt. Eine ähnliche Bedeutung hat der ebenfalls 2013 vom IS eroberte Baath-Damm nur weniger Kilometer den Euphrat flussaufwärts. Von dem See bei Raqqa sind 60 Prozent der syrischen Wasserversorgung abhängig. Zwei Dämme mit größter Bedeutung für die Wasserversorgung in der Hand des IS.

Tabqa Damm (Q: Kenzhigaliyev commonswiki)

Wehrt sich der IS gegen die internationale Staatengemeinschaft mit der Waffe Wasser?

Ein erschreckend bedrohliches Szenario beschreibt der Nahostexperte in Verbindung mit der Antwort der Staatengemeinschaft auf den Terror und das Vorrücken des IS. Von Lossow weiter: „Sollte der IS allerdings stärker unter Druck geraten (…) militärisch zurückgedrängt und existentiell geschwächt werden, würde sich die Bedrohungslage durch das Wasser hinter den Dämmen, insbesondere im Irak, deutlich verschärfen. Denn verliert die Miliz weite Teile ihres Territoriums und damit die dort ansässige Bevölkerung, droht die angestrebte Konsolidierung des Kalifats zu scheitern. Gemäß seiner Ideologie befände sich der IS dann unmittelbar an der Schwelle zur Apokalypse und in einer finalen Schlacht mit seinen Feinden. Dann droht an Euphrat und Tigris auch das »worst case«- Szenario einer Dammsprengung oder Öffnung aller Schleusen, mit dramatischen und kaum kalkulierbaren Folgen, ein sprichwörtlicher Untergang der betroffenen Regionen. Wird der IS flussaufwärts in Richtung des syrischen Kerngebiets zurückgedrängt, besteht die konkrete Gefahr, dass die Miliz jeweils großflächig flutet bevor eine Talsperre in die Hände ihrer Feinde fällt – als letztes Mittel, um noch einmal Stärke zu demonstrieren. Das Risiko, dass der IS die Waffe Wasser in ihrer verheerendsten Form in Syrien und im Irak einsetzt, steigt letztlich also dann, wenn die Miliz massiv attackiert und zum weiträumigen Rückzug gezwungen wird.“ Dieses düstere Bild wäre ein Pyrrhussieg der westlichen Welt mit fatalen Folgen, die sich im schlimmsten Fall nicht nur auf die Regionen beschränken werden.

Auch wenn viele Wissenschaftler und Politiker die Meinung vertreten, dass es mehr Kooperationen als Konflikte zwischen Nachbarstaaten um die Nutzung von Wasserressourcen gibt, die Situation in Syrien und dem Irak ist angesichts der Rolle des IS damit nicht vergleichbar. So wurden bei einer Analyse von mehr als 1.800 zwischenstaatlichen „Ereignisse“ an internationalen Gewässern mehr als zwei Drittel als Kooperationen bewertet und bei weniger als 40 gewaltsame Auseinandersetzungen, wovon nur 10 nicht die Region Israel und arabische Nachbarstaaten betrafen. Es steht zu befürchten, dass die grenzüberschreitende Okkupation der Euphrat-Tigris-Region durch den IS ein Konfliktgebiet bisher unbekannten Ausmaßes begründet, da dem IS kaum an einer kooperativen Lösung gelegen scheint. ganz im Gegenteil, wie die Analysen zeigen, wird Wasser ganz offen und brutal als Waffe eingesetzt. Ein Verhalten, das in der Geschichte keine Analogien kennt.

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1 Kommentar

  1. Das sind sehr düstere Perspektive. Leider hat aber schon anscheinend das Assad-Regime Wasserversorgungsprobleme geschaffen, in dem es 2000 den regulierten Agrarsektor öffnete und damit die Ausbeutung des Grundwassers beschleunigte, was zu vielen Missernten und Flüchtlingsströmen führte.

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  1. Fehlt das Wasserthema auf der Erdogan-Besuchsagenda? | LebensraumWasser Der Wasser-Blog

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