„Von der Toilette in den Wasserhahn“ oder wie sich die Welt des Wassers verändert und wir Deutschen nicht dabei sind

Es wird Sommer. Diese Feststellung mit gewissem Aufmerksamkeitswert ist nicht der einzige Grund, weshalb man reflexartig auch die Frage nach dem Wasser stellt. Aus vielen Weltregionen häufen sich die Nachrichten über Wasserknappheit und Dürre. Das ist zwar nichts Neues, aber plötzlich sind Staaten dabei, die man eigentlich nicht mit Wasserengpässen in Verbindung bringt. Die Zeitschriften titeln „Dürre in Kalifornien“, „Wasser-Knappheit statt -Reichtum in Brasilien“, auch Indien, Südafrika und Saudi-Arabien stehen unter Wasserstress. Was diese Staaten eint? Sie haben zu wenig Wasser und verbrauchen zu viel, deshalb überreizen sie ihre Grundwasservorräte. In manchen Regionen braucht es Generationen oder Dekaden bis die Vorräte wieder aufgefüllt sind. Dreizehn der weltweit 37 größten Grundwasservorkommen sind soweit entleert, dass die regionale Wasserversorgung bedroht ist. Die Anzahl dieser globalen Hotspots nimmt dramatisch zu.

Bei Trockenheit schrumpft auch das wirtschaftliche Wachstum 

Saudi-Arabien braucht zehnmal mehr Grundwasser, als durch die Natur nachgeliefert wird. Prognosen zufolge könnte das Land in 13 Jahren auf dem Trocknen sitzen. Erst kürzlich wurden die Wasserpreise drastisch erhöht, um die Verschwendung zu reduzieren. Bei einem Wasserverbrauch von über 250 Litern pro Einwohner täglich und jährlich 7,5-prozentiger Nachfragesteigerung steigt das Risiko. Da auch das landwirtschaftlich einsetzbare Wasser knapp wird, kaufen sich die Saudis Agrarflächen in Kalifornien und importieren ihre Nahrungsmittel. Das wäre ja vielleicht sogar sinnvoll, würde nicht Kalifornien selber unter Dürre und schwindenden Grundwasserressourcen leiden. Man darf gespannt sein, wann die US-Amerikaner diese Entwicklungshilfe für die Saudis stoppen, denn schliesslich ist es ja durch die Saudis maßgeblich geprägte Öl-Preispolitik, die dem Fracking den Garaus macht. Das wäre eine Retourkutsche Wasser gegen Öl.

Indien, lange Zeit ein Hoffnungsträger der BRICS-Staaten, erreicht mehr Aufmerksamkeit in Folge der Wasserkrise als durch positive Wirtschaftsnachrichten. Die Verteilungskämpfe um das knapper werdende Wasser nehmen an Gewalttätigkeit zu. Der Global Environmental Justice Atlas listet für Indien 224 Umweltkonflikte Bildschirmfoto 2016-04-16 um 17.45.41auf. Bei mehr als einem Viertel geht es um Wasser. Indische Medien verkündeten soeben, dass bis 2030 etwa 40 Prozent der Bevölkerung kein Wasser haben werden. Derartige Prognosen müssen natürlich auch die Industrie aufschrecken. Unternehmen wie Coke und Nike verändern ihre Geschäftsmodelle und reduzieren den Wassereinsatz in der Produktion. Sie haben aber auch gar keine andere Wahl, wollen sie die Billiglohnländer nicht wegen der Wasserknappheit verlassen. Die Investoren werden zunehmend unruhiger. Nachhaltigkeit ist nicht nicht nur ein Begriff der umweltpolitischer Sonntagsredner, sondern bestimmt knallhart das Business. Wer als Kreditnehmer oder börsennotiertes Unternehmen nicht darlegen kann, wie er sich gegen Wasserrisiken absichert, dem versiegen nicht nur die Wasserressourcen, sondern auch die Finanzmittel. Investitionen in einer Größenordnung von 63 Billionen US-Dollar sind laut der der Risikoanalysten des Carbon Disclosure Projekt Water (CDP) bis 2030 von Wasserrisiken bedroht.

