Toilettenkonzept könnte Shitstorm in Berlin auslösen

Die Straßen von Berlin sollen neue öffentliche Toiletten erhalten. Auf Wasser soll dabei verzichtet werden. Das scheint jetzt einigen Berlinern zu stinken. Schon zeichnet sich in den Sozialen Medien der erste Shitstorm ab. Unter dem Hashtags #City #Toilette soll sich diese virale Form eines Sturms entrüsten. Soviel in der Kürze. Kommen wir zu den Fakten: Es geht um Trockentoiletten!

Das Thema Trockentoilette ist nicht der neueste Tick der Wassersparer, es ist das Ziel des Toilettenkonzeptes, das der Berliner Umweltsenat umsetzen will. Und die ewig klamme Metropole will Geld sparen: Staatssekretär Kirchner antwortet auf eine kleine Anfrage der Grünen-Fraktion, dass Trockentoiletten preiswerter zu betreiben seien als Wassertoiletten. Trotzdem endet seine Antwort mit der Aussage „Bei der Lebenszykluskostenanalyse über 45 Jahre sind kaum Unterschiede feststellbar.“

Wenn es die Ökonomie nicht ist, was ist dann der Grund? Berlin hat doch ein funktionierendes System mit 252 Toiletten für die menschlichen Notfälle im öffentlichen Raum. Diese wird gelegentlich durch ultramobile Häuschen (siehe Foto) ergänzt. Warum die Änderungen? Ganz einfach, der so genannte „Toilettenvertrages“ von 1993/1998 musste gekündigt werden. Der Vertrag mit der Werbefirma Wall war daran gekoppelt, dass dem Unternehmen im Gegenzug Erlaubnisse für den Betrieb von Werbeanlagen erteilt werden. In der Senatsvorlage für das Abgeordnetenhaus von Berlin vom 17.08.2017 wird das wie folgt erklärt: „Nach 25 Jahren Laufzeit endet der Toilettenvertrag zum 31.12.2018. Eine weitere Verlängerung des Vertrages war aus kartell-, beihilfe- und vergaberechtlichen Gründen nicht möglich. Um eine bedarfsgerechte Versorgung mit öffentlichen Toiletten herzustellen, die nicht vom Grad der Kommerzialisierung des Straßenlands durch Werbeanlagen abhängt, eine transparente Finanzierung der Toilettenleistungen ohne versteckte Quersubventionierungen zu erreichen und einen möglichst großen Kreis an Unternehmen anzusprechen, die jeweils in den Marktsegmenten des Toilettenbetriebs und der Werbung tätig sind, werden Errichtung und Betrieb der Toiletten künftig von der Erteilung von Werberechten entkoppelt; Werbung und Toiletten werden in getrennten Verfahren ausgeschrieben.“ Wer hätte geglaubt, dass in diesem Thema nach Korruption riechen könnte? Egal, das will man jetzt wohl verhindern.

Ist das die Zukunft der öffentlichen Toiletten in unserer Bundeshauptstadt Berlin?
Das ist nicht die Zukunft der öffentlichen Toiletten in Berlin        (Foto: Gendries)
Der zuständige Umweltstaatssekretär, Jens-Holger Kirchner (Grüne), will die Chance ergreifen und ein innovatives Toilettenkonzept umsetzen. In der Antwort auf die Anfrage seiner Parteikollegen erklärt er, man plane ein Plumpsklo mit Sägespänen als Ersatz für die Wall-Toiletten. Wörtlich: „Trockentoiletten erfreuen sich zunehmender Beliebtheit und haben die Nische der Öko-Pioniere schon lange verlassen.“  Das mit den Ökopionieren stimmt gar nicht, glaubt man der Geschichte der Komposttoilette auf der Website des Wasserkontors. Demnach sind Komposttoiletten keine Erfindung der Ökobewegung. „Vielmehr entwickelten sich im 19. Jahrhundert aus den ersten Aborten parallel unterschiedliche Trockentoilettensysteme und Wasserspültoiletten. Da es zu dieser Zeit noch keine Klärwerke gab, d.h. die Kanalisation entleerte auf Rieselfelder oder direkt in den nächsten Fluss, setzten sich schon damals die Hygieniker für das Trockenklosett ein.“ Jetzt dürfen wir aber feststellen, dass wohl kaum eine Metropole so gute Klärwerke hat, wie Berlin. Sind dann Trockentoiletten wirklich sinnvoll?

Gunnar Schupelius von der BZ Berliner Zeitung ruft die Berliner auf, den Unsinn zu verhindern. Er findet die Äußerung des Umweltstaatssekretärs in zweifacher Hinsicht verblüffend. „Erstens: Wen meint Kirchner, der sich zunehmend an Trockentoiletten erfreut? Und welche Pioniere sind es, die in einer Nische am Plumpsklo der Zukunft getüftelt haben? Wovon redet dieser Mann? Das WC mit Wasserspülung ist die große Errungenschaft der Zivilisation, nicht die Grube unter dem Donnerbalken. Es ist also keine Pionierleistung, sondern ein Rückschritt, mit Sägespänen zu arbeiten anstatt mit einer ordentlichen Spülung. In Berlin gibt es genug Wasser, also muss man die Wassertoilette nicht ersetzen.“ So der nicht ohne Zynismus verfasste Kommentar der BZ.

Aber man geht ja nicht ohne einschlägige Erfahrungen an den Wandel: Der Bezirk Lichtenberg hat in vier verschiedenen Grünanlagen insgesamt fünf Trockentoiletten aufgestellt. Also plant der Senat im Rahmen eines Pilotprojektes fünf Trockentoiletten in Lichtenberg und vier weitere in der Nähe von Badeanstalten aufzustellen. Da wäre ja eigentlich genug Wasser.

Und die BZ stichelt weiter: „Das alles ist vollkommen überflüssig, denn die Toiletten von Wall funktionieren seit vielen Jahren einwandfrei und sehr umweltfreundlich und vor allem hygienisch. Die Firma Wall betreibt die Toiletten kostenfrei für die Stadt und nimmt ihr Geld über Werbetafeln ein. Auch dieses funktionierende System, das dem Steuerzahler hohe Kosten ersparte, wurde ohne Not aufgekündigt. Wir haben’s ja!“ Plumps!

Und setzt BZ noch einen drauf (jetzt wird’s typisch berlinerisch): „Die Öko-Plumpsklos halten höchstens zehn Jahre. Und außerdem sind sie schrecklich unhygienisch. Wer will denn das: eine Grube unter der Klobrille! Das ist absurd. Was sind da für Leute am Werk, die über Plumpstoiletten philosophieren und diese ernsthaft planen und dafür öffentliche Gelder ausgeben?“

Ein Thema, das in Berlin ganz sicher für Gesprächsstoff sorgen wird. Natürlich werde ich diese Toiletten baldmöglichst besuchen. Im Frühjahr war ich in Portugal  und besuchte dort die „The Sexiest WC on Earth“ in Lissabon. Wen diese Variante interessiert, der kann es hier nachlesen. das war übrigens auch ein Werbeträger für eine Toilettenpapierfirma …

 

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