Es tut sich eine katastrophale Entwicklung auf. Der Klimawandel reduziert die Regenmenge und die Ressourcenneubildung, in Folge dessen werden die Grundwasservorräte ausgeschöpft. Das Bevölkerungswachstum treibt den Bedarf an Nahrungsmitteln, nicht nur deshalb steigt der Wasserbedarf der Agrarwirtschaft. Bevölkerung und Landwirtschaft kämpfen um knapper werdende Ressourcen. Die wirtschaftliche Prosperität kann nur durch mehr Wachstum und mehr Produktion erreicht werden. Ohne Wasser keine Produkte. Ein weiterer Konkurrent im aquatischen Verteilungskampf. Staudämme oder Kohlekraftwerke, ohne Wasser keine Energie. Das Quartett ist komplett. Wie soll das nur ausgehen?

Gibt es keinen Ausweg?

Wasser hat seinen Wert, aber nur selten den richtigen Preis. Wie jede Ressource deren Vorräte knapper werden, verdient das Wasser seinen Knappheitspreis. Das wird zwar vielen, die Wasser als Menschenrecht bezeichnen nicht gefallen, aber der Wunsch muss den Realitäten weichen. Wenn in Ländern wie Irland die Menschen auf die Straße gehen, weil sie für das ihnen frei Haus gelieferte Trinkwasser bezahlen sollen, dann verkennt das die ökonomische Logik. Investitionen finden nur dort statt, wo die Kosten gedeckt sind. Das hat nichts mit Profitgier zu tun – wohl aber zuweilen mit Korruption. Wer viel Wasser braucht, der muss dafür auch viel mehr bezahlen, als jemand der wenig Wasser erhält – oder gar nichts. Das schliesst nicht aus, dass Mindestmengen kostenlos abgegeben werden. Paradox wird es aber dann – und hat dann auch mit Profit zu tun -, wenn sich internationale Konzerne nicht dort einkaufen, wo sie die niedrigsten Löhne und geringsten Steuern zahlen, sondern wo sie widerstands- und vielleicht sogar kostenlos das Wasser abschöpfen und womöglich noch in Flaschen abgefüllt exportieren können. Kein Wunder, dass in vielen Ländern der Widerstand gegen Unternehmen wie Nestlé und Coke wächst. Da tickt eine Zeitbombe. Der Gegenwert kann ja auch der Aufbau von Infrastruktur sein.

Industriell genutzte Brunnen und Leitungsnetze könnten den Grundstock für die öffentliche Wasserversorgung bilden

Bau einer Trinkwasserleitung im Ruhrgebiet um 1900 (Foto RWW)
Bau einer Trinkwasserleitung im Ruhrgebiet um 1900 (Foto RWW)

Die kommunale Trinkwasserversorgung im westlichen Ruhrgebiet hat im 19. Jahrhundert seinen Ausgang in der industriellen Entwicklung gefunden. Es waren die großen Stahlunternehmer wie Thyssen, der mit seinen 1893 errichteten Wasserversorgung für Stahlwerke, den Grundstock für die kommunale Trinkwasserversorgung bildete, in dem er die Werke in eine öffentliche Trinkwasserversorgung einbrachte. Warum soll das heutzutage nicht auch in anderen Regionen möglich sein? Coke oder Nestlé würden Wasser nicht nur in Flaschen abfüllen, sondern auch in lokale Leitungsnetze einspeisen. Die Brunnen werden geteilt. Der weltweit führende Nahrungsmittelkonzern scheint die Zeichen der Zeit auch schon erkannt zu haben. In Südafrika erhält ein Dorf neben dem Nestlé Waters Werk eine kostenlose Trinkwasserleitung. Auch in Pakistan gibt es ein solches Projekt. Damit dies nicht wie „Green-„ oder besser „Blue-Washing“ daher kommt, bedarf es einer Vielzahl solcher Entwicklungen. Infrastruktur gegen Wasser, das ist Fairplay beim Verteilungskampf.

Technologien für den globalen Bedarf aus Ländern mit Wasserknappheit 

Es gibt auch technologische Auswege. Die israelische Wasserindustrie ist eine der besten der Welt. Das hat nicht nur etwas mit Geschäftssinn, sondern auch mit Überlebenswillen (und Politik) zu tun. Israel bleibt gar nichts anderes übrig, als mit Wasser sparsam umzugehen und Technologien zu entwickeln, die dabei helfen. Stichworte wie Tröpfchenbewässerung, Kreislaufwasser und Meerwasserentsalzung beschreiben den Lösungskanon mit dem Israel seine Wasserknappheit bewältigt. Ähnliches kommt neuerdings aus Kalifornien. War das Silicon Valley bisher nur für seine Unterhaltungs- und IT-Technologien bekannt. So könnte der nächste Guru ein Wassermann sein. Smartphone-Apps zur Steuerung der Gartenbewässerung, Smart-Home-Systeme mit Leckageschutz oder saisonale Wasserpreise, alles keine Zukunftsmusik. Aber in jedem Fall Lösungen für die Wasserknappheit  mit globaler Perspektive.

Australien hat nicht nur Technologien, sondern ein Managementsystem für Wasserrechte, mit denen die Nutzung nach umwelt- und wirtschaftsstrategischen Zielsetzungen gesteuert werden kann. Singapur, eigentlich am seidenen Faden der Wasserlieferung aus Malaysia hängend, hat das New Water zur Ressource erklärt. Während in vielen Ländern der Slogan „From Toilette to Tap“ (von der Toilette in den Wasserhahn) nur Schaudern auslöst, hat der Inselstaat in Südostasien gar keine andere Chance, als das Wasser bis zur Perfektion zur Wiedernutzung aufzubereiten. Mittlerweile stammen 30 Prozent des Wassers aus Recyclingprozessen; bis 2060 sollen es 55 Prozent sein. Unsere niederländischen Nachbarn trotzen seit Jahrhunderten dem Meer das Land ab und kämpfen erfolgreiche gegen die Fluten. Der Klimawandel macht dieses

EIP Water, Leeuwarden, 10.2.2016 (Foto: Gendries)
EIP Water, Leeuwarden, 10.2.2016 (Foto: Gendries)

Wissen zum Wachstumsmotor einer zunehmend selbstbewußter auftretenden Wasserwirtschaft. Vor wenigen Wochen waren die Niederlande Gastgeber der European Innovation Partnershop Water (EIP), einem von über 500 Teilnehmern besuchten Innovationskongress zu Wassertechnologien. Da ging es auch um das Wassersparen, die Kreislaufnutzung, die Abwasseraufbereitung und so weiter. 29 Arbeitsgruppen stellten ihre Ergebnisse vor. Stolz präsentierten die Gastgeber ihr Wasserforschungszentrum WETSUS und ihre Know-how-Vermarktungskooperation WaterAlliance. „The Water Alliance is a unique partnership of public and private companies, government agencies and knowledge institutes involved in water technology in the Netherlands. The Water Alliance focuses on innovative and sustainable water technology that can be used worldwide“. Kurzum „Water Solutions Made in The Netherlands“

Ach ja, und wo ist Deutschland? Kein Bedarf? Wir haben genug Wasser in bester Qualität und die besten Trinkwassersysteme zu den fairsten Preisen. Brauchen wir das alles nicht? Könnte es sein, dass wir einen Megatrend verpassen? (Anm. Der letzte Absatz war Satire)

Ergänzung: Abdullah al-Hussayen, Saudi-Arabiens Utilities-Chef, ist wegen der von ihm verantworteten Erhöhung der Energie- und Wasserpreise vom König Salman am Wochenende entlassen worden.

1 Kommentar

  1. Das sind wichtige Informationen, und du stellst gute Fragen. Es scheint mir, dass auch die Schweiz schläft. Zwar wurden die Probleme in einem nationalen Forschungsprogramm aufgenommen, doch es scheint mir, dass es an Umsetzung und Zusammenarbeit mangelt.
    Letzten Sommer war das Wasser vielerorts knapp, Landwirtschaft und Gemüsebau konnten nicht ausreichend bewässern und/oder übernutzten Bäche mit den entsprechenden Konsequenzen für die Wasserökologie.
    Etwa im Engadin werden grosse Trinkwassermengen aus Quellen für das Beschneien von Skipisten verbraucht, und mit viel Energie wird zu diesem Zweck auch Wasser in neu angelegte Seen in die Höhe gepumpt. Wegen der Tourismusspitzen im Wasserverbrauch nutzt man, wo vorhanden, nun auch das Grundwasser. Niemand weiss wie viel Wasser wofür von woher verbraucht wird, denn Wasser wird dort fast überall pauschal pro Wohnfläche … verrechnet. Kein Verursacherprinzip, keine Übersicht, kein Weitblick. Das meiste Wasser stammt aus Schneeschmelze, doch die Schneegrenze wandert nach oben, so dass die Wiesen im Sommer schon früher und stärker bewässert werden müssen, denn das Engadin ist regenarm …
    So wird weiter gewurstelt!
    Der Wasserfachmann Klaus Lanz hat jetzt in einer Studie im Auftrag des WWF Schweiz die vielfältigen Probleme aufgezeigt und Empfehlungen formuliert.

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  1. Joerg Barandat – WATERINTAKE 2/2016 | Massenbach-Letter

